Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

einer Art von Ultimatum seine Porschläge, die dahin ginge", daß Parma und
Modena zwar mit Piemont vereinigt werden, Toscana aber als selbständiger
Staat wieder hergestellt werden solle. Die picmontcsische Regierung theilte den
Toscanern diesen Wunsch Frankreichs mit. Aber an diesen selbst war es in
freier Abstimmung sich zu entscheiden, ob sie den Beschluß ihrer Nationalver¬
sammlung bestätigen oder für die Herstellung eines eigenen Staats sich aus-
sprechen wollten. Sie wählten das erstere, wer konnte das selbständige Tos¬
cana hindern, von seiner Selbständigkeit den Gebrauch zu machen, der ihm
convenirte?

So wußten eine kluge Diplomatie und ein starker Vvlkswille einen Ver¬
trag, der das Einheitswerk verhindern sollte, vielmehr in ihren Dienst zu zwingen.
Wer will da von Unredlichkeit und Zweideutigkeit reden, die vielmehr bei denen
zu suchen sind, welche mit unsittlichen Bedingungen den Aufschwung einer Nation
"iederznhaltc" gedachten. Eben jene williurlichc Schranke erweckte aufs leb¬
hafteste das Gefühl der nationalen Solidarität und viele mochten denken wie
der Toscaner Galeotti. der in seiner Schrift über die erste Legislaturperiode
des Königreichs bekennt: "Mein Glaube an die Einheit datirt von Billafranca,
weil sie mir jene erst möglich schien. Nach Billafranca gehörte kein großer Scharf¬
sinn dazu, zu sehen daß' außer der Einheit kein Heil für uns sei. Wenn die
Feinde Italiens so schnell und vergnügt die Fahne der Föderation annahmen,
zeigten sie uns deutlich, auf welchem Feld wir uns wider ihre Angriffe und
mehr noch wider ihre Ränke sicher zu stellen hatten." --

Nicht so einfach liegen die Dinge im kälteren Deutschland. Auch hier ist
ähnlicher Entwickelung eine bestimmte Schranke gezogen worden. Aber es fehlt
viel zu jenem euunüthigeu Volkswillcn, noch weniger ist von revolutionärer
Leidenschaft etwas zu spüre". Die Souveräne sind nicht erst zurückzurufen, sie
sitzen, soweit sie nicht im Fnetciisvcrtragc selbst beseitigt sind, alle noch mehr
oder wenige, bequem auf iliren Thronen, und der Einheilswunfch ihrer Be¬
völkerungen ist die geringste Gefahr, die sie in diesem Augenblick zu befürchten
haben. Dennoch ist die Aehnlickkeit der Lage unverkennbar. Auch das Billa¬
franca des vorigen Jahres hat Bestimmungen ausgestellt, deren Erfüllung eine
Unmöglichkeit ist. Auch Nikvlsburg hat für den natürliche" Gang der natio-
nalen Geschicke den ^eg "i.'de verschlossen, vielmehr erst ermöglicht.

Noch einmal ist die unglücknchc Idee des reinen Deutschlands ausgelebt in
5"' Erfindung eines süddeutschen Bundes, der ausgestaltet mit internationaler
Selbständigkeit die Staaten diesseits des Mains umfassen sollte. Aber wie,
wen" diese Staaten entweder in den Versuchen eines solchen Bündnisses schei-
terte" oder aus irgendwelchen Gründen diese Versuche nicht einmal anstellten?
W>e, wenn schließlich nur zwei, oder einer, oder gar keiner dieser Staaten sich
^nit, der zu solchem Bunde geneigt war? Wer konnte sie zum Bund der


einer Art von Ultimatum seine Porschläge, die dahin ginge», daß Parma und
Modena zwar mit Piemont vereinigt werden, Toscana aber als selbständiger
Staat wieder hergestellt werden solle. Die picmontcsische Regierung theilte den
Toscanern diesen Wunsch Frankreichs mit. Aber an diesen selbst war es in
freier Abstimmung sich zu entscheiden, ob sie den Beschluß ihrer Nationalver¬
sammlung bestätigen oder für die Herstellung eines eigenen Staats sich aus-
sprechen wollten. Sie wählten das erstere, wer konnte das selbständige Tos¬
cana hindern, von seiner Selbständigkeit den Gebrauch zu machen, der ihm
convenirte?

So wußten eine kluge Diplomatie und ein starker Vvlkswille einen Ver¬
trag, der das Einheitswerk verhindern sollte, vielmehr in ihren Dienst zu zwingen.
Wer will da von Unredlichkeit und Zweideutigkeit reden, die vielmehr bei denen
zu suchen sind, welche mit unsittlichen Bedingungen den Aufschwung einer Nation
»iederznhaltc» gedachten. Eben jene williurlichc Schranke erweckte aufs leb¬
hafteste das Gefühl der nationalen Solidarität und viele mochten denken wie
der Toscaner Galeotti. der in seiner Schrift über die erste Legislaturperiode
des Königreichs bekennt: „Mein Glaube an die Einheit datirt von Billafranca,
weil sie mir jene erst möglich schien. Nach Billafranca gehörte kein großer Scharf¬
sinn dazu, zu sehen daß' außer der Einheit kein Heil für uns sei. Wenn die
Feinde Italiens so schnell und vergnügt die Fahne der Föderation annahmen,
zeigten sie uns deutlich, auf welchem Feld wir uns wider ihre Angriffe und
mehr noch wider ihre Ränke sicher zu stellen hatten." —

Nicht so einfach liegen die Dinge im kälteren Deutschland. Auch hier ist
ähnlicher Entwickelung eine bestimmte Schranke gezogen worden. Aber es fehlt
viel zu jenem euunüthigeu Volkswillcn, noch weniger ist von revolutionärer
Leidenschaft etwas zu spüre». Die Souveräne sind nicht erst zurückzurufen, sie
sitzen, soweit sie nicht im Fnetciisvcrtragc selbst beseitigt sind, alle noch mehr
oder wenige, bequem auf iliren Thronen, und der Einheilswunfch ihrer Be¬
völkerungen ist die geringste Gefahr, die sie in diesem Augenblick zu befürchten
haben. Dennoch ist die Aehnlickkeit der Lage unverkennbar. Auch das Billa¬
franca des vorigen Jahres hat Bestimmungen ausgestellt, deren Erfüllung eine
Unmöglichkeit ist. Auch Nikvlsburg hat für den natürliche» Gang der natio-
nalen Geschicke den ^eg »i.'de verschlossen, vielmehr erst ermöglicht.

Noch einmal ist die unglücknchc Idee des reinen Deutschlands ausgelebt in
5"' Erfindung eines süddeutschen Bundes, der ausgestaltet mit internationaler
Selbständigkeit die Staaten diesseits des Mains umfassen sollte. Aber wie,
wen» diese Staaten entweder in den Versuchen eines solchen Bündnisses schei-
terte» oder aus irgendwelchen Gründen diese Versuche nicht einmal anstellten?
W>e, wenn schließlich nur zwei, oder einer, oder gar keiner dieser Staaten sich
^nit, der zu solchem Bunde geneigt war? Wer konnte sie zum Bund der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0319" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190478"/>
          <p xml:id="ID_1088" prev="#ID_1087"> einer Art von Ultimatum seine Porschläge, die dahin ginge», daß Parma und<lb/>
Modena zwar mit Piemont vereinigt werden, Toscana aber als selbständiger<lb/>
Staat wieder hergestellt werden solle. Die picmontcsische Regierung theilte den<lb/>
Toscanern diesen Wunsch Frankreichs mit. Aber an diesen selbst war es in<lb/>
freier Abstimmung sich zu entscheiden, ob sie den Beschluß ihrer Nationalver¬<lb/>
sammlung bestätigen oder für die Herstellung eines eigenen Staats sich aus-<lb/>
sprechen wollten. Sie wählten das erstere, wer konnte das selbständige Tos¬<lb/>
cana hindern, von seiner Selbständigkeit den Gebrauch zu machen, der ihm<lb/>
convenirte?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1089"> So wußten eine kluge Diplomatie und ein starker Vvlkswille einen Ver¬<lb/>
trag, der das Einheitswerk verhindern sollte, vielmehr in ihren Dienst zu zwingen.<lb/>
Wer will da von Unredlichkeit und Zweideutigkeit reden, die vielmehr bei denen<lb/>
zu suchen sind, welche mit unsittlichen Bedingungen den Aufschwung einer Nation<lb/>
»iederznhaltc» gedachten. Eben jene williurlichc Schranke erweckte aufs leb¬<lb/>
hafteste das Gefühl der nationalen Solidarität und viele mochten denken wie<lb/>
der Toscaner Galeotti. der in seiner Schrift über die erste Legislaturperiode<lb/>
des Königreichs bekennt: &#x201E;Mein Glaube an die Einheit datirt von Billafranca,<lb/>
weil sie mir jene erst möglich schien. Nach Billafranca gehörte kein großer Scharf¬<lb/>
sinn dazu, zu sehen daß' außer der Einheit kein Heil für uns sei. Wenn die<lb/>
Feinde Italiens so schnell und vergnügt die Fahne der Föderation annahmen,<lb/>
zeigten sie uns deutlich, auf welchem Feld wir uns wider ihre Angriffe und<lb/>
mehr noch wider ihre Ränke sicher zu stellen hatten." &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1090"> Nicht so einfach liegen die Dinge im kälteren Deutschland. Auch hier ist<lb/>
ähnlicher Entwickelung eine bestimmte Schranke gezogen worden. Aber es fehlt<lb/>
viel zu jenem euunüthigeu Volkswillcn, noch weniger ist von revolutionärer<lb/>
Leidenschaft etwas zu spüre». Die Souveräne sind nicht erst zurückzurufen, sie<lb/>
sitzen, soweit sie nicht im Fnetciisvcrtragc selbst beseitigt sind, alle noch mehr<lb/>
oder wenige, bequem auf iliren Thronen, und der Einheilswunfch ihrer Be¬<lb/>
völkerungen ist die geringste Gefahr, die sie in diesem Augenblick zu befürchten<lb/>
haben. Dennoch ist die Aehnlickkeit der Lage unverkennbar. Auch das Billa¬<lb/>
franca des vorigen Jahres hat Bestimmungen ausgestellt, deren Erfüllung eine<lb/>
Unmöglichkeit ist. Auch Nikvlsburg hat für den natürliche» Gang der natio-<lb/>
nalen Geschicke den ^eg »i.'de verschlossen, vielmehr erst ermöglicht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1091" next="#ID_1092"> Noch einmal ist die unglücknchc Idee des reinen Deutschlands ausgelebt in<lb/>
5"' Erfindung eines süddeutschen Bundes, der ausgestaltet mit internationaler<lb/>
Selbständigkeit die Staaten diesseits des Mains umfassen sollte. Aber wie,<lb/>
wen» diese Staaten entweder in den Versuchen eines solchen Bündnisses schei-<lb/>
terte» oder aus irgendwelchen Gründen diese Versuche nicht einmal anstellten?<lb/>
W&gt;e, wenn schließlich nur zwei, oder einer, oder gar keiner dieser Staaten sich<lb/>
^nit, der zu solchem Bunde geneigt war?  Wer konnte sie zum Bund der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0319] einer Art von Ultimatum seine Porschläge, die dahin ginge», daß Parma und Modena zwar mit Piemont vereinigt werden, Toscana aber als selbständiger Staat wieder hergestellt werden solle. Die picmontcsische Regierung theilte den Toscanern diesen Wunsch Frankreichs mit. Aber an diesen selbst war es in freier Abstimmung sich zu entscheiden, ob sie den Beschluß ihrer Nationalver¬ sammlung bestätigen oder für die Herstellung eines eigenen Staats sich aus- sprechen wollten. Sie wählten das erstere, wer konnte das selbständige Tos¬ cana hindern, von seiner Selbständigkeit den Gebrauch zu machen, der ihm convenirte? So wußten eine kluge Diplomatie und ein starker Vvlkswille einen Ver¬ trag, der das Einheitswerk verhindern sollte, vielmehr in ihren Dienst zu zwingen. Wer will da von Unredlichkeit und Zweideutigkeit reden, die vielmehr bei denen zu suchen sind, welche mit unsittlichen Bedingungen den Aufschwung einer Nation »iederznhaltc» gedachten. Eben jene williurlichc Schranke erweckte aufs leb¬ hafteste das Gefühl der nationalen Solidarität und viele mochten denken wie der Toscaner Galeotti. der in seiner Schrift über die erste Legislaturperiode des Königreichs bekennt: „Mein Glaube an die Einheit datirt von Billafranca, weil sie mir jene erst möglich schien. Nach Billafranca gehörte kein großer Scharf¬ sinn dazu, zu sehen daß' außer der Einheit kein Heil für uns sei. Wenn die Feinde Italiens so schnell und vergnügt die Fahne der Föderation annahmen, zeigten sie uns deutlich, auf welchem Feld wir uns wider ihre Angriffe und mehr noch wider ihre Ränke sicher zu stellen hatten." — Nicht so einfach liegen die Dinge im kälteren Deutschland. Auch hier ist ähnlicher Entwickelung eine bestimmte Schranke gezogen worden. Aber es fehlt viel zu jenem euunüthigeu Volkswillcn, noch weniger ist von revolutionärer Leidenschaft etwas zu spüre». Die Souveräne sind nicht erst zurückzurufen, sie sitzen, soweit sie nicht im Fnetciisvcrtragc selbst beseitigt sind, alle noch mehr oder wenige, bequem auf iliren Thronen, und der Einheilswunfch ihrer Be¬ völkerungen ist die geringste Gefahr, die sie in diesem Augenblick zu befürchten haben. Dennoch ist die Aehnlickkeit der Lage unverkennbar. Auch das Billa¬ franca des vorigen Jahres hat Bestimmungen ausgestellt, deren Erfüllung eine Unmöglichkeit ist. Auch Nikvlsburg hat für den natürliche» Gang der natio- nalen Geschicke den ^eg »i.'de verschlossen, vielmehr erst ermöglicht. Noch einmal ist die unglücknchc Idee des reinen Deutschlands ausgelebt in 5"' Erfindung eines süddeutschen Bundes, der ausgestaltet mit internationaler Selbständigkeit die Staaten diesseits des Mains umfassen sollte. Aber wie, wen» diese Staaten entweder in den Versuchen eines solchen Bündnisses schei- terte» oder aus irgendwelchen Gründen diese Versuche nicht einmal anstellten? W>e, wenn schließlich nur zwei, oder einer, oder gar keiner dieser Staaten sich ^nit, der zu solchem Bunde geneigt war? Wer konnte sie zum Bund der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/319
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/319>, abgerufen am 24.07.2024.