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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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wenn der Plan des Werkes ihm nicht das Eingeben in solche Einzelheiten
verböte. --

Allerdings ließe sich von den bayrischen Landgerichten sammt ihren Land¬
richtern ein interessantes Capitel für die bayrische Volkskunde schreiben. Dieser
merkwürdigen Institution ist zwar durch allerneueste Reformen etwas von ihrer
urbayrischen Originalität abgestreift worden, doch hat sie noch genug davon,
um in der "Naturgeschichte des Volks" Effect zu machen. Das Ausland weiß
davon so wenig wie von den meisten anderen originellen Typen des Bayern"
thums und die "Bavaria", so viel wird sich bisher schon gezeigt haben, geht
nicht daraus aus, ihre Kenntniß zu fördern. Es ist doch immerhin ein Stück
"Volkskunde", das zu allerlei Gedanken Anlaß giebt, wenn man die derbsten
und trotzigsten Bauerngestalten hundert Schritte vor ihrem Landgerichtsgebäude
mit demüthig gezogenem Hute oder Mühe, geduckten Nacken und schleichenden
Tritten ihre Ehrfurcht, oder etwas Anderes, vor dem Rechte und seinem officiellen
Verwalter bezeugen sieht, oder wenn gemeinhin -- allerdings von Lästermäulern
-- die Herren Landrichter nur Lanbpaschas geheißen werden. In Hinsicht auf
ihre Allmacht nach unten möchte ihnen der Name nicht übel stehen; nach oben
haben sie wenigstens keine seidene Schnur zu fürchten. Aber auch sonst würde
manche uns wohlbekannte Persönlichkeit im Turban und mit den obligaten Roß"
schweifen sich mindestens ebenso natürlich ausnehmen, als in der engen blauen
Uniform der königlichen bayrischen Civilstaatsdiener. Neigungen, Lebensge"
wohnheiten und Betragen stimmte bis vor kurzem bei vielen bestens dazu, und
wenn auch die Individuen, wie sie die Natur verschieden geschaffen hat, als
Landrichter nicht alle über einen Kamm geschoren werden konnten, so war eben
doch jedes davon ein Landrichter. Wir erinnern uns aus eigenem Gehör eines
Geschichtchens. Als gegen Ende der dreißiger, Anfang der vierziger Jahre Juden
und Protestanten durch das Ministerium Abel systematisch cujonirt wurden, ver¬
ließen die erstem massenweise ihre ohnehin nur provisorische blauweiße Heimath und
zogen über das Meer, so daß es zuletzt selbst den Helfershelfern zu diesem neuen
Exodus bedenklich wurde. So wollte denn auch ein gut sunbirter und allge¬
mein bekannter jüdischer Handelsmann ans einem fränkischen Markte die Bande
lösen, die ihn an Bayern ketteten und verlangte von seinem Landrichter den
Auswanderungsschcin. Dieser, ein Herr von >L. und doch ein wirklich humaner
Mann, fragte: "nun, was hast-denn du -- selbstverständlich hat nicht blos der
Landrichter, sonder" auch jeder Büttel in Bayern das Naturrecht, jeden Juden
zu dutzen -- an mir auszusetzen, daß du auch fort willst?" Darauf sagte der
Jude: "an dem gnädigen Herrn von hab ich gar nix auszusetzen, aber
bei Sr. Gnaden dem königlich bayrischen Landrichter Herr von mag ich
nicht länger bleiben; ich bin "in meinen Schein und werd ihn gleich bezahlen."

Solche Capitel, wie das von den Landrichtern, würden die Volkskunde


wenn der Plan des Werkes ihm nicht das Eingeben in solche Einzelheiten
verböte. —

Allerdings ließe sich von den bayrischen Landgerichten sammt ihren Land¬
richtern ein interessantes Capitel für die bayrische Volkskunde schreiben. Dieser
merkwürdigen Institution ist zwar durch allerneueste Reformen etwas von ihrer
urbayrischen Originalität abgestreift worden, doch hat sie noch genug davon,
um in der „Naturgeschichte des Volks" Effect zu machen. Das Ausland weiß
davon so wenig wie von den meisten anderen originellen Typen des Bayern«
thums und die „Bavaria", so viel wird sich bisher schon gezeigt haben, geht
nicht daraus aus, ihre Kenntniß zu fördern. Es ist doch immerhin ein Stück
„Volkskunde", das zu allerlei Gedanken Anlaß giebt, wenn man die derbsten
und trotzigsten Bauerngestalten hundert Schritte vor ihrem Landgerichtsgebäude
mit demüthig gezogenem Hute oder Mühe, geduckten Nacken und schleichenden
Tritten ihre Ehrfurcht, oder etwas Anderes, vor dem Rechte und seinem officiellen
Verwalter bezeugen sieht, oder wenn gemeinhin — allerdings von Lästermäulern
— die Herren Landrichter nur Lanbpaschas geheißen werden. In Hinsicht auf
ihre Allmacht nach unten möchte ihnen der Name nicht übel stehen; nach oben
haben sie wenigstens keine seidene Schnur zu fürchten. Aber auch sonst würde
manche uns wohlbekannte Persönlichkeit im Turban und mit den obligaten Roß«
schweifen sich mindestens ebenso natürlich ausnehmen, als in der engen blauen
Uniform der königlichen bayrischen Civilstaatsdiener. Neigungen, Lebensge«
wohnheiten und Betragen stimmte bis vor kurzem bei vielen bestens dazu, und
wenn auch die Individuen, wie sie die Natur verschieden geschaffen hat, als
Landrichter nicht alle über einen Kamm geschoren werden konnten, so war eben
doch jedes davon ein Landrichter. Wir erinnern uns aus eigenem Gehör eines
Geschichtchens. Als gegen Ende der dreißiger, Anfang der vierziger Jahre Juden
und Protestanten durch das Ministerium Abel systematisch cujonirt wurden, ver¬
ließen die erstem massenweise ihre ohnehin nur provisorische blauweiße Heimath und
zogen über das Meer, so daß es zuletzt selbst den Helfershelfern zu diesem neuen
Exodus bedenklich wurde. So wollte denn auch ein gut sunbirter und allge¬
mein bekannter jüdischer Handelsmann ans einem fränkischen Markte die Bande
lösen, die ihn an Bayern ketteten und verlangte von seinem Landrichter den
Auswanderungsschcin. Dieser, ein Herr von >L. und doch ein wirklich humaner
Mann, fragte: „nun, was hast-denn du — selbstverständlich hat nicht blos der
Landrichter, sonder» auch jeder Büttel in Bayern das Naturrecht, jeden Juden
zu dutzen — an mir auszusetzen, daß du auch fort willst?" Darauf sagte der
Jude: „an dem gnädigen Herrn von hab ich gar nix auszusetzen, aber
bei Sr. Gnaden dem königlich bayrischen Landrichter Herr von mag ich
nicht länger bleiben; ich bin »in meinen Schein und werd ihn gleich bezahlen."

Solche Capitel, wie das von den Landrichtern, würden die Volkskunde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/154>, abgerufen am 22.12.2024.