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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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erlaubt hat. -- So gilt der Applaus, den man bei der Aufführung des Stückes
am Schlüsse des ersten Acts dem Auftreten der Sibylle von Kuma zollt, wie
richtig bemeikt worden ist, Ponsard und nicht Lindner. Der zweite Act bei die¬
sem beginnt wie der erste bei jenem in der Spinnstube der Lucretia, die ihre
Mägde dort wie hier antreibt, den Gebieter mit einem wärmenden Gewand im
rauhen Feld zu versorgen. Auch bei Ponsard spielt Lucretiens Traum die
nämliche Rolle:


ins trouvai moi, sur I'irutvl öteuäue,
. . . iMkiräant in, lraelrö suspenclus."

Des Sextus Haltung, Lucrctias Antwort auf ihres Gatten Anrede:


No suis plus eg. towns se n'eir veux plus 16 norri" --

stimmt hier und dort überein. -- In einer ander" Scene endlich bei Erzählung
der Reise nach Delphi sagt Lentners Tarquinius zu Brutus:


"Dein Opfer (des hölzernen Steckens) genügte freilich nicht dem Gott,
darum schlug er ein Bein dir unter, daß du fielst."
Darauf Brutus (allein): "Ich sage dir, zufrieden war der Gott
,
(ab)
Der Stab von Holz war ausgefüllt mit Golde."
Genan nach dem Vorgang Pvnsards: -- it oft <zu'^pollon
Nu, MS öde content as 1'<M'"z an baton,
II t'u, kalt elroir lo^Iirnt ig. pomo sous 1'otkrg.rräö.
Lrutv^ (sortant le äoruisr)
^011. I^g clivu tut eoutiznt, tu ne sais Ms eireore
(Actschluß.)
(^no clirris le baton vit etg.it un baton et'or.

Man sa^t Rubens, der es oft erprobt, das kecke Wort nach, in der Kunst
sei Diebstahl immer Sünde, aber Todtschlag erlaubt. Ob wir dieses exceptio¬
nelle Hcroenrecht für unsern Dichter in Anspruch nehmen dürfen? Derartige
Sachen wenigstens tonnen wir doch keinen Franzosen lesen lassen, ohne scham¬
roth zu werden.

Setzen wir jedoch diesen bedenklichen Dingen ein ehrendes Zeugniß ent¬
gegen. Nicht blos edle Reinheit in der Behandlung rühmen wir, die erfreulich
und respectabcl ist; noch ausdrücklicher gilt unsere Anerkennung dem Sinn für
ernsthafte männliche Ideale, der in dem Drama Lindners Ausdruck sucht. Denn
wenn heutzutage ein nicht unbedeutend begabter lyrischer Dichter so wenig
Selbstbeherrschung hat, daß er als höchstes Glück erwünscht, "der Geliebten
Weiße Brust mit glühende" Lippe" zu Pressen" -- u"d wenn ein anderer, ob¬
gleich Gatte, ""verhüllt seine Ehebruche besingt, dann ist es, wie relativ auch
urnar. ein Verdienst, aus herben Heldengesichter" die Mahnung sittlicher Größe
6- leuchten zu lassen. --




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erlaubt hat. — So gilt der Applaus, den man bei der Aufführung des Stückes
am Schlüsse des ersten Acts dem Auftreten der Sibylle von Kuma zollt, wie
richtig bemeikt worden ist, Ponsard und nicht Lindner. Der zweite Act bei die¬
sem beginnt wie der erste bei jenem in der Spinnstube der Lucretia, die ihre
Mägde dort wie hier antreibt, den Gebieter mit einem wärmenden Gewand im
rauhen Feld zu versorgen. Auch bei Ponsard spielt Lucretiens Traum die
nämliche Rolle:


ins trouvai moi, sur I'irutvl öteuäue,
. . . iMkiräant in, lraelrö suspenclus."

Des Sextus Haltung, Lucrctias Antwort auf ihres Gatten Anrede:


No suis plus eg. towns se n'eir veux plus 16 norri" —

stimmt hier und dort überein. — In einer ander» Scene endlich bei Erzählung
der Reise nach Delphi sagt Lentners Tarquinius zu Brutus:


„Dein Opfer (des hölzernen Steckens) genügte freilich nicht dem Gott,
darum schlug er ein Bein dir unter, daß du fielst."
Darauf Brutus (allein): „Ich sage dir, zufrieden war der Gott
,
(ab)
Der Stab von Holz war ausgefüllt mit Golde."
Genan nach dem Vorgang Pvnsards: — it oft <zu'^pollon
Nu, MS öde content as 1'<M'«z an baton,
II t'u, kalt elroir lo^Iirnt ig. pomo sous 1'otkrg.rräö.
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^011. I^g clivu tut eoutiznt, tu ne sais Ms eireore
(Actschluß.)
(^no clirris le baton vit etg.it un baton et'or.

Man sa^t Rubens, der es oft erprobt, das kecke Wort nach, in der Kunst
sei Diebstahl immer Sünde, aber Todtschlag erlaubt. Ob wir dieses exceptio¬
nelle Hcroenrecht für unsern Dichter in Anspruch nehmen dürfen? Derartige
Sachen wenigstens tonnen wir doch keinen Franzosen lesen lassen, ohne scham¬
roth zu werden.

Setzen wir jedoch diesen bedenklichen Dingen ein ehrendes Zeugniß ent¬
gegen. Nicht blos edle Reinheit in der Behandlung rühmen wir, die erfreulich
und respectabcl ist; noch ausdrücklicher gilt unsere Anerkennung dem Sinn für
ernsthafte männliche Ideale, der in dem Drama Lindners Ausdruck sucht. Denn
wenn heutzutage ein nicht unbedeutend begabter lyrischer Dichter so wenig
Selbstbeherrschung hat, daß er als höchstes Glück erwünscht, „der Geliebten
Weiße Brust mit glühende» Lippe» zu Pressen" — u»d wenn ein anderer, ob¬
gleich Gatte, »»verhüllt seine Ehebruche besingt, dann ist es, wie relativ auch
urnar. ein Verdienst, aus herben Heldengesichter» die Mahnung sittlicher Größe
6- leuchten zu lassen. —




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[0245] erlaubt hat. — So gilt der Applaus, den man bei der Aufführung des Stückes am Schlüsse des ersten Acts dem Auftreten der Sibylle von Kuma zollt, wie richtig bemeikt worden ist, Ponsard und nicht Lindner. Der zweite Act bei die¬ sem beginnt wie der erste bei jenem in der Spinnstube der Lucretia, die ihre Mägde dort wie hier antreibt, den Gebieter mit einem wärmenden Gewand im rauhen Feld zu versorgen. Auch bei Ponsard spielt Lucretiens Traum die nämliche Rolle: ins trouvai moi, sur I'irutvl öteuäue, . . . iMkiräant in, lraelrö suspenclus." Des Sextus Haltung, Lucrctias Antwort auf ihres Gatten Anrede: No suis plus eg. towns se n'eir veux plus 16 norri" — stimmt hier und dort überein. — In einer ander» Scene endlich bei Erzählung der Reise nach Delphi sagt Lentners Tarquinius zu Brutus: „Dein Opfer (des hölzernen Steckens) genügte freilich nicht dem Gott, darum schlug er ein Bein dir unter, daß du fielst." Darauf Brutus (allein): „Ich sage dir, zufrieden war der Gott , (ab) Der Stab von Holz war ausgefüllt mit Golde." Genan nach dem Vorgang Pvnsards: — it oft <zu'^pollon Nu, MS öde content as 1'<M'«z an baton, II t'u, kalt elroir lo^Iirnt ig. pomo sous 1'otkrg.rräö. Lrutv^ (sortant le äoruisr) ^011. I^g clivu tut eoutiznt, tu ne sais Ms eireore (Actschluß.) (^no clirris le baton vit etg.it un baton et'or. Man sa^t Rubens, der es oft erprobt, das kecke Wort nach, in der Kunst sei Diebstahl immer Sünde, aber Todtschlag erlaubt. Ob wir dieses exceptio¬ nelle Hcroenrecht für unsern Dichter in Anspruch nehmen dürfen? Derartige Sachen wenigstens tonnen wir doch keinen Franzosen lesen lassen, ohne scham¬ roth zu werden. Setzen wir jedoch diesen bedenklichen Dingen ein ehrendes Zeugniß ent¬ gegen. Nicht blos edle Reinheit in der Behandlung rühmen wir, die erfreulich und respectabcl ist; noch ausdrücklicher gilt unsere Anerkennung dem Sinn für ernsthafte männliche Ideale, der in dem Drama Lindners Ausdruck sucht. Denn wenn heutzutage ein nicht unbedeutend begabter lyrischer Dichter so wenig Selbstbeherrschung hat, daß er als höchstes Glück erwünscht, „der Geliebten Weiße Brust mit glühende» Lippe» zu Pressen" — u»d wenn ein anderer, ob¬ gleich Gatte, »»verhüllt seine Ehebruche besingt, dann ist es, wie relativ auch urnar. ein Verdienst, aus herben Heldengesichter» die Mahnung sittlicher Größe 6- leuchten zu lassen. — 30 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/245>, abgerufen am 30.06.2024.