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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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grabung" dadurch vollständig werden, daß eine halbe Million Thaler von den
im Lande gewonnenen Einkünften fortan, statt an die Hofouvners der Stadt
Hannover, an die Läden und Magazine Wiens oder Londons abfließen? Ohnehin
thut ja König Georg das Seinige, den augenblicklichen materiellen Verlust
seiner früheren Residenzstadt wieder groß ausfallen zu lassen, indem er dort
Schriftsteller und Druckereien füttert, die in seinem Sinn und Interesse den
kleinen Krieg gegen Preußen fortsetzen. Das Körnchen Wirklichkeit aber, das
in jener aufregenden Tirade steckt, wird mehr als aufgewogen durch die heil¬
samen wirthschaftlichen Folgen der Annexion, die Entfesselung des Unternehm-
ungsgeistes und der Arbeit auf allen Gebieten. Von den Kier nachzuholenden
schweren und zahlreichen Unterlassungssünden scheint dem ehemaligen Minister
Georgs des Fünften weniger bewußt zu sein, als wir von seiner sonstigen
Einsicht erwarteten. Hat der Duft einer so kurz zurückliegenden Vergangenheit
ihm das alte Hannover bereits ganz idealisirt? Die Einseitigkeit des Partei¬
geistes begleitet ihn freilich auch durch seine Zifferaufstellungen, wo er der
Tendenz, Hannovers Finanzlage möglichst günstig zu schildern, die objective
Gerechtigkeit nicht selten opfert, auf der hannoverschen Seite z. B. alle voraus¬
zusehenden Mehrerträge über den Etatssat) hinaus genau berücksichtigt, auf
der preußischen Seite aber nicht dergleichen. Seine Schrift ist eben durchaus
ein Plaideyer, keine objective Vergleichung.

Wir wollen uns ihr Ergebniß aber gefallen lassen. Es soll so sein, daß
Hannover bisher für Zwecke der innern Verwaltung, für Besoldungen, Ruhe¬
gehalte u. s. f. mehr thun konnte als Preußen. Wir fragen nur: weshalb?
War es nicht einfach deshalb, weil Preußen zu Lande und zur See seit Jahr¬
zehnten den militärischen Schutz Hannovers in der Weise mitübernommen hat,
daß dieses weniger als seine rechtmäßige Quote zu leisten braucht? Diese Mehr¬
leistung Preußens beträgt im Armeebudget allein verhältnißmäßig die Hälfte
dessen, was Hannover bisher ausgegeben, 1'/" bis 1'/-- Millionen Thaler jährlich;
das Marinebudget, die Ausgaben der Kreise für Militärzwecke, die Opfer der
Einzelnen bei allgemeiner Wehrpflicht und viel längerer Dienstzeit sind dabei
noch gar nicht angeschlagen. Ist nun die bisher bestehende allgemein anerkannte
Ueberbürdung Preußens zu Gunsten des übrigen Deutschland oder mindestens
Norddeutschland in aller Welt ein Grund, die altpreußischen Provinzen auch
ferner zu überbürden? sie, wenn auch nicht mehr direct bei Militär und Flotte,
doch dadurch indirect in Nachtheil zu stellen, daß die Früchte jener langjährigen
Ersparnis; der neuen Provinzen, die werthvolleren gemeinnützigen Anlagen oder
Einrichtungen, welche mehr laufende Kosten bedingen, um jeden Preis ihnen
nach wie vor allein zu Gute kommen sollen und dieser Rücksicht jede andere der
Rechtsgleichheit wie der Staatseinheit geopfert wird, während die Früchte der
Mehrleistung des bisherigen Preußen, d. h. die Wiedergeburt des leidenden


Grenjbotcn IV. 1866. ö9

grabung" dadurch vollständig werden, daß eine halbe Million Thaler von den
im Lande gewonnenen Einkünften fortan, statt an die Hofouvners der Stadt
Hannover, an die Läden und Magazine Wiens oder Londons abfließen? Ohnehin
thut ja König Georg das Seinige, den augenblicklichen materiellen Verlust
seiner früheren Residenzstadt wieder groß ausfallen zu lassen, indem er dort
Schriftsteller und Druckereien füttert, die in seinem Sinn und Interesse den
kleinen Krieg gegen Preußen fortsetzen. Das Körnchen Wirklichkeit aber, das
in jener aufregenden Tirade steckt, wird mehr als aufgewogen durch die heil¬
samen wirthschaftlichen Folgen der Annexion, die Entfesselung des Unternehm-
ungsgeistes und der Arbeit auf allen Gebieten. Von den Kier nachzuholenden
schweren und zahlreichen Unterlassungssünden scheint dem ehemaligen Minister
Georgs des Fünften weniger bewußt zu sein, als wir von seiner sonstigen
Einsicht erwarteten. Hat der Duft einer so kurz zurückliegenden Vergangenheit
ihm das alte Hannover bereits ganz idealisirt? Die Einseitigkeit des Partei¬
geistes begleitet ihn freilich auch durch seine Zifferaufstellungen, wo er der
Tendenz, Hannovers Finanzlage möglichst günstig zu schildern, die objective
Gerechtigkeit nicht selten opfert, auf der hannoverschen Seite z. B. alle voraus¬
zusehenden Mehrerträge über den Etatssat) hinaus genau berücksichtigt, auf
der preußischen Seite aber nicht dergleichen. Seine Schrift ist eben durchaus
ein Plaideyer, keine objective Vergleichung.

Wir wollen uns ihr Ergebniß aber gefallen lassen. Es soll so sein, daß
Hannover bisher für Zwecke der innern Verwaltung, für Besoldungen, Ruhe¬
gehalte u. s. f. mehr thun konnte als Preußen. Wir fragen nur: weshalb?
War es nicht einfach deshalb, weil Preußen zu Lande und zur See seit Jahr¬
zehnten den militärischen Schutz Hannovers in der Weise mitübernommen hat,
daß dieses weniger als seine rechtmäßige Quote zu leisten braucht? Diese Mehr¬
leistung Preußens beträgt im Armeebudget allein verhältnißmäßig die Hälfte
dessen, was Hannover bisher ausgegeben, 1'/« bis 1'/-- Millionen Thaler jährlich;
das Marinebudget, die Ausgaben der Kreise für Militärzwecke, die Opfer der
Einzelnen bei allgemeiner Wehrpflicht und viel längerer Dienstzeit sind dabei
noch gar nicht angeschlagen. Ist nun die bisher bestehende allgemein anerkannte
Ueberbürdung Preußens zu Gunsten des übrigen Deutschland oder mindestens
Norddeutschland in aller Welt ein Grund, die altpreußischen Provinzen auch
ferner zu überbürden? sie, wenn auch nicht mehr direct bei Militär und Flotte,
doch dadurch indirect in Nachtheil zu stellen, daß die Früchte jener langjährigen
Ersparnis; der neuen Provinzen, die werthvolleren gemeinnützigen Anlagen oder
Einrichtungen, welche mehr laufende Kosten bedingen, um jeden Preis ihnen
nach wie vor allein zu Gute kommen sollen und dieser Rücksicht jede andere der
Rechtsgleichheit wie der Staatseinheit geopfert wird, während die Früchte der
Mehrleistung des bisherigen Preußen, d. h. die Wiedergeburt des leidenden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/497>, abgerufen am 02.07.2024.