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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Aber die Erinnerung, welche von der allen Anthologie trotz der langen
Zeit noch geblieben, ist der Art, daß schon der Name jene freundliche Stim¬
mung weckt, mit der man dem unbekannten Sohne eines Mannes von aner¬
kannten Edelsinn entgegengeht, und daß sie auf jeden nicht ganz leichtsinnigen
Mitarbeiter erhebend und läuternd wirken muß. Der unvergeßliche Vieusseux
hatte eine Schaar erlesener Geister aus allen Gegenden des durch vielfache
Grenzen getheilten Landes zu gemeinsamer Arbeit um sich zu sammeln ver¬
standen und ließ von der Stadt aus, die der geistigen Regsamkeit bei aller
Aengstlichkeit der Regierung noch immer mehr Spielraum als die meisten andern
verstattete, jene Hefte über das ganze Land sich verbreiten, welche, von eigentlich
politischen Fragen sich selbstverständlich fern haltend, die gebildete Bevölkerung
zur Beschäftigung mit Gegenständen von nicht blos landschaftlicher Bedeutsam¬
keit anregten, sie an Zeiten früherer Größe des Vaterlandes mahnten, sie auf
noch immer bestehende gemeinsame Interessen hinwiesen und selbst ein Zeugniß
der noch immer nicht erloschenen schöpferischen Kraft der Nation waren. Männer
von den verschiedensten Bestrebungen fanden sich in der Anthologie zusammen,
der Guclfe mit dem Ghibelluien, der Republikaner mit dem Monarchisten, der
Freidenker mit dem Orthodoxen; alle aber verbunden durch die Ueberzeugung,
es habe ein jeder mit daran zu arbeiten, daß Italien hinter den übrigen Völ¬
kern im Ringen nach keinem edeln Ziele zurückbleibe, daß der physische, der
moralische, der intellectuelle Stand des Volkes sich hebe und daß die Hoffnung
auf bessere Zeiten in den Herzen der Besseren fortwährend wach bleibe. Herr
Tabarrini hat in einer der ersten Lieferungen des neuen Unternehmens mit ge¬
bührender Anerkennung der "alten Anthologie" gedacht und sich dabei nicht ver¬
hehlt, baß die Stellung der neuen eine vielfach schwierigere dadurch werde, daß
eS jetzt nicht mehr gelte, im Allgemeinen die Zuversicht auf eine schönere Zu¬
kunft rege zu erhalten, sondern die Mittel und Wege sofortiger praktischer Um¬
gestaltungen zu verhandeln und daß die gebieterische Nothwendigkeit, eine Partci-
stcllung offen einzunehmen und entschieden bei derselben zu beharren, dem ge¬
meinsamen Wirken mannigfache Hindernisse in den Weg legen werde. Dafür
mag einiger Ersatz in der größern Zahl derjenigen geboten sein, auf deren Mit¬
wirkung bei dem weitern Kreise der zur Behandlung kommenden Gegenstände
und bei der Sorglosigkeit, mit welcher jeder seines Schriststelleramtes warten
darf, gezählt werden kann. Möge nur dae. edle Maßhalten, die leidenschaftslose
Besprechung auch der am tiefsten eingreifenden Dinge mit dem Namen von der
alten auf die neue Anthologie übergehen und das, was für jene oft genug eine
harte Nothwendigkeit sein mochte, für diese eine frei geübte und darum um so
verdienstlichere Tugend sein.

Wir gedenken hier keineswegs einen Auszug aus den zahlreichen und aus den
verschiedensten Gründen anziehenden Aufsätzen zu geben, welche den ersten Jahr-


Aber die Erinnerung, welche von der allen Anthologie trotz der langen
Zeit noch geblieben, ist der Art, daß schon der Name jene freundliche Stim¬
mung weckt, mit der man dem unbekannten Sohne eines Mannes von aner¬
kannten Edelsinn entgegengeht, und daß sie auf jeden nicht ganz leichtsinnigen
Mitarbeiter erhebend und läuternd wirken muß. Der unvergeßliche Vieusseux
hatte eine Schaar erlesener Geister aus allen Gegenden des durch vielfache
Grenzen getheilten Landes zu gemeinsamer Arbeit um sich zu sammeln ver¬
standen und ließ von der Stadt aus, die der geistigen Regsamkeit bei aller
Aengstlichkeit der Regierung noch immer mehr Spielraum als die meisten andern
verstattete, jene Hefte über das ganze Land sich verbreiten, welche, von eigentlich
politischen Fragen sich selbstverständlich fern haltend, die gebildete Bevölkerung
zur Beschäftigung mit Gegenständen von nicht blos landschaftlicher Bedeutsam¬
keit anregten, sie an Zeiten früherer Größe des Vaterlandes mahnten, sie auf
noch immer bestehende gemeinsame Interessen hinwiesen und selbst ein Zeugniß
der noch immer nicht erloschenen schöpferischen Kraft der Nation waren. Männer
von den verschiedensten Bestrebungen fanden sich in der Anthologie zusammen,
der Guclfe mit dem Ghibelluien, der Republikaner mit dem Monarchisten, der
Freidenker mit dem Orthodoxen; alle aber verbunden durch die Ueberzeugung,
es habe ein jeder mit daran zu arbeiten, daß Italien hinter den übrigen Völ¬
kern im Ringen nach keinem edeln Ziele zurückbleibe, daß der physische, der
moralische, der intellectuelle Stand des Volkes sich hebe und daß die Hoffnung
auf bessere Zeiten in den Herzen der Besseren fortwährend wach bleibe. Herr
Tabarrini hat in einer der ersten Lieferungen des neuen Unternehmens mit ge¬
bührender Anerkennung der „alten Anthologie" gedacht und sich dabei nicht ver¬
hehlt, baß die Stellung der neuen eine vielfach schwierigere dadurch werde, daß
eS jetzt nicht mehr gelte, im Allgemeinen die Zuversicht auf eine schönere Zu¬
kunft rege zu erhalten, sondern die Mittel und Wege sofortiger praktischer Um¬
gestaltungen zu verhandeln und daß die gebieterische Nothwendigkeit, eine Partci-
stcllung offen einzunehmen und entschieden bei derselben zu beharren, dem ge¬
meinsamen Wirken mannigfache Hindernisse in den Weg legen werde. Dafür
mag einiger Ersatz in der größern Zahl derjenigen geboten sein, auf deren Mit¬
wirkung bei dem weitern Kreise der zur Behandlung kommenden Gegenstände
und bei der Sorglosigkeit, mit welcher jeder seines Schriststelleramtes warten
darf, gezählt werden kann. Möge nur dae. edle Maßhalten, die leidenschaftslose
Besprechung auch der am tiefsten eingreifenden Dinge mit dem Namen von der
alten auf die neue Anthologie übergehen und das, was für jene oft genug eine
harte Nothwendigkeit sein mochte, für diese eine frei geübte und darum um so
verdienstlichere Tugend sein.

Wir gedenken hier keineswegs einen Auszug aus den zahlreichen und aus den
verschiedensten Gründen anziehenden Aufsätzen zu geben, welche den ersten Jahr-


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[0156] Aber die Erinnerung, welche von der allen Anthologie trotz der langen Zeit noch geblieben, ist der Art, daß schon der Name jene freundliche Stim¬ mung weckt, mit der man dem unbekannten Sohne eines Mannes von aner¬ kannten Edelsinn entgegengeht, und daß sie auf jeden nicht ganz leichtsinnigen Mitarbeiter erhebend und läuternd wirken muß. Der unvergeßliche Vieusseux hatte eine Schaar erlesener Geister aus allen Gegenden des durch vielfache Grenzen getheilten Landes zu gemeinsamer Arbeit um sich zu sammeln ver¬ standen und ließ von der Stadt aus, die der geistigen Regsamkeit bei aller Aengstlichkeit der Regierung noch immer mehr Spielraum als die meisten andern verstattete, jene Hefte über das ganze Land sich verbreiten, welche, von eigentlich politischen Fragen sich selbstverständlich fern haltend, die gebildete Bevölkerung zur Beschäftigung mit Gegenständen von nicht blos landschaftlicher Bedeutsam¬ keit anregten, sie an Zeiten früherer Größe des Vaterlandes mahnten, sie auf noch immer bestehende gemeinsame Interessen hinwiesen und selbst ein Zeugniß der noch immer nicht erloschenen schöpferischen Kraft der Nation waren. Männer von den verschiedensten Bestrebungen fanden sich in der Anthologie zusammen, der Guclfe mit dem Ghibelluien, der Republikaner mit dem Monarchisten, der Freidenker mit dem Orthodoxen; alle aber verbunden durch die Ueberzeugung, es habe ein jeder mit daran zu arbeiten, daß Italien hinter den übrigen Völ¬ kern im Ringen nach keinem edeln Ziele zurückbleibe, daß der physische, der moralische, der intellectuelle Stand des Volkes sich hebe und daß die Hoffnung auf bessere Zeiten in den Herzen der Besseren fortwährend wach bleibe. Herr Tabarrini hat in einer der ersten Lieferungen des neuen Unternehmens mit ge¬ bührender Anerkennung der „alten Anthologie" gedacht und sich dabei nicht ver¬ hehlt, baß die Stellung der neuen eine vielfach schwierigere dadurch werde, daß eS jetzt nicht mehr gelte, im Allgemeinen die Zuversicht auf eine schönere Zu¬ kunft rege zu erhalten, sondern die Mittel und Wege sofortiger praktischer Um¬ gestaltungen zu verhandeln und daß die gebieterische Nothwendigkeit, eine Partci- stcllung offen einzunehmen und entschieden bei derselben zu beharren, dem ge¬ meinsamen Wirken mannigfache Hindernisse in den Weg legen werde. Dafür mag einiger Ersatz in der größern Zahl derjenigen geboten sein, auf deren Mit¬ wirkung bei dem weitern Kreise der zur Behandlung kommenden Gegenstände und bei der Sorglosigkeit, mit welcher jeder seines Schriststelleramtes warten darf, gezählt werden kann. Möge nur dae. edle Maßhalten, die leidenschaftslose Besprechung auch der am tiefsten eingreifenden Dinge mit dem Namen von der alten auf die neue Anthologie übergehen und das, was für jene oft genug eine harte Nothwendigkeit sein mochte, für diese eine frei geübte und darum um so verdienstlichere Tugend sein. Wir gedenken hier keineswegs einen Auszug aus den zahlreichen und aus den verschiedensten Gründen anziehenden Aufsätzen zu geben, welche den ersten Jahr-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/156>, abgerufen am 25.07.2024.