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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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selten genau gekannt. -- Denn wenn auch bei jedem auf dem Continent auf¬
tauchenden neuen staatsrechtlichen Problem in den Einrichtungen des englischen
Constitutionalismus nach einem Maßstabe der Beurtheilung gesucht zu werden
pflegt, so ist doch schon der Umstand, daß häufig sich die extremen Parteien
beider Seiten auf das Borbild Englands berufen zu können glauben, ein mehr als
deutlicher Beweis dafür, daß die staatlichen Institutionen dieses Landes g, multig
jgnoi'g.ta, g, Mueis eogniw sind. -- Der natürliche Grund dieser Erscheinung
liegt darin, daß die Grundzüge der englischen Verfassung nicht in ein Staats¬
grundgesetz zusammengedrängt sind, dessen wenige Paragraphen sich leicht über¬
sehen und bequem citiren lassen, sondern daß es nothwendig wird, aus einer
kaum übersehbaren Reihe von Statuten und Protokollen die für jede einzelne
Frage maßgebende Bestimmung zu ermitteln, und die Art ihrer Anwendung in
den entscheidenden Präcedenzfällen festzustellen. -- Dazu kommt, daß meisten"
theils ein Verständniß dieser Bestimmungen nicht möglich ist ohne einen klaren
Einblick in den Organismus der Verwaltung, in die Stellung der richterlichen
und Executivbehördcn, und daß letztere wiederum nur'aus der historischen Ent¬
wickelung der einzelnen Institutionen begriffen werden kann. Denn das ist der
große Vorzug des englischen Staatsrechts, daß es organisch erwachsen ist aus
und mit dem Staate selbst; -- und die Abneigung der Engländer nicht nur
gegen jedes Expcnmentircn mit bedenklichen Neuerungen, sondern sogar gegen
eine übersichtliche Codification der bestehenden Bestimmungen. -- die übertriebene
Wichtigkeit, die den Präcedenzfällen beigelegt wird, -- ja selbst das starre Fest¬
halten an gleichgiltigen, oft barocken Formalitäten, die durch den verschönernden
Rost der Jahrhunderte geheiligt erscheine", sind nur die Kehrseite der Medaille;
-- sie wurzeln in der Ehrfurcht vor der historischen Ueberlieferung. -- Mag es
z.B. aber auch ausfallend, selbst komisch erscheinen, daß noch jetzt ein alter-
thümliches Französisch die officielle Sprache für den Verkehr der Parlamcnts-
bäuser unter einander und mit dem Souverän ist, und vom Unterhaus ein Ge¬
setzvorschlag mit dem Vermerk: "8c>i't da,iI16 g.ux seiZueurs" an das Oberhaus
geschickt wird, um von dort für den Fall der Amendirnng mit der Formel:
>A Lese bitte; u-vvoizue leg g.in6ir6izmönt,s ü, nefas Knie u,im"xes I<zö ssigncurs
sont ÄKsvirtus!" zurückgesandt und schließlich durch rin: "le roz? Jo poule" zum
Gesetz erhoben z" werden, so liegt darin doch der Beweis, daß die Freiheiten
des englischen Volks älter sind, als die Sprache, welche es jetzt spricht, und daß
die Entwickelung der englischen Verfassung seit der mu,Mg. elrurtu eine, wenn
auch nicht ununterbrochene, doch unaufhaltsame gewesen ist.

Ein Werk, welches die jetzigen Staatseinrichtungen Englands übersichtlich
zusammenstellt und zugleich durch die Darstellung der historischen Entwickelung
derselben ihre Bedeutung und innere Nothwendigkeit erläutert, hilft in Wahrheit
einem beschämenden Mangel ab, und dieses Verdienst hat sich Homersham Cox


54*

selten genau gekannt. — Denn wenn auch bei jedem auf dem Continent auf¬
tauchenden neuen staatsrechtlichen Problem in den Einrichtungen des englischen
Constitutionalismus nach einem Maßstabe der Beurtheilung gesucht zu werden
pflegt, so ist doch schon der Umstand, daß häufig sich die extremen Parteien
beider Seiten auf das Borbild Englands berufen zu können glauben, ein mehr als
deutlicher Beweis dafür, daß die staatlichen Institutionen dieses Landes g, multig
jgnoi'g.ta, g, Mueis eogniw sind. — Der natürliche Grund dieser Erscheinung
liegt darin, daß die Grundzüge der englischen Verfassung nicht in ein Staats¬
grundgesetz zusammengedrängt sind, dessen wenige Paragraphen sich leicht über¬
sehen und bequem citiren lassen, sondern daß es nothwendig wird, aus einer
kaum übersehbaren Reihe von Statuten und Protokollen die für jede einzelne
Frage maßgebende Bestimmung zu ermitteln, und die Art ihrer Anwendung in
den entscheidenden Präcedenzfällen festzustellen. — Dazu kommt, daß meisten«
theils ein Verständniß dieser Bestimmungen nicht möglich ist ohne einen klaren
Einblick in den Organismus der Verwaltung, in die Stellung der richterlichen
und Executivbehördcn, und daß letztere wiederum nur'aus der historischen Ent¬
wickelung der einzelnen Institutionen begriffen werden kann. Denn das ist der
große Vorzug des englischen Staatsrechts, daß es organisch erwachsen ist aus
und mit dem Staate selbst; — und die Abneigung der Engländer nicht nur
gegen jedes Expcnmentircn mit bedenklichen Neuerungen, sondern sogar gegen
eine übersichtliche Codification der bestehenden Bestimmungen. — die übertriebene
Wichtigkeit, die den Präcedenzfällen beigelegt wird, — ja selbst das starre Fest¬
halten an gleichgiltigen, oft barocken Formalitäten, die durch den verschönernden
Rost der Jahrhunderte geheiligt erscheine», sind nur die Kehrseite der Medaille;
— sie wurzeln in der Ehrfurcht vor der historischen Ueberlieferung. — Mag es
z.B. aber auch ausfallend, selbst komisch erscheinen, daß noch jetzt ein alter-
thümliches Französisch die officielle Sprache für den Verkehr der Parlamcnts-
bäuser unter einander und mit dem Souverän ist, und vom Unterhaus ein Ge¬
setzvorschlag mit dem Vermerk: „8c>i't da,iI16 g.ux seiZueurs" an das Oberhaus
geschickt wird, um von dort für den Fall der Amendirnng mit der Formel:
>A Lese bitte; u-vvoizue leg g.in6ir6izmönt,s ü, nefas Knie u,im«xes I<zö ssigncurs
sont ÄKsvirtus!" zurückgesandt und schließlich durch rin: „le roz? Jo poule" zum
Gesetz erhoben z» werden, so liegt darin doch der Beweis, daß die Freiheiten
des englischen Volks älter sind, als die Sprache, welche es jetzt spricht, und daß
die Entwickelung der englischen Verfassung seit der mu,Mg. elrurtu eine, wenn
auch nicht ununterbrochene, doch unaufhaltsame gewesen ist.

Ein Werk, welches die jetzigen Staatseinrichtungen Englands übersichtlich
zusammenstellt und zugleich durch die Darstellung der historischen Entwickelung
derselben ihre Bedeutung und innere Nothwendigkeit erläutert, hilft in Wahrheit
einem beschämenden Mangel ab, und dieses Verdienst hat sich Homersham Cox


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/433>, abgerufen am 28.09.2024.