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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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für den Ruhm des Herrn v. Beust, daß sie auch jetzt wieder den rechten Zeit¬
punkt übersehen, zu früh oder zu spät die ihnen zugemuthete Rolle zu spielen
anfangen werden und die Verlegenheit nur auf Herrn v. Beust und den
von ita geleiteten Staat zurückwerfen. -- Eine noch größere Vorsicht möchten
wir ihm in der Behandlung der orientalischen Frage empfehlen. Denn mit
Polen mag er in seiner früheren Stellung sich vertraut gemacht haben, schwer¬
lich aber hatte er in Dresden Muße, die verschlagene List südslawischer Führer
zu studiren. Wir bedauern Herrn v. Beust, wenn es wahr ist. was die Zei¬
tungen verkündigen, daß er die thatkräftige Politik Oestreichs im Orient mit
der Unterstützung der katholischen Bosniaken beginnt. Das ist der kürzeste Weg,
das Mißtrauen der griechisch-katholischen Bevölkerung -- und diese giebt den
Ausschlag -- zu wecken. Wir würden ihn aber noch mehr bedauern, wenn "r
wirklich von Garaschanin und Marinovich sich in das Schlepptau hätte nehmen
lassen und Serbiens Forderungen an die Pforte unter Oestreichs Schutz nehmen
wollte. Frankreichs Wohlwollen kann sich Herr v. Beust damit erkaufen, denn
beide Männer sind Frankreichs anerkannte Schützlinge, haben ihren Feldzugs¬
plan längst in Paris verabredet. Schwerlich wird es aber zu Oestreichs Vor¬
theil ausschlagen, wenn auch unter seine südslawische Bevölkerung der Keim
der Agitation geworfen, die Gravitation nach Belgrad noch stärker wird, als es
schon jetzt der Fall ist. Schwerlich wird es Oestreich kräftigen, wenn die
Magyaren zu einem Verzweiflungskampfe getrieben werden, um sich der Ein¬
schnürung durch slawische Staaten zu entziehen. Es giebt keinen ungarischen
Politiker, der nicht die größte Gefahr für sein Vaterland in der Zerstückelung
der Türkei, in der Ecwecknng selbständiger südslawischer Staatskörper erblickte.
Herr V. Beust fand freilich erst lange nachdem er das Ministerium angetreten
hatte, Muße, sich in den ungarischen Angelegenheiten zu orientiren, diese That¬
sache aber, daß die Ungarn alles eher dulden werden als die Schöpfung eines
Mittelpunktes für die südslawische Agitation, war ihm gewiß nicht unbekannt.
Kein östreichischer Staatsmann wird mit verschränkten Armen zusehen, wenn
die türkische Erbschaft zur Vertheilung kommt, aber kein östreichischer Staats-
mann, der nicht ganz und gar der Lust zu intriguiren verfallen ist. wird noch
bei Lebzeiten des Erblassers die Hand auf ein Beutestück ausstrecken. -- Der
Sieg der nationalen Politik in Italien und Deutschland hat Oestreich blos auf
seine natürliche Machtsphäre zurückgewiesen. Der Triumph derselben im Osten
würde den Kaiserstaat auseinandersprengen. Die Nachrichten, daß Herr v. Beust
den Ungarn günstig gesinnt sei und daß er ein kräftiges Protectorat über die
christlichen Stämme in der Türkei führen wolle, widersprechen einander. Thut
er das Eine, so muß er das Andere lassen. Der Ausgleich mit Ungarn ist aber
nicht allein dringender, sondern auch möglicher als der Gewinn einer festen
Position im Orient. Die östreichischen Finanzen wissen davon zu erzählen,


für den Ruhm des Herrn v. Beust, daß sie auch jetzt wieder den rechten Zeit¬
punkt übersehen, zu früh oder zu spät die ihnen zugemuthete Rolle zu spielen
anfangen werden und die Verlegenheit nur auf Herrn v. Beust und den
von ita geleiteten Staat zurückwerfen. — Eine noch größere Vorsicht möchten
wir ihm in der Behandlung der orientalischen Frage empfehlen. Denn mit
Polen mag er in seiner früheren Stellung sich vertraut gemacht haben, schwer¬
lich aber hatte er in Dresden Muße, die verschlagene List südslawischer Führer
zu studiren. Wir bedauern Herrn v. Beust, wenn es wahr ist. was die Zei¬
tungen verkündigen, daß er die thatkräftige Politik Oestreichs im Orient mit
der Unterstützung der katholischen Bosniaken beginnt. Das ist der kürzeste Weg,
das Mißtrauen der griechisch-katholischen Bevölkerung — und diese giebt den
Ausschlag — zu wecken. Wir würden ihn aber noch mehr bedauern, wenn «r
wirklich von Garaschanin und Marinovich sich in das Schlepptau hätte nehmen
lassen und Serbiens Forderungen an die Pforte unter Oestreichs Schutz nehmen
wollte. Frankreichs Wohlwollen kann sich Herr v. Beust damit erkaufen, denn
beide Männer sind Frankreichs anerkannte Schützlinge, haben ihren Feldzugs¬
plan längst in Paris verabredet. Schwerlich wird es aber zu Oestreichs Vor¬
theil ausschlagen, wenn auch unter seine südslawische Bevölkerung der Keim
der Agitation geworfen, die Gravitation nach Belgrad noch stärker wird, als es
schon jetzt der Fall ist. Schwerlich wird es Oestreich kräftigen, wenn die
Magyaren zu einem Verzweiflungskampfe getrieben werden, um sich der Ein¬
schnürung durch slawische Staaten zu entziehen. Es giebt keinen ungarischen
Politiker, der nicht die größte Gefahr für sein Vaterland in der Zerstückelung
der Türkei, in der Ecwecknng selbständiger südslawischer Staatskörper erblickte.
Herr V. Beust fand freilich erst lange nachdem er das Ministerium angetreten
hatte, Muße, sich in den ungarischen Angelegenheiten zu orientiren, diese That¬
sache aber, daß die Ungarn alles eher dulden werden als die Schöpfung eines
Mittelpunktes für die südslawische Agitation, war ihm gewiß nicht unbekannt.
Kein östreichischer Staatsmann wird mit verschränkten Armen zusehen, wenn
die türkische Erbschaft zur Vertheilung kommt, aber kein östreichischer Staats-
mann, der nicht ganz und gar der Lust zu intriguiren verfallen ist. wird noch
bei Lebzeiten des Erblassers die Hand auf ein Beutestück ausstrecken. — Der
Sieg der nationalen Politik in Italien und Deutschland hat Oestreich blos auf
seine natürliche Machtsphäre zurückgewiesen. Der Triumph derselben im Osten
würde den Kaiserstaat auseinandersprengen. Die Nachrichten, daß Herr v. Beust
den Ungarn günstig gesinnt sei und daß er ein kräftiges Protectorat über die
christlichen Stämme in der Türkei führen wolle, widersprechen einander. Thut
er das Eine, so muß er das Andere lassen. Der Ausgleich mit Ungarn ist aber
nicht allein dringender, sondern auch möglicher als der Gewinn einer festen
Position im Orient. Die östreichischen Finanzen wissen davon zu erzählen,


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[0126] für den Ruhm des Herrn v. Beust, daß sie auch jetzt wieder den rechten Zeit¬ punkt übersehen, zu früh oder zu spät die ihnen zugemuthete Rolle zu spielen anfangen werden und die Verlegenheit nur auf Herrn v. Beust und den von ita geleiteten Staat zurückwerfen. — Eine noch größere Vorsicht möchten wir ihm in der Behandlung der orientalischen Frage empfehlen. Denn mit Polen mag er in seiner früheren Stellung sich vertraut gemacht haben, schwer¬ lich aber hatte er in Dresden Muße, die verschlagene List südslawischer Führer zu studiren. Wir bedauern Herrn v. Beust, wenn es wahr ist. was die Zei¬ tungen verkündigen, daß er die thatkräftige Politik Oestreichs im Orient mit der Unterstützung der katholischen Bosniaken beginnt. Das ist der kürzeste Weg, das Mißtrauen der griechisch-katholischen Bevölkerung — und diese giebt den Ausschlag — zu wecken. Wir würden ihn aber noch mehr bedauern, wenn «r wirklich von Garaschanin und Marinovich sich in das Schlepptau hätte nehmen lassen und Serbiens Forderungen an die Pforte unter Oestreichs Schutz nehmen wollte. Frankreichs Wohlwollen kann sich Herr v. Beust damit erkaufen, denn beide Männer sind Frankreichs anerkannte Schützlinge, haben ihren Feldzugs¬ plan längst in Paris verabredet. Schwerlich wird es aber zu Oestreichs Vor¬ theil ausschlagen, wenn auch unter seine südslawische Bevölkerung der Keim der Agitation geworfen, die Gravitation nach Belgrad noch stärker wird, als es schon jetzt der Fall ist. Schwerlich wird es Oestreich kräftigen, wenn die Magyaren zu einem Verzweiflungskampfe getrieben werden, um sich der Ein¬ schnürung durch slawische Staaten zu entziehen. Es giebt keinen ungarischen Politiker, der nicht die größte Gefahr für sein Vaterland in der Zerstückelung der Türkei, in der Ecwecknng selbständiger südslawischer Staatskörper erblickte. Herr V. Beust fand freilich erst lange nachdem er das Ministerium angetreten hatte, Muße, sich in den ungarischen Angelegenheiten zu orientiren, diese That¬ sache aber, daß die Ungarn alles eher dulden werden als die Schöpfung eines Mittelpunktes für die südslawische Agitation, war ihm gewiß nicht unbekannt. Kein östreichischer Staatsmann wird mit verschränkten Armen zusehen, wenn die türkische Erbschaft zur Vertheilung kommt, aber kein östreichischer Staats- mann, der nicht ganz und gar der Lust zu intriguiren verfallen ist. wird noch bei Lebzeiten des Erblassers die Hand auf ein Beutestück ausstrecken. — Der Sieg der nationalen Politik in Italien und Deutschland hat Oestreich blos auf seine natürliche Machtsphäre zurückgewiesen. Der Triumph derselben im Osten würde den Kaiserstaat auseinandersprengen. Die Nachrichten, daß Herr v. Beust den Ungarn günstig gesinnt sei und daß er ein kräftiges Protectorat über die christlichen Stämme in der Türkei führen wolle, widersprechen einander. Thut er das Eine, so muß er das Andere lassen. Der Ausgleich mit Ungarn ist aber nicht allein dringender, sondern auch möglicher als der Gewinn einer festen Position im Orient. Die östreichischen Finanzen wissen davon zu erzählen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/126>, abgerufen am 28.09.2024.