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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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vor." Er theilte sich selbst Acten mit. Auf dem einen Bureau sitzend, schrieb
er an die herzogliche Ncceptur, indem er die Liste der bestraften Fcldfrcvler zur
Erhebung und Verrechnung der Geldstrafen mittheilte und der Bureaudiener
siegelte den Brief und addresfnte ihn: "An herzogliche Receptur dahier" und
trug ihn hinaus aus der Amtsstube und hinüber über den Gang in das Local
der Receptur und legte ihn dort auf den Tisch, damit nachher der Herr Rent-
meister ihn finde, eröffne, mit dem xrg.os0uta.tum versehe und registrire. Adressant
und Adressat sind eine physische, aber zwei moralische Personen und die Er¬
scheinung, daß der Briefsteller auch selbst sich die Antwort schreibt, dürfte
nicht leicht so oft vorgekommen sein, als in der nassauischen Enclave in der
Wetterau.

Die Details dieser amtlichen Thätigkeit und die seltsame Sprache des
Herrn Amtmanns, wenn er einen "gehorsamen Bericht" des herzoglichen
Landoberschultheißen nunmehr zum dritten Male in Erinnerung bringen mußte,
die Rescripta des Amtmanns an den Landvbcrschultheißen, wenn er zufolge
seiner Dienstvcrpflichtung die ganze Verwaltung der freiwilligen Gerichtsbarkeit
einer sorgfältigen Controle unterzogen hatte und allerlei zu tadeln fand, sind
nicht in die Oeffentlichkeit gedrungen, es waltete darüber das Dicnstgeheimniß
und das mag gut sein, der geneigte Leser kann sich ohne Sorge das Fehlende
ergänzen: Zwiegespräche zweier Seelen in einer Brust.

Manches Jahr ist das so fortgegangen und mehrentheils wohl in Ordnung,
die verschiedenen Behörden unter einem Dache und einem Kopfe haben sich
vertragen, das Gegentheil ist wenigstens nicht bekannt geworden. Wo aber die
Keime zu einer Verwickelung liegen, findet sich die Gelegenheit, und so ging es
auch hier.

Der herzogliche Landoberschultheiß, der Beamte der freiwilligen Gerichts¬
barkeit in Reichelsheim. hatte eines Tages ein Testament aufgenommen, worin
ein kinderloser Unterthan die Erbfolge nach seinem Tode zu ordnen suchte. Wie
es gesetzliche Vorschrift ist, hatte der Landoberschulthciß das Testament zu den
amtlichen Depositen gegeben, es bei sich selbst hinterlegt. Der Testator ist bald
darauf mit Tode abgegangen, und wie es ebenfalls das nassauische Gesetz vor¬
schreibt, wurde das Testament beim Amte in Gegenwart der Jntcstaterben ge¬
öffnet und verkündigt. Was aber der Testator gewollt hatte, daß nach seinem
Tode seine Erben in Friede und mit Vernunft nach den Bestimmungen des
Testaments sich auseinandersetzen sollten, das traf nicht zu, wie so häufig die
letzten Wünsche der Menschen vereitelt werden. Die Erben genethen in einen
Proceß und das Testament gerieth in die Acten, es war ein Beweisstück und
seine Auslegung ein Hauptgrund der Entscheidung. Und die Entscheidung hing
von dem herzoglichen Amte ab, das in erster Instanz Urtheil sprechen mußte.

Der herzogliche Amtmann gab sein Urtheil ab, und es mußte einer oder


vor." Er theilte sich selbst Acten mit. Auf dem einen Bureau sitzend, schrieb
er an die herzogliche Ncceptur, indem er die Liste der bestraften Fcldfrcvler zur
Erhebung und Verrechnung der Geldstrafen mittheilte und der Bureaudiener
siegelte den Brief und addresfnte ihn: „An herzogliche Receptur dahier" und
trug ihn hinaus aus der Amtsstube und hinüber über den Gang in das Local
der Receptur und legte ihn dort auf den Tisch, damit nachher der Herr Rent-
meister ihn finde, eröffne, mit dem xrg.os0uta.tum versehe und registrire. Adressant
und Adressat sind eine physische, aber zwei moralische Personen und die Er¬
scheinung, daß der Briefsteller auch selbst sich die Antwort schreibt, dürfte
nicht leicht so oft vorgekommen sein, als in der nassauischen Enclave in der
Wetterau.

Die Details dieser amtlichen Thätigkeit und die seltsame Sprache des
Herrn Amtmanns, wenn er einen „gehorsamen Bericht" des herzoglichen
Landoberschultheißen nunmehr zum dritten Male in Erinnerung bringen mußte,
die Rescripta des Amtmanns an den Landvbcrschultheißen, wenn er zufolge
seiner Dienstvcrpflichtung die ganze Verwaltung der freiwilligen Gerichtsbarkeit
einer sorgfältigen Controle unterzogen hatte und allerlei zu tadeln fand, sind
nicht in die Oeffentlichkeit gedrungen, es waltete darüber das Dicnstgeheimniß
und das mag gut sein, der geneigte Leser kann sich ohne Sorge das Fehlende
ergänzen: Zwiegespräche zweier Seelen in einer Brust.

Manches Jahr ist das so fortgegangen und mehrentheils wohl in Ordnung,
die verschiedenen Behörden unter einem Dache und einem Kopfe haben sich
vertragen, das Gegentheil ist wenigstens nicht bekannt geworden. Wo aber die
Keime zu einer Verwickelung liegen, findet sich die Gelegenheit, und so ging es
auch hier.

Der herzogliche Landoberschultheiß, der Beamte der freiwilligen Gerichts¬
barkeit in Reichelsheim. hatte eines Tages ein Testament aufgenommen, worin
ein kinderloser Unterthan die Erbfolge nach seinem Tode zu ordnen suchte. Wie
es gesetzliche Vorschrift ist, hatte der Landoberschulthciß das Testament zu den
amtlichen Depositen gegeben, es bei sich selbst hinterlegt. Der Testator ist bald
darauf mit Tode abgegangen, und wie es ebenfalls das nassauische Gesetz vor¬
schreibt, wurde das Testament beim Amte in Gegenwart der Jntcstaterben ge¬
öffnet und verkündigt. Was aber der Testator gewollt hatte, daß nach seinem
Tode seine Erben in Friede und mit Vernunft nach den Bestimmungen des
Testaments sich auseinandersetzen sollten, das traf nicht zu, wie so häufig die
letzten Wünsche der Menschen vereitelt werden. Die Erben genethen in einen
Proceß und das Testament gerieth in die Acten, es war ein Beweisstück und
seine Auslegung ein Hauptgrund der Entscheidung. Und die Entscheidung hing
von dem herzoglichen Amte ab, das in erster Instanz Urtheil sprechen mußte.

Der herzogliche Amtmann gab sein Urtheil ab, und es mußte einer oder


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[0096] vor." Er theilte sich selbst Acten mit. Auf dem einen Bureau sitzend, schrieb er an die herzogliche Ncceptur, indem er die Liste der bestraften Fcldfrcvler zur Erhebung und Verrechnung der Geldstrafen mittheilte und der Bureaudiener siegelte den Brief und addresfnte ihn: „An herzogliche Receptur dahier" und trug ihn hinaus aus der Amtsstube und hinüber über den Gang in das Local der Receptur und legte ihn dort auf den Tisch, damit nachher der Herr Rent- meister ihn finde, eröffne, mit dem xrg.os0uta.tum versehe und registrire. Adressant und Adressat sind eine physische, aber zwei moralische Personen und die Er¬ scheinung, daß der Briefsteller auch selbst sich die Antwort schreibt, dürfte nicht leicht so oft vorgekommen sein, als in der nassauischen Enclave in der Wetterau. Die Details dieser amtlichen Thätigkeit und die seltsame Sprache des Herrn Amtmanns, wenn er einen „gehorsamen Bericht" des herzoglichen Landoberschultheißen nunmehr zum dritten Male in Erinnerung bringen mußte, die Rescripta des Amtmanns an den Landvbcrschultheißen, wenn er zufolge seiner Dienstvcrpflichtung die ganze Verwaltung der freiwilligen Gerichtsbarkeit einer sorgfältigen Controle unterzogen hatte und allerlei zu tadeln fand, sind nicht in die Oeffentlichkeit gedrungen, es waltete darüber das Dicnstgeheimniß und das mag gut sein, der geneigte Leser kann sich ohne Sorge das Fehlende ergänzen: Zwiegespräche zweier Seelen in einer Brust. Manches Jahr ist das so fortgegangen und mehrentheils wohl in Ordnung, die verschiedenen Behörden unter einem Dache und einem Kopfe haben sich vertragen, das Gegentheil ist wenigstens nicht bekannt geworden. Wo aber die Keime zu einer Verwickelung liegen, findet sich die Gelegenheit, und so ging es auch hier. Der herzogliche Landoberschultheiß, der Beamte der freiwilligen Gerichts¬ barkeit in Reichelsheim. hatte eines Tages ein Testament aufgenommen, worin ein kinderloser Unterthan die Erbfolge nach seinem Tode zu ordnen suchte. Wie es gesetzliche Vorschrift ist, hatte der Landoberschulthciß das Testament zu den amtlichen Depositen gegeben, es bei sich selbst hinterlegt. Der Testator ist bald darauf mit Tode abgegangen, und wie es ebenfalls das nassauische Gesetz vor¬ schreibt, wurde das Testament beim Amte in Gegenwart der Jntcstaterben ge¬ öffnet und verkündigt. Was aber der Testator gewollt hatte, daß nach seinem Tode seine Erben in Friede und mit Vernunft nach den Bestimmungen des Testaments sich auseinandersetzen sollten, das traf nicht zu, wie so häufig die letzten Wünsche der Menschen vereitelt werden. Die Erben genethen in einen Proceß und das Testament gerieth in die Acten, es war ein Beweisstück und seine Auslegung ein Hauptgrund der Entscheidung. Und die Entscheidung hing von dem herzoglichen Amte ab, das in erster Instanz Urtheil sprechen mußte. Der herzogliche Amtmann gab sein Urtheil ab, und es mußte einer oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/96>, abgerufen am 23.07.2024.