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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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eine schmale Landstraße Platz übrig. Unterhalb Binden folgt jenes berüchtigte
Felsenriff, das dinger Loch, bis in unser Jahrhundert eine unheimliche, Gefahr
drohende Durchfahrt. Neben den vielen malerischen Bauten alter und neuer
Zeit, die an den Rebenhügeln die Blicke des Reisenden bald auf die eine, bald
aus die andre Seite des Ufers lenke", steigt mitten im Flusse auf einem Quarz-
felsen wie eine Warte für den Schiffer an gefährlicher Stelle oberhalb der
Stromschnelle des hinger Loches ein wohlgefügter finsterer Thurm empor, dessen
gewaltige Quadern ^seit Jahrhunderten den grünliche" Fluten wie dem stoßende"
Eisgange trotzen. Durch seine Banart aus das spätere Mittelalter hindeutend
zierten ihn einst ein spitzes Dach und Eckihürmchen, wie den Giebichenstein bei
Halle, aber seine alten Zinnen sind verfallen. Von diesem düsteren Bau. genannt
der Mäusethurm. geht eine wunderbare Sage, die dem Fremden noch heute ebenso
erzählt wird, wie es unseres Wissens schon vor 500 Jahren geschehen ist.

Zu Mainz regierte einst ein Erzbischof Hatto. ein sehr harter und geiziger
Herr. Unter ihm brach eine schwere Theuerung aus, so daß die Menschen zu
Hunden und Katzen ihre Zuflucht nahmen und doch viele Hungers starben. Als
die Armen nun von weit und breit zu seinem bischöflichen Sitze zusammen¬
strömten und um Brod schrien, da verhieß Hatto sie zu speisen, ließ sie alle in
eine geräumige Scheune vor der Stadt eintreten und die Thüren zusperren.
Dann legte er Feuer an und verbrannte erbarmungslos die Scheune mit den
arruen Leuten, daß sie sammt und sonders elendiglich darin umkamen. Bei
ihrem Gewimmer rief der unmenschliche Bischof hohnlachend aus: Hört, hört,
wie. die Mäuse pfeifen! oder nach anderm Berichte: Es ist eben mit ihnen,
als mit den Mäusen, die das Korn fressen und nirgend zu Nutze sind. Doch
Gott der Herr ließ den Frevel nicht ungervchen. Nicht lange, so erhob sich
aus den Flamme" selbst eine gewaltige Schaar von Mäusen, die bei Tage und
bei Nacht den Bischof von alle" Seiten umringten und mit ihren Zähnen an¬
fielen, daß sie ihm keine Ruhe ließen und er sich ihrer nirgend erwehren konnte.
Endlich, da er sich keinen andern Schutz mehr wußte, ließ er bei Bingen mitten
im Rhein einen festen Thurm erbauen, um dort vor ihnen sicher zu sein, aber
durch die Fluten schwammen ihm die Bestien nach, an den Wänden stiegen sie
empor, durch alle Fenster des Thurmes dränge" sie auf ihn ein, bis er Gottes
Urtheil erkennend unter ihren Bisse" seinen Geist aufgab. -- So lautet über¬
einstimmend die Erzählung: einige berichten noch, die Mäuse hätten zum Vor¬
zeichen des Verderbens den Namen Halloh vertilgt, wo sie ihn fanden, nament¬
lich an den Wänden, andre, er habe sich bei Betheuerungen die vermessene Re¬
densart angewöhnt: Wenn das nicht wahr ist, sollen mich die Mänse fressen,
die endlich zur Wahrheit wurde.

Daß dieser Sage nicht ein wie auch immer entstelltes geschichtliches Ereigniß
zu Grunde liegt, ist, wenn wir den unglaublichen Hergang selbst, die Zeitum-


eine schmale Landstraße Platz übrig. Unterhalb Binden folgt jenes berüchtigte
Felsenriff, das dinger Loch, bis in unser Jahrhundert eine unheimliche, Gefahr
drohende Durchfahrt. Neben den vielen malerischen Bauten alter und neuer
Zeit, die an den Rebenhügeln die Blicke des Reisenden bald auf die eine, bald
aus die andre Seite des Ufers lenke», steigt mitten im Flusse auf einem Quarz-
felsen wie eine Warte für den Schiffer an gefährlicher Stelle oberhalb der
Stromschnelle des hinger Loches ein wohlgefügter finsterer Thurm empor, dessen
gewaltige Quadern ^seit Jahrhunderten den grünliche» Fluten wie dem stoßende»
Eisgange trotzen. Durch seine Banart aus das spätere Mittelalter hindeutend
zierten ihn einst ein spitzes Dach und Eckihürmchen, wie den Giebichenstein bei
Halle, aber seine alten Zinnen sind verfallen. Von diesem düsteren Bau. genannt
der Mäusethurm. geht eine wunderbare Sage, die dem Fremden noch heute ebenso
erzählt wird, wie es unseres Wissens schon vor 500 Jahren geschehen ist.

Zu Mainz regierte einst ein Erzbischof Hatto. ein sehr harter und geiziger
Herr. Unter ihm brach eine schwere Theuerung aus, so daß die Menschen zu
Hunden und Katzen ihre Zuflucht nahmen und doch viele Hungers starben. Als
die Armen nun von weit und breit zu seinem bischöflichen Sitze zusammen¬
strömten und um Brod schrien, da verhieß Hatto sie zu speisen, ließ sie alle in
eine geräumige Scheune vor der Stadt eintreten und die Thüren zusperren.
Dann legte er Feuer an und verbrannte erbarmungslos die Scheune mit den
arruen Leuten, daß sie sammt und sonders elendiglich darin umkamen. Bei
ihrem Gewimmer rief der unmenschliche Bischof hohnlachend aus: Hört, hört,
wie. die Mäuse pfeifen! oder nach anderm Berichte: Es ist eben mit ihnen,
als mit den Mäusen, die das Korn fressen und nirgend zu Nutze sind. Doch
Gott der Herr ließ den Frevel nicht ungervchen. Nicht lange, so erhob sich
aus den Flamme» selbst eine gewaltige Schaar von Mäusen, die bei Tage und
bei Nacht den Bischof von alle» Seiten umringten und mit ihren Zähnen an¬
fielen, daß sie ihm keine Ruhe ließen und er sich ihrer nirgend erwehren konnte.
Endlich, da er sich keinen andern Schutz mehr wußte, ließ er bei Bingen mitten
im Rhein einen festen Thurm erbauen, um dort vor ihnen sicher zu sein, aber
durch die Fluten schwammen ihm die Bestien nach, an den Wänden stiegen sie
empor, durch alle Fenster des Thurmes dränge» sie auf ihn ein, bis er Gottes
Urtheil erkennend unter ihren Bisse» seinen Geist aufgab. — So lautet über¬
einstimmend die Erzählung: einige berichten noch, die Mäuse hätten zum Vor¬
zeichen des Verderbens den Namen Halloh vertilgt, wo sie ihn fanden, nament¬
lich an den Wänden, andre, er habe sich bei Betheuerungen die vermessene Re¬
densart angewöhnt: Wenn das nicht wahr ist, sollen mich die Mänse fressen,
die endlich zur Wahrheit wurde.

Daß dieser Sage nicht ein wie auch immer entstelltes geschichtliches Ereigniß
zu Grunde liegt, ist, wenn wir den unglaublichen Hergang selbst, die Zeitum-


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[0354] eine schmale Landstraße Platz übrig. Unterhalb Binden folgt jenes berüchtigte Felsenriff, das dinger Loch, bis in unser Jahrhundert eine unheimliche, Gefahr drohende Durchfahrt. Neben den vielen malerischen Bauten alter und neuer Zeit, die an den Rebenhügeln die Blicke des Reisenden bald auf die eine, bald aus die andre Seite des Ufers lenke», steigt mitten im Flusse auf einem Quarz- felsen wie eine Warte für den Schiffer an gefährlicher Stelle oberhalb der Stromschnelle des hinger Loches ein wohlgefügter finsterer Thurm empor, dessen gewaltige Quadern ^seit Jahrhunderten den grünliche» Fluten wie dem stoßende» Eisgange trotzen. Durch seine Banart aus das spätere Mittelalter hindeutend zierten ihn einst ein spitzes Dach und Eckihürmchen, wie den Giebichenstein bei Halle, aber seine alten Zinnen sind verfallen. Von diesem düsteren Bau. genannt der Mäusethurm. geht eine wunderbare Sage, die dem Fremden noch heute ebenso erzählt wird, wie es unseres Wissens schon vor 500 Jahren geschehen ist. Zu Mainz regierte einst ein Erzbischof Hatto. ein sehr harter und geiziger Herr. Unter ihm brach eine schwere Theuerung aus, so daß die Menschen zu Hunden und Katzen ihre Zuflucht nahmen und doch viele Hungers starben. Als die Armen nun von weit und breit zu seinem bischöflichen Sitze zusammen¬ strömten und um Brod schrien, da verhieß Hatto sie zu speisen, ließ sie alle in eine geräumige Scheune vor der Stadt eintreten und die Thüren zusperren. Dann legte er Feuer an und verbrannte erbarmungslos die Scheune mit den arruen Leuten, daß sie sammt und sonders elendiglich darin umkamen. Bei ihrem Gewimmer rief der unmenschliche Bischof hohnlachend aus: Hört, hört, wie. die Mäuse pfeifen! oder nach anderm Berichte: Es ist eben mit ihnen, als mit den Mäusen, die das Korn fressen und nirgend zu Nutze sind. Doch Gott der Herr ließ den Frevel nicht ungervchen. Nicht lange, so erhob sich aus den Flamme» selbst eine gewaltige Schaar von Mäusen, die bei Tage und bei Nacht den Bischof von alle» Seiten umringten und mit ihren Zähnen an¬ fielen, daß sie ihm keine Ruhe ließen und er sich ihrer nirgend erwehren konnte. Endlich, da er sich keinen andern Schutz mehr wußte, ließ er bei Bingen mitten im Rhein einen festen Thurm erbauen, um dort vor ihnen sicher zu sein, aber durch die Fluten schwammen ihm die Bestien nach, an den Wänden stiegen sie empor, durch alle Fenster des Thurmes dränge» sie auf ihn ein, bis er Gottes Urtheil erkennend unter ihren Bisse» seinen Geist aufgab. — So lautet über¬ einstimmend die Erzählung: einige berichten noch, die Mäuse hätten zum Vor¬ zeichen des Verderbens den Namen Halloh vertilgt, wo sie ihn fanden, nament¬ lich an den Wänden, andre, er habe sich bei Betheuerungen die vermessene Re¬ densart angewöhnt: Wenn das nicht wahr ist, sollen mich die Mänse fressen, die endlich zur Wahrheit wurde. Daß dieser Sage nicht ein wie auch immer entstelltes geschichtliches Ereigniß zu Grunde liegt, ist, wenn wir den unglaublichen Hergang selbst, die Zeitum-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/354>, abgerufen am 02.10.2024.