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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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denn des Tempos, bis die überragenden Steilwände des Parnasses eine Grenze
sehen: mit den geringsten Mitteln Hai hier die Natur einen Raum Von ernster
imposantester Großartigkeit geschaffen. Daneben fehlt es auch an freundlicheren
Bildern nicht. Reiten wir zum Beispiel i" die ätherische Ebene hinab und
überschauen die weite Fläche, aus deren Mitte der schroffe Tafelberg der Akro-
polis und der allmälig ansteigende Lykabettos mit seiner kühnen Felsenkrone
sich erheben, ringsum eingerahmt von den feinst geschnittenen Bergumrissen.
Wie ein leise bewegtes Giebelfeld hebt sich hier der pentelische Marmorberg
empor, dort senkt sich der massige Hymettos. noch heute durch seine Bienen
ausgezeichnet, steil gegen das Meer. Ein breiter silbergrüner Streifen durchzieht
die sonst fast baumlose Ebene, es sind die alten heiligen Oelbäume des Zeus
und der Athena. deren Oel den Siegern im panathenäischen Wettkampfe als
Preis gegeben ward. Von den Rändern des Kephissos ziehen sich Gärten Jahr
für Jahr näher an die niedrige Felshöhe des Kolonos heran, und bald wird
wie zu Sophokles Zeiten wiederum


singen in schattigen Auen
Die Nachtigall zahlreich schwärmend
Ihr hell ertönendes Lied,

es werden auch wieder muntere Narcissen und Krokus erblühen, wo jetzt nur die
bleiche Todtenblume Asphodelos den marmornen Grabstein Karl Otfried Müllers
um giebt.

Müller liegt dort begraben, eines der edelsten Opfer, das die wiedergewon¬
nene Anschauung Griechenlands von der Wissenschaft gefordert hat, einer der
eifrigsten Vorkämpfer in Wort und That für die damals noch neue Richtung
der Altertumswissenschaft. Schon im Beginne unseres Jahrhunderts hatte ein
Mann, dem wir die Einsich! verdankten, daß die homerischen Gesänge das Er¬
zeugnis? nicht eines einzelnen Dichters, sondern eines ganzen dichtenden Zeit¬
alters seien, hatte Friedrich August Wolf von der Philologie die engen Fesseln
abgestreift, welche die pedantische Schulgelchrsamkeit ihr angelegt hatte, und sie
zur Altertumswissenschaft erhoben, die keine Seite des antiken Culturlebens
unberücksichtigt zu lassen, sondern alle in einem einzigen B>the zusammenzufassen
hat. Damit war der Weg gewiesen aus der Enge der rein grammatischen Be¬
trachtung und der zersplitteristcn Kleinigkeitskrämerei zu der Ausfassung des
classischen Alterthums als einer einheitlichen, lebendig sich entwickelnden Geistes¬
bewegung. Man brauchte nicht zu sorgen, daß darüber die geringeren Aufgaben
der Philologie vernachlässigt werden möchten. Im Gegentheil, seit den Tagen
der italienischen Renaissance ist kein Zeitalter so unermüdlich thätig gewesen,
das philologische Material herbeizuschaffen, zu sichten, zu läutern. Wiederum
bleibt keine Bibliothek nndurchsucht, immer neu ans Liebt tretende Handschriften
bieten uns die alten Schriftsteller in reinerer Gestalt dar, große Sprachmeister


denn des Tempos, bis die überragenden Steilwände des Parnasses eine Grenze
sehen: mit den geringsten Mitteln Hai hier die Natur einen Raum Von ernster
imposantester Großartigkeit geschaffen. Daneben fehlt es auch an freundlicheren
Bildern nicht. Reiten wir zum Beispiel i» die ätherische Ebene hinab und
überschauen die weite Fläche, aus deren Mitte der schroffe Tafelberg der Akro-
polis und der allmälig ansteigende Lykabettos mit seiner kühnen Felsenkrone
sich erheben, ringsum eingerahmt von den feinst geschnittenen Bergumrissen.
Wie ein leise bewegtes Giebelfeld hebt sich hier der pentelische Marmorberg
empor, dort senkt sich der massige Hymettos. noch heute durch seine Bienen
ausgezeichnet, steil gegen das Meer. Ein breiter silbergrüner Streifen durchzieht
die sonst fast baumlose Ebene, es sind die alten heiligen Oelbäume des Zeus
und der Athena. deren Oel den Siegern im panathenäischen Wettkampfe als
Preis gegeben ward. Von den Rändern des Kephissos ziehen sich Gärten Jahr
für Jahr näher an die niedrige Felshöhe des Kolonos heran, und bald wird
wie zu Sophokles Zeiten wiederum


singen in schattigen Auen
Die Nachtigall zahlreich schwärmend
Ihr hell ertönendes Lied,

es werden auch wieder muntere Narcissen und Krokus erblühen, wo jetzt nur die
bleiche Todtenblume Asphodelos den marmornen Grabstein Karl Otfried Müllers
um giebt.

Müller liegt dort begraben, eines der edelsten Opfer, das die wiedergewon¬
nene Anschauung Griechenlands von der Wissenschaft gefordert hat, einer der
eifrigsten Vorkämpfer in Wort und That für die damals noch neue Richtung
der Altertumswissenschaft. Schon im Beginne unseres Jahrhunderts hatte ein
Mann, dem wir die Einsich! verdankten, daß die homerischen Gesänge das Er¬
zeugnis? nicht eines einzelnen Dichters, sondern eines ganzen dichtenden Zeit¬
alters seien, hatte Friedrich August Wolf von der Philologie die engen Fesseln
abgestreift, welche die pedantische Schulgelchrsamkeit ihr angelegt hatte, und sie
zur Altertumswissenschaft erhoben, die keine Seite des antiken Culturlebens
unberücksichtigt zu lassen, sondern alle in einem einzigen B>the zusammenzufassen
hat. Damit war der Weg gewiesen aus der Enge der rein grammatischen Be¬
trachtung und der zersplitteristcn Kleinigkeitskrämerei zu der Ausfassung des
classischen Alterthums als einer einheitlichen, lebendig sich entwickelnden Geistes¬
bewegung. Man brauchte nicht zu sorgen, daß darüber die geringeren Aufgaben
der Philologie vernachlässigt werden möchten. Im Gegentheil, seit den Tagen
der italienischen Renaissance ist kein Zeitalter so unermüdlich thätig gewesen,
das philologische Material herbeizuschaffen, zu sichten, zu läutern. Wiederum
bleibt keine Bibliothek nndurchsucht, immer neu ans Liebt tretende Handschriften
bieten uns die alten Schriftsteller in reinerer Gestalt dar, große Sprachmeister


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[0063] denn des Tempos, bis die überragenden Steilwände des Parnasses eine Grenze sehen: mit den geringsten Mitteln Hai hier die Natur einen Raum Von ernster imposantester Großartigkeit geschaffen. Daneben fehlt es auch an freundlicheren Bildern nicht. Reiten wir zum Beispiel i» die ätherische Ebene hinab und überschauen die weite Fläche, aus deren Mitte der schroffe Tafelberg der Akro- polis und der allmälig ansteigende Lykabettos mit seiner kühnen Felsenkrone sich erheben, ringsum eingerahmt von den feinst geschnittenen Bergumrissen. Wie ein leise bewegtes Giebelfeld hebt sich hier der pentelische Marmorberg empor, dort senkt sich der massige Hymettos. noch heute durch seine Bienen ausgezeichnet, steil gegen das Meer. Ein breiter silbergrüner Streifen durchzieht die sonst fast baumlose Ebene, es sind die alten heiligen Oelbäume des Zeus und der Athena. deren Oel den Siegern im panathenäischen Wettkampfe als Preis gegeben ward. Von den Rändern des Kephissos ziehen sich Gärten Jahr für Jahr näher an die niedrige Felshöhe des Kolonos heran, und bald wird wie zu Sophokles Zeiten wiederum singen in schattigen Auen Die Nachtigall zahlreich schwärmend Ihr hell ertönendes Lied, es werden auch wieder muntere Narcissen und Krokus erblühen, wo jetzt nur die bleiche Todtenblume Asphodelos den marmornen Grabstein Karl Otfried Müllers um giebt. Müller liegt dort begraben, eines der edelsten Opfer, das die wiedergewon¬ nene Anschauung Griechenlands von der Wissenschaft gefordert hat, einer der eifrigsten Vorkämpfer in Wort und That für die damals noch neue Richtung der Altertumswissenschaft. Schon im Beginne unseres Jahrhunderts hatte ein Mann, dem wir die Einsich! verdankten, daß die homerischen Gesänge das Er¬ zeugnis? nicht eines einzelnen Dichters, sondern eines ganzen dichtenden Zeit¬ alters seien, hatte Friedrich August Wolf von der Philologie die engen Fesseln abgestreift, welche die pedantische Schulgelchrsamkeit ihr angelegt hatte, und sie zur Altertumswissenschaft erhoben, die keine Seite des antiken Culturlebens unberücksichtigt zu lassen, sondern alle in einem einzigen B>the zusammenzufassen hat. Damit war der Weg gewiesen aus der Enge der rein grammatischen Be¬ trachtung und der zersplitteristcn Kleinigkeitskrämerei zu der Ausfassung des classischen Alterthums als einer einheitlichen, lebendig sich entwickelnden Geistes¬ bewegung. Man brauchte nicht zu sorgen, daß darüber die geringeren Aufgaben der Philologie vernachlässigt werden möchten. Im Gegentheil, seit den Tagen der italienischen Renaissance ist kein Zeitalter so unermüdlich thätig gewesen, das philologische Material herbeizuschaffen, zu sichten, zu läutern. Wiederum bleibt keine Bibliothek nndurchsucht, immer neu ans Liebt tretende Handschriften bieten uns die alten Schriftsteller in reinerer Gestalt dar, große Sprachmeister

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/63>, abgerufen am 23.12.2024.