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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Stände von ihrer persönlichen Freiheit Gebrauch und glaubten nicht an das
angegebene Motiv. Sie sagten das auch. Dies veranlaßte den Finanzdirector
-- denselben, der das heimliche Kriegsanlehn contrahjrt hatte -- in der Stände-
Versammlung mit dem Tone äußerster sittlicher Entrüstung und mit der Miene
der gekränkten Unschuld auszurufen: Welche Keckheit, der Regierung nicht zu
glauben!

Während der Vertagung ging die Regierung an die Pferderemonte. Sie
bedürfte zu deren Durchführung der aus freier Wahl hervorgegangenen Bezirks-
vcrtretung. Der Bezirksrath von Wiesbaden weigerte sich, hierzu in Function
zu treten, denn zur Pferdeconscriptivn sei die Proclamation der Kriegsbereit"
schaft erforderlich, diese sei aber noch nicht erfolgt. Das officielle Blatt bedrohete
die Mitglieder des Bezirksraths mit dem Standrecht, S,i.e^ Wen sich, nicht irre
machen. So war denn die . Negierung gezwungen, die Maske fallen zu lassen
und das Wort "Kriegsbereitschaft" endlich auszusprechen, nachdem die Sach.e.
schon da war. Dies geschah am 22. Mai.

Am S.Juni traten die Stände wieder zusammen. Die Regierung gestand
ihnen nun, daß sie am 16. Mai nur vertagt habe, um unbequemen Fragen
aus dem Wege zu gehen; aber sie verheimlichte immer noch das Kriegsanlehn.
Sie forderte eine halbe Million Gulden Kriegsmittel und schlug vor, dieselben
durch Steuerzuschläge aufzubringen. Die verheimlichte halbe Million bei Roth¬
schild dazu gerechnet, hätte man eine Million Gulden gehab, t, und das hätte
für den Anfang gereicht; später glaubte man wohl keines Stände mehr zu
bedürfen.

Die Stände aber wollten, bevor sie Geld verwi.lugten, über die politische
Situation gehört sein. Sie wollten wissen, was man in Bamberg Pactitt hab?
u. s. w. Die zweite Kammer berannte daher eine Sitzung aus den Is, Juni
an, um ihr Votum abzugeben gegen jene Politik, welche am folgenden Tage
in der Bundestagssitzung die Majorität, und namentlich auch die Zustimmung
des nassauischen Gesandten erlangte.

Nun enthielt die parlamentarische Geschäftsordnung der nassauischen Stände-.
Versammlung, welche zur Zeit der Blüthe der Reaction, 1832, zwischen dM.
Ständen und der Regierung vereinbart worden war und ohne Zustimmung.der.
letzteren nicht geändert werden konnte, die seltsame Vorschrift, daß eine land-,
ständische Sitzung in Abwesenheit der Ncgierungsvertr,e,ter nicht stattfinde^ dürfe.
Um die Sitzung vom 13. Juni, in welcher sich die Stände gegen die Buntes.'"
tagspolitik aussprechen wollten, zu verhindern, hätte die Negierung,.Verfassung^,
mäßig entweder auslösen oder vertagen können. Allein damit war ihr y>ich,tij
gedient. Denn sie hoffte immer noch -- trotz alledem -- unter de,r Wucht der.
vollendeten Thatsachen, der aufgeregten Stimmung und der gouvernementalen
Bedrohungen, selbst von diesen,, bisher so unbeugsamen Ständen eine Geld-


Stände von ihrer persönlichen Freiheit Gebrauch und glaubten nicht an das
angegebene Motiv. Sie sagten das auch. Dies veranlaßte den Finanzdirector
— denselben, der das heimliche Kriegsanlehn contrahjrt hatte — in der Stände-
Versammlung mit dem Tone äußerster sittlicher Entrüstung und mit der Miene
der gekränkten Unschuld auszurufen: Welche Keckheit, der Regierung nicht zu
glauben!

Während der Vertagung ging die Regierung an die Pferderemonte. Sie
bedürfte zu deren Durchführung der aus freier Wahl hervorgegangenen Bezirks-
vcrtretung. Der Bezirksrath von Wiesbaden weigerte sich, hierzu in Function
zu treten, denn zur Pferdeconscriptivn sei die Proclamation der Kriegsbereit«
schaft erforderlich, diese sei aber noch nicht erfolgt. Das officielle Blatt bedrohete
die Mitglieder des Bezirksraths mit dem Standrecht, S,i.e^ Wen sich, nicht irre
machen. So war denn die . Negierung gezwungen, die Maske fallen zu lassen
und das Wort „Kriegsbereitschaft" endlich auszusprechen, nachdem die Sach.e.
schon da war. Dies geschah am 22. Mai.

Am S.Juni traten die Stände wieder zusammen. Die Regierung gestand
ihnen nun, daß sie am 16. Mai nur vertagt habe, um unbequemen Fragen
aus dem Wege zu gehen; aber sie verheimlichte immer noch das Kriegsanlehn.
Sie forderte eine halbe Million Gulden Kriegsmittel und schlug vor, dieselben
durch Steuerzuschläge aufzubringen. Die verheimlichte halbe Million bei Roth¬
schild dazu gerechnet, hätte man eine Million Gulden gehab, t, und das hätte
für den Anfang gereicht; später glaubte man wohl keines Stände mehr zu
bedürfen.

Die Stände aber wollten, bevor sie Geld verwi.lugten, über die politische
Situation gehört sein. Sie wollten wissen, was man in Bamberg Pactitt hab?
u. s. w. Die zweite Kammer berannte daher eine Sitzung aus den Is, Juni
an, um ihr Votum abzugeben gegen jene Politik, welche am folgenden Tage
in der Bundestagssitzung die Majorität, und namentlich auch die Zustimmung
des nassauischen Gesandten erlangte.

Nun enthielt die parlamentarische Geschäftsordnung der nassauischen Stände-.
Versammlung, welche zur Zeit der Blüthe der Reaction, 1832, zwischen dM.
Ständen und der Regierung vereinbart worden war und ohne Zustimmung.der.
letzteren nicht geändert werden konnte, die seltsame Vorschrift, daß eine land-,
ständische Sitzung in Abwesenheit der Ncgierungsvertr,e,ter nicht stattfinde^ dürfe.
Um die Sitzung vom 13. Juni, in welcher sich die Stände gegen die Buntes.'»
tagspolitik aussprechen wollten, zu verhindern, hätte die Negierung,.Verfassung^,
mäßig entweder auslösen oder vertagen können. Allein damit war ihr y>ich,tij
gedient. Denn sie hoffte immer noch — trotz alledem — unter de,r Wucht der.
vollendeten Thatsachen, der aufgeregten Stimmung und der gouvernementalen
Bedrohungen, selbst von diesen,, bisher so unbeugsamen Ständen eine Geld-


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[0406] Stände von ihrer persönlichen Freiheit Gebrauch und glaubten nicht an das angegebene Motiv. Sie sagten das auch. Dies veranlaßte den Finanzdirector — denselben, der das heimliche Kriegsanlehn contrahjrt hatte — in der Stände- Versammlung mit dem Tone äußerster sittlicher Entrüstung und mit der Miene der gekränkten Unschuld auszurufen: Welche Keckheit, der Regierung nicht zu glauben! Während der Vertagung ging die Regierung an die Pferderemonte. Sie bedürfte zu deren Durchführung der aus freier Wahl hervorgegangenen Bezirks- vcrtretung. Der Bezirksrath von Wiesbaden weigerte sich, hierzu in Function zu treten, denn zur Pferdeconscriptivn sei die Proclamation der Kriegsbereit« schaft erforderlich, diese sei aber noch nicht erfolgt. Das officielle Blatt bedrohete die Mitglieder des Bezirksraths mit dem Standrecht, S,i.e^ Wen sich, nicht irre machen. So war denn die . Negierung gezwungen, die Maske fallen zu lassen und das Wort „Kriegsbereitschaft" endlich auszusprechen, nachdem die Sach.e. schon da war. Dies geschah am 22. Mai. Am S.Juni traten die Stände wieder zusammen. Die Regierung gestand ihnen nun, daß sie am 16. Mai nur vertagt habe, um unbequemen Fragen aus dem Wege zu gehen; aber sie verheimlichte immer noch das Kriegsanlehn. Sie forderte eine halbe Million Gulden Kriegsmittel und schlug vor, dieselben durch Steuerzuschläge aufzubringen. Die verheimlichte halbe Million bei Roth¬ schild dazu gerechnet, hätte man eine Million Gulden gehab, t, und das hätte für den Anfang gereicht; später glaubte man wohl keines Stände mehr zu bedürfen. Die Stände aber wollten, bevor sie Geld verwi.lugten, über die politische Situation gehört sein. Sie wollten wissen, was man in Bamberg Pactitt hab? u. s. w. Die zweite Kammer berannte daher eine Sitzung aus den Is, Juni an, um ihr Votum abzugeben gegen jene Politik, welche am folgenden Tage in der Bundestagssitzung die Majorität, und namentlich auch die Zustimmung des nassauischen Gesandten erlangte. Nun enthielt die parlamentarische Geschäftsordnung der nassauischen Stände-. Versammlung, welche zur Zeit der Blüthe der Reaction, 1832, zwischen dM. Ständen und der Regierung vereinbart worden war und ohne Zustimmung.der. letzteren nicht geändert werden konnte, die seltsame Vorschrift, daß eine land-, ständische Sitzung in Abwesenheit der Ncgierungsvertr,e,ter nicht stattfinde^ dürfe. Um die Sitzung vom 13. Juni, in welcher sich die Stände gegen die Buntes.'» tagspolitik aussprechen wollten, zu verhindern, hätte die Negierung,.Verfassung^, mäßig entweder auslösen oder vertagen können. Allein damit war ihr y>ich,tij gedient. Denn sie hoffte immer noch — trotz alledem — unter de,r Wucht der. vollendeten Thatsachen, der aufgeregten Stimmung und der gouvernementalen Bedrohungen, selbst von diesen,, bisher so unbeugsamen Ständen eine Geld-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/406>, abgerufen am 04.07.2024.