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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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blieb. In den für solche Maße gänzlich ungenügenden Sälen im Erdgeschoß
seines eignen Hauses nach der Vollendung aufgestellt, entzogen eben diese räum¬
lichen Verhältnisse sie jeder rechten Beschauung und gründlichen Würdigung durch
den Betrachter.

Schlimmer noch war das Schicksal der andern fast ebenso kolossalen Car¬
tonzeichnungen zu des Meisters vorangegangnen in der Münchner Glyptothek und
Ludwigskirche ausgeführten Freskomalereien. Von Friedrich Wilhelm dem Vierten
angekauft lagen sie durch alle die Jahre zusammengerollt in Kisten verpackt aus
den Böden der Akademie. Man fand keine Stelle für sie. Von Zeit zu Zeit
ging wohl eine Art "Schmerzensschrei" durch die Presse über diese ganze Manier,
die Schöpfungen eines der größten und ernstesten Meister alter und neuer Zeiten
zu behandeln, sie gleichsam lebendig zu begraben, ein Schmerzensschrei, der mit
eindringlicher Kraft und der Wärme eines edlen Zorns besonders von Hermann
Grimm wiederholt ausgestoßen wurde. Aber geändert wurde thatsächlich nichts
dadurch, blieb nun das Ohr der Mächtigen und des gleichartigen Publikums
taub dagegen, oder zeigte sich wirklich vorläufig keine Möglichkeit praktischer Ab¬
hilfe des Uebels. Diese konnte auch ihm nur durch den Bau jenes National-
museums werden, auf welchem das einzige Heil der wagncrschen Sammlung be¬
ruhte. Man hat sich dieser Einsicht nicht verschließen können und wollen
Und wie um eine schon zu lange ausgesummte Schuld um so gründlicher und
anständiger zu tilgen, hat man sich entschlossen, die ersehnte Hilfe und Heilung
in so umfassenden Maße und so glänzender Weise zu bringen, daß niemals
fromme Wünsche wohl eine so vollständige, über jede kühnste Hoffnung derer,
die sie hegten, hinausgehende Erfüllung fanden, wie die auf Erbauung eines
Nationalmuseums in Berlin gerichteten.

Der Begriff einer Nationalgallerie ist ziemlich vieldeutig. Die Engländer
verstanden darunter nur eine Sammlung von erlesenen Kunstwerken, welche
theils durch das Geld der Nation, theils durch Schenkungen gemeinsinniger
Bürger derselben geschaffen wurde, eine Sammlung, wie sie die londoner
Nationalgalcry in einer nirgend sonst erreichten allseitigen Schönheit und Voll¬
kommenheit in sich darstellt. In Paris hat man zwei sehr verschiedene Dinge
darunter verstanden und für jedes derselben ein besondres Institut geschaffen.
Das Luxembourg ist zum Museum der nationalen Kunst und Künstler bestimmt
(zehn Jahre nach dem Tode der letztem wandern ihre hier aufbewahrten Werke
in das Louvre), -- das Museum von Versailles für die künstlerische Dar¬
stellung der vaterländischen Geschichte und der nationalen "Gloire".

Bei der berliner Nationalgallerie scheinen all diese Zwecke gleichmäßig be¬
rücksichtigt werden zu sollen. Denn schon Wagners Sammlung umfaßt, gleich
der englischen, Werke aller fremdländischen wie deutschen Schulen, (frei-
lich ausschließlich der modernen), und bei neueren Ankäufen ging neben der
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blieb. In den für solche Maße gänzlich ungenügenden Sälen im Erdgeschoß
seines eignen Hauses nach der Vollendung aufgestellt, entzogen eben diese räum¬
lichen Verhältnisse sie jeder rechten Beschauung und gründlichen Würdigung durch
den Betrachter.

Schlimmer noch war das Schicksal der andern fast ebenso kolossalen Car¬
tonzeichnungen zu des Meisters vorangegangnen in der Münchner Glyptothek und
Ludwigskirche ausgeführten Freskomalereien. Von Friedrich Wilhelm dem Vierten
angekauft lagen sie durch alle die Jahre zusammengerollt in Kisten verpackt aus
den Böden der Akademie. Man fand keine Stelle für sie. Von Zeit zu Zeit
ging wohl eine Art „Schmerzensschrei" durch die Presse über diese ganze Manier,
die Schöpfungen eines der größten und ernstesten Meister alter und neuer Zeiten
zu behandeln, sie gleichsam lebendig zu begraben, ein Schmerzensschrei, der mit
eindringlicher Kraft und der Wärme eines edlen Zorns besonders von Hermann
Grimm wiederholt ausgestoßen wurde. Aber geändert wurde thatsächlich nichts
dadurch, blieb nun das Ohr der Mächtigen und des gleichartigen Publikums
taub dagegen, oder zeigte sich wirklich vorläufig keine Möglichkeit praktischer Ab¬
hilfe des Uebels. Diese konnte auch ihm nur durch den Bau jenes National-
museums werden, auf welchem das einzige Heil der wagncrschen Sammlung be¬
ruhte. Man hat sich dieser Einsicht nicht verschließen können und wollen
Und wie um eine schon zu lange ausgesummte Schuld um so gründlicher und
anständiger zu tilgen, hat man sich entschlossen, die ersehnte Hilfe und Heilung
in so umfassenden Maße und so glänzender Weise zu bringen, daß niemals
fromme Wünsche wohl eine so vollständige, über jede kühnste Hoffnung derer,
die sie hegten, hinausgehende Erfüllung fanden, wie die auf Erbauung eines
Nationalmuseums in Berlin gerichteten.

Der Begriff einer Nationalgallerie ist ziemlich vieldeutig. Die Engländer
verstanden darunter nur eine Sammlung von erlesenen Kunstwerken, welche
theils durch das Geld der Nation, theils durch Schenkungen gemeinsinniger
Bürger derselben geschaffen wurde, eine Sammlung, wie sie die londoner
Nationalgalcry in einer nirgend sonst erreichten allseitigen Schönheit und Voll¬
kommenheit in sich darstellt. In Paris hat man zwei sehr verschiedene Dinge
darunter verstanden und für jedes derselben ein besondres Institut geschaffen.
Das Luxembourg ist zum Museum der nationalen Kunst und Künstler bestimmt
(zehn Jahre nach dem Tode der letztem wandern ihre hier aufbewahrten Werke
in das Louvre), — das Museum von Versailles für die künstlerische Dar¬
stellung der vaterländischen Geschichte und der nationalen „Gloire".

Bei der berliner Nationalgallerie scheinen all diese Zwecke gleichmäßig be¬
rücksichtigt werden zu sollen. Denn schon Wagners Sammlung umfaßt, gleich
der englischen, Werke aller fremdländischen wie deutschen Schulen, (frei-
lich ausschließlich der modernen), und bei neueren Ankäufen ging neben der
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/109>, abgerufen am 15.01.2025.