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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Seine Rcdnerkraft ist auch sehr erlahmt und was ihr vollständig abgeht, das
ist die Logik. Auf die große Menge berechnet, sucht seine Rede durch Knall-
effecte zu zünden, verfehlt aber auf die Abgeordneten selbst die Wirkung. Zu¬
meist czechisch sprechend, läßt er es sich doch zuweilen nicht nehmen, auch in
deutscher Sprache Proben seines oratorischen Talentes zu geben. Der politischen
Richtung nach hat Dr. Rieger seine frühere demokratische Gesinnung gänzlich
eingebüßt. Er ist Großgrundbesitzer geworden und hat seine feudalen Umwan-
delungen trotz jedes Aristokraten vom reinsten Wasser. Er schwärmt für die
Allianz mit dem Adel und ist gern bereit, dieser alle Rechte des Volkes zu
opfern, wenn nur die czechische Nationalität und auch sein Ehrgeiz befriedigt
wird. Gelangte Dr. Rieger zur Negierung, wir bekämen eine neue reactio-
näre Aera.

Sein Gegenpartner ist Sladkovsky, der Führer der Iungczecben. Der schmäch¬
tige, kränklich und düster aussehende Mann, dem das Geschick bereits manchen
herben Streich gespielt, ist ein leidenschaftlicher, aber ehrlicher Czecbe. In seinen
Landtagsreden verfocht er zuweilen seinen extrem demokratischen Standpunkt, der
ihn früher auch ins Gefängniß gebracht hat, mit so erschreckender Erregtheit,
daß die adeligen Herren die Farbe wechselten in der Sorge, die Zuhörer könnten
gleich mit Waffen zum Experiment übergehen. In der jüngsten Zeit aber haben
ihn die Parteigenossen zahmer gemacht und von der Nothwendigkeit der Allianz
mit dem Adel und dem Klerus, die er bisher aufs leidenschaftlichste bekämpfte,
zu Nutz und Frommen der czechischen Nation zu überzeugen gesucht. Nun
schweigt er über diesen Punkt und wird nur heftig gegen -- die Deutschen.
Doch glaube ich, es ließe sich von deutsch-liberaler Seite eher mit Sladkovsky
und seinem Anhange ein Kompromiß anbahnen, als mit Rieger und Konsorten;
ein nützlicherer jedenfalls, denn ersterer hat im flachen Lande unter dem czechische"
Volke jetzt mehr Gewicht als dieser und zwischen beiden herrscht eine gewaltige
Rivalität.

Neben Sladkovsky repräsentiren die czechisch-demokratische Partei im Land¬
tage noch I)r. Greger, der Redacteur der Närodni listy, Wawra. ehemaliger'
Redacteur des "Hiäh", der bereits im Jahre 1848 kriegsrechtlich Verurtheilt
Wurde, Tonner, der in Anerkennung seines lebhaften Beifallrufens in Abgeord-
netcnl'reisen den Spitznamen "Stabstrompeter der Se. Wenzelskrone" führt.

Im Centrum sitzen noch manche czechische Notabilitäten, die aber in der
Nähe sehr verlieren. Dr. Brauner, früher neben Rieger und Palazky zur
Führertrias der Czechen gehörend, zieht sich wegen Kränklichkeit vom politischen
Schauplatze mehr zurück. Er ist ein ziemlich nüchterner Beurtheiler der Ver¬
hältnisse, und in der Debatte zeigt er den ruhigen Juristen. Dr. Trojan hat
s'es überlebt. Seine Reden sind durch ihre Weitschweifigkeit und bombastischer
Aufputz der Schrecken aller Zuhörer. Bemerkbar macht sich noch Zeithammer.


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Seine Rcdnerkraft ist auch sehr erlahmt und was ihr vollständig abgeht, das
ist die Logik. Auf die große Menge berechnet, sucht seine Rede durch Knall-
effecte zu zünden, verfehlt aber auf die Abgeordneten selbst die Wirkung. Zu¬
meist czechisch sprechend, läßt er es sich doch zuweilen nicht nehmen, auch in
deutscher Sprache Proben seines oratorischen Talentes zu geben. Der politischen
Richtung nach hat Dr. Rieger seine frühere demokratische Gesinnung gänzlich
eingebüßt. Er ist Großgrundbesitzer geworden und hat seine feudalen Umwan-
delungen trotz jedes Aristokraten vom reinsten Wasser. Er schwärmt für die
Allianz mit dem Adel und ist gern bereit, dieser alle Rechte des Volkes zu
opfern, wenn nur die czechische Nationalität und auch sein Ehrgeiz befriedigt
wird. Gelangte Dr. Rieger zur Negierung, wir bekämen eine neue reactio-
näre Aera.

Sein Gegenpartner ist Sladkovsky, der Führer der Iungczecben. Der schmäch¬
tige, kränklich und düster aussehende Mann, dem das Geschick bereits manchen
herben Streich gespielt, ist ein leidenschaftlicher, aber ehrlicher Czecbe. In seinen
Landtagsreden verfocht er zuweilen seinen extrem demokratischen Standpunkt, der
ihn früher auch ins Gefängniß gebracht hat, mit so erschreckender Erregtheit,
daß die adeligen Herren die Farbe wechselten in der Sorge, die Zuhörer könnten
gleich mit Waffen zum Experiment übergehen. In der jüngsten Zeit aber haben
ihn die Parteigenossen zahmer gemacht und von der Nothwendigkeit der Allianz
mit dem Adel und dem Klerus, die er bisher aufs leidenschaftlichste bekämpfte,
zu Nutz und Frommen der czechischen Nation zu überzeugen gesucht. Nun
schweigt er über diesen Punkt und wird nur heftig gegen — die Deutschen.
Doch glaube ich, es ließe sich von deutsch-liberaler Seite eher mit Sladkovsky
und seinem Anhange ein Kompromiß anbahnen, als mit Rieger und Konsorten;
ein nützlicherer jedenfalls, denn ersterer hat im flachen Lande unter dem czechische»
Volke jetzt mehr Gewicht als dieser und zwischen beiden herrscht eine gewaltige
Rivalität.

Neben Sladkovsky repräsentiren die czechisch-demokratische Partei im Land¬
tage noch I)r. Greger, der Redacteur der Närodni listy, Wawra. ehemaliger'
Redacteur des „Hiäh", der bereits im Jahre 1848 kriegsrechtlich Verurtheilt
Wurde, Tonner, der in Anerkennung seines lebhaften Beifallrufens in Abgeord-
netcnl'reisen den Spitznamen „Stabstrompeter der Se. Wenzelskrone" führt.

Im Centrum sitzen noch manche czechische Notabilitäten, die aber in der
Nähe sehr verlieren. Dr. Brauner, früher neben Rieger und Palazky zur
Führertrias der Czechen gehörend, zieht sich wegen Kränklichkeit vom politischen
Schauplatze mehr zurück. Er ist ein ziemlich nüchterner Beurtheiler der Ver¬
hältnisse, und in der Debatte zeigt er den ruhigen Juristen. Dr. Trojan hat
s'es überlebt. Seine Reden sind durch ihre Weitschweifigkeit und bombastischer
Aufputz der Schrecken aller Zuhörer. Bemerkbar macht sich noch Zeithammer.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/441>, abgerufen am 28.09.2024.