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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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wiederum unter einander, so daß die Fehden^ infolge davon eher noch massen¬
hafter und verheerender wurden. Es war eine traurige Anarchie.

Das unablässige und hauptsächlichste Ringen und Streben der ganzen Zeit
war und blieb daber auf Herstellung eines wahrhaft und allgemein wirksamen
Landfriedens gerichtet, also eines Landfriedens, der alle Fehden ohne Unterschied
bei Strafe verbot, der sich über das ganze Reich erstreckte und gerichtlich-execu-
tivisch auch wirklich gehandhabt wurde. Das war die überall und stets von
neuem hervortretende nächste und dringlichste Aufgabe der Fortbildung der
Reichsverfassung. Das fühlten, erkannten, erstrebten alle -- im Principe. Aber
sobald man dem Gegenstände praktisch näher trat, sobald man auf die Specia¬
litäten der Ausführung einging, traten die divergirenden Interessen des Kaisers
einerseits und der Reichsstänoe andererseits, und der Reichsstände wiederum
unter einander so hemmend entgegen, daß etwas Durchgreifendes und Wirksames
eben doch nicht zu Stande kam. Namentlich scheiterte man an der Organisation
der Handhabung des Landfriedens. Eine richterliche Instanz war unerläßlich;
aber den kaiserlichen Land- und Hofgerichten suchten sich die Reichsfürsten zu
entziehen, und die Ansträgalgerichte sah wiederum der Kaiser als seinem Ansehen
nachtlmlig an. So schwankte man fast ein Jahrhundert zwischen Vorschlägen
und Gegenvorschlägen fruchtlos hin und her.

Dazu kamen die schon tiefgehenden kirchlichen Kämpfe jener Zeit, der be¬
deutende Fluß, in welchen das Leben der Kirche damals bereits gekommen war.
Der Sturz der Hohenstaufen war gleichbedeutend mit dem Siege des Papst¬
thums. Aber während Bonifaz der Achte das geistliche Schwert stolz über dem
weltlichen schwang, begann schon der Boden unter den Füßen des Papstthums
selbst zu wanken. Durch die gesteigerten Mißbräuche der Kirche, durch die An¬
maßungen der Päpstlichen Gewalt, durch die Verderbtheit der obersten Kirchen-
fürsten und mehr oder minder des Klerus überhaupt, war allmälig in dem
Kreise der Kirche selbst die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit bessernden
-Eingreifens in die Zustände derselben lebendig geworden. Das dazu tretende
große Schisma konnte dieses Verlangen nur fördern. Es standen aus den
Reihen der Franziskaner, Dominikaner, Mystiker und Gottesfreunde jene be¬
geisterten Männer auf, welche die Umkehr der Kirche aus der Ueppigkeit zur
freiwilligen Armuth, aus der Aeußerlichkeit in die Innerlichkeit, aus der Sünde
zur inneren Reinigung predigten. Johannes Tauler riß in den Städten die
Menge mit sich fort. Marsilius von Padua schrieb unter dem Titel "äötellLor
P-reif" jenes merkwürdige Buch, in welchem bereits die heilige Schrift als
Grundlage des christlichen Glaubens angenommen, nicht Petrus, sondern Christus
selbst als Fels der Kirche erkannt und die Autorität derselben auf die vom
heiligen Geiste geleitete versammelte Geistlichkeit, die Kompetenz der Kirche auf
d>e rein kirchlichen Angelegenheiten zurückgeführt wurde. Das Verlangen, der


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wiederum unter einander, so daß die Fehden^ infolge davon eher noch massen¬
hafter und verheerender wurden. Es war eine traurige Anarchie.

Das unablässige und hauptsächlichste Ringen und Streben der ganzen Zeit
war und blieb daber auf Herstellung eines wahrhaft und allgemein wirksamen
Landfriedens gerichtet, also eines Landfriedens, der alle Fehden ohne Unterschied
bei Strafe verbot, der sich über das ganze Reich erstreckte und gerichtlich-execu-
tivisch auch wirklich gehandhabt wurde. Das war die überall und stets von
neuem hervortretende nächste und dringlichste Aufgabe der Fortbildung der
Reichsverfassung. Das fühlten, erkannten, erstrebten alle — im Principe. Aber
sobald man dem Gegenstände praktisch näher trat, sobald man auf die Specia¬
litäten der Ausführung einging, traten die divergirenden Interessen des Kaisers
einerseits und der Reichsstänoe andererseits, und der Reichsstände wiederum
unter einander so hemmend entgegen, daß etwas Durchgreifendes und Wirksames
eben doch nicht zu Stande kam. Namentlich scheiterte man an der Organisation
der Handhabung des Landfriedens. Eine richterliche Instanz war unerläßlich;
aber den kaiserlichen Land- und Hofgerichten suchten sich die Reichsfürsten zu
entziehen, und die Ansträgalgerichte sah wiederum der Kaiser als seinem Ansehen
nachtlmlig an. So schwankte man fast ein Jahrhundert zwischen Vorschlägen
und Gegenvorschlägen fruchtlos hin und her.

Dazu kamen die schon tiefgehenden kirchlichen Kämpfe jener Zeit, der be¬
deutende Fluß, in welchen das Leben der Kirche damals bereits gekommen war.
Der Sturz der Hohenstaufen war gleichbedeutend mit dem Siege des Papst¬
thums. Aber während Bonifaz der Achte das geistliche Schwert stolz über dem
weltlichen schwang, begann schon der Boden unter den Füßen des Papstthums
selbst zu wanken. Durch die gesteigerten Mißbräuche der Kirche, durch die An¬
maßungen der Päpstlichen Gewalt, durch die Verderbtheit der obersten Kirchen-
fürsten und mehr oder minder des Klerus überhaupt, war allmälig in dem
Kreise der Kirche selbst die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit bessernden
-Eingreifens in die Zustände derselben lebendig geworden. Das dazu tretende
große Schisma konnte dieses Verlangen nur fördern. Es standen aus den
Reihen der Franziskaner, Dominikaner, Mystiker und Gottesfreunde jene be¬
geisterten Männer auf, welche die Umkehr der Kirche aus der Ueppigkeit zur
freiwilligen Armuth, aus der Aeußerlichkeit in die Innerlichkeit, aus der Sünde
zur inneren Reinigung predigten. Johannes Tauler riß in den Städten die
Menge mit sich fort. Marsilius von Padua schrieb unter dem Titel „äötellLor
P-reif" jenes merkwürdige Buch, in welchem bereits die heilige Schrift als
Grundlage des christlichen Glaubens angenommen, nicht Petrus, sondern Christus
selbst als Fels der Kirche erkannt und die Autorität derselben auf die vom
heiligen Geiste geleitete versammelte Geistlichkeit, die Kompetenz der Kirche auf
d>e rein kirchlichen Angelegenheiten zurückgeführt wurde. Das Verlangen, der


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[0471] wiederum unter einander, so daß die Fehden^ infolge davon eher noch massen¬ hafter und verheerender wurden. Es war eine traurige Anarchie. Das unablässige und hauptsächlichste Ringen und Streben der ganzen Zeit war und blieb daber auf Herstellung eines wahrhaft und allgemein wirksamen Landfriedens gerichtet, also eines Landfriedens, der alle Fehden ohne Unterschied bei Strafe verbot, der sich über das ganze Reich erstreckte und gerichtlich-execu- tivisch auch wirklich gehandhabt wurde. Das war die überall und stets von neuem hervortretende nächste und dringlichste Aufgabe der Fortbildung der Reichsverfassung. Das fühlten, erkannten, erstrebten alle — im Principe. Aber sobald man dem Gegenstände praktisch näher trat, sobald man auf die Specia¬ litäten der Ausführung einging, traten die divergirenden Interessen des Kaisers einerseits und der Reichsstänoe andererseits, und der Reichsstände wiederum unter einander so hemmend entgegen, daß etwas Durchgreifendes und Wirksames eben doch nicht zu Stande kam. Namentlich scheiterte man an der Organisation der Handhabung des Landfriedens. Eine richterliche Instanz war unerläßlich; aber den kaiserlichen Land- und Hofgerichten suchten sich die Reichsfürsten zu entziehen, und die Ansträgalgerichte sah wiederum der Kaiser als seinem Ansehen nachtlmlig an. So schwankte man fast ein Jahrhundert zwischen Vorschlägen und Gegenvorschlägen fruchtlos hin und her. Dazu kamen die schon tiefgehenden kirchlichen Kämpfe jener Zeit, der be¬ deutende Fluß, in welchen das Leben der Kirche damals bereits gekommen war. Der Sturz der Hohenstaufen war gleichbedeutend mit dem Siege des Papst¬ thums. Aber während Bonifaz der Achte das geistliche Schwert stolz über dem weltlichen schwang, begann schon der Boden unter den Füßen des Papstthums selbst zu wanken. Durch die gesteigerten Mißbräuche der Kirche, durch die An¬ maßungen der Päpstlichen Gewalt, durch die Verderbtheit der obersten Kirchen- fürsten und mehr oder minder des Klerus überhaupt, war allmälig in dem Kreise der Kirche selbst die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit bessernden -Eingreifens in die Zustände derselben lebendig geworden. Das dazu tretende große Schisma konnte dieses Verlangen nur fördern. Es standen aus den Reihen der Franziskaner, Dominikaner, Mystiker und Gottesfreunde jene be¬ geisterten Männer auf, welche die Umkehr der Kirche aus der Ueppigkeit zur freiwilligen Armuth, aus der Aeußerlichkeit in die Innerlichkeit, aus der Sünde zur inneren Reinigung predigten. Johannes Tauler riß in den Städten die Menge mit sich fort. Marsilius von Padua schrieb unter dem Titel „äötellLor P-reif" jenes merkwürdige Buch, in welchem bereits die heilige Schrift als Grundlage des christlichen Glaubens angenommen, nicht Petrus, sondern Christus selbst als Fels der Kirche erkannt und die Autorität derselben auf die vom heiligen Geiste geleitete versammelte Geistlichkeit, die Kompetenz der Kirche auf d>e rein kirchlichen Angelegenheiten zurückgeführt wurde. Das Verlangen, der Grenzboten I. 18K7. 50

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/471>, abgerufen am 30.09.2024.