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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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bruches Dabimanns und Stüves geharnischte Schuften zur Vertheidig"na, deS
Staatsgrundgesetzes hervorgingen.

Das war unzweifelhaft Stüves beste Zeit. Als er 1848 Minister wurde,
war die rastlose Woge der Geschichte über den Punkt, der seine politische Lei¬
stungsfähigkeit begrenzt, im Grunde schon hinausgerollt. Er arbeitete sich ab
für die Gestaltung eines Kleinstaats, während die Stimmungen sowohl wie die
gegebenen realen Bedingungen immer unverkennbarer nur demjenigen Streben
noch Erfolg versprachen, das sich auf das Ganze der Nation richtete. Im
Jahre 1850 konnte er sich noch mit der selbstgefälligen Einbildung schmeicheln,
sein Werk werde bestehen, auch wenn die Zügel der Regierung in andere Hand
übergingen, dieweil das Werk der Träumer und Theoretiker in der Paulskirche
beim ersten Zusammenstoß mit der Wirklichkeit zerschellt sei. Im Jahre 1855,
wo der Fußtritt eines ungeduldigen Souveräns die hannoverische Verfassung
von 1848 über den Haufen stieß, mochte ihr bekümmerter Vater sich immerhin
noch mit der gleichen gänzlichen Aussichtslosigkeit der ihm so fatalen nationalen
Idee trösten. Nun aber. 1866, nach dem neuen Anstoß, der 1859 von außen
her gegeben wurde, unaufgehalten selbst durch den bittern Verfassungskampf in
Preußen, der sie für lange Zeit ganz begraben zu sollen schien, fassen diese ver¬
haßten und verachteten Ideen plötzlich festen Fuß auf haltbarem Boden, und in
die Lüfte verliert sich vor ihrem Donnergang das kleine Staatsgebäude, dessen
wohnlichen Ausbau der Landsmann Mösers den sauren, redlichen, unvergoltenen
Fleiß eines langen Lebens gewidmet hat. Man muß die Gemüthsverfassung
bedenken, welcher einer solcher Situation entspricht, um die neueste Denkschrift
Stüves nicht härter zu beurtheilen, als subjectiv gerecht wäre.

Schlimmer als die thatsächlichen Irrthümer, die schon an anderem Orte
nachgewiesen worden, ist die Mißauffassung, welche die ganze Schrift durchzieht,
und die man versucht wäre für Bosheit zu nehmen, wäre sie nicht blind¬
machende Leidenschaft. Um es kurz zu sagen, Stüve gesteht den nationalen
Gesichtspunkten, die für Preußens Politik sprechen, nicht den allergeringsten
Grad von Berechtigung zu. findet alle preußischen Einrichtungen in Bausch und
Bogen schlecht, alle hannoverischen mehr oder weniger mustergiltig, und macht
darauf hin eine Schadensrechnung für die jetzige Provinz, die eine Ver¬
sicherungsgesellschaft zur Verzweiflung bringen müßte, wenn sie nicht völlig
sicher wäre, daß kein Gericht in der Welt sie nur zum zehnten Theile aner¬
kennen werde. Die Köheren Gehalte Kannoverischer Beamten z, B. sind nach
Stüve ein finanzieller Vorzug, denn sie werden im Lande verzehrt, und selbst
daß sie eine verhältnismäßig hohe Steuerquote im Gefolge gehabt haben, ist
kein Unglück, weil das Geld doch immer im Lande blieb. Die preußische
Mehrausgabe für das Heer hingegen sei für den Hannoveraner eine Bedrohung,
mit der der gesteigerte Schutz nach außen keineswegs versöhnen kann.


bruches Dabimanns und Stüves geharnischte Schuften zur Vertheidig»na, deS
Staatsgrundgesetzes hervorgingen.

Das war unzweifelhaft Stüves beste Zeit. Als er 1848 Minister wurde,
war die rastlose Woge der Geschichte über den Punkt, der seine politische Lei¬
stungsfähigkeit begrenzt, im Grunde schon hinausgerollt. Er arbeitete sich ab
für die Gestaltung eines Kleinstaats, während die Stimmungen sowohl wie die
gegebenen realen Bedingungen immer unverkennbarer nur demjenigen Streben
noch Erfolg versprachen, das sich auf das Ganze der Nation richtete. Im
Jahre 1850 konnte er sich noch mit der selbstgefälligen Einbildung schmeicheln,
sein Werk werde bestehen, auch wenn die Zügel der Regierung in andere Hand
übergingen, dieweil das Werk der Träumer und Theoretiker in der Paulskirche
beim ersten Zusammenstoß mit der Wirklichkeit zerschellt sei. Im Jahre 1855,
wo der Fußtritt eines ungeduldigen Souveräns die hannoverische Verfassung
von 1848 über den Haufen stieß, mochte ihr bekümmerter Vater sich immerhin
noch mit der gleichen gänzlichen Aussichtslosigkeit der ihm so fatalen nationalen
Idee trösten. Nun aber. 1866, nach dem neuen Anstoß, der 1859 von außen
her gegeben wurde, unaufgehalten selbst durch den bittern Verfassungskampf in
Preußen, der sie für lange Zeit ganz begraben zu sollen schien, fassen diese ver¬
haßten und verachteten Ideen plötzlich festen Fuß auf haltbarem Boden, und in
die Lüfte verliert sich vor ihrem Donnergang das kleine Staatsgebäude, dessen
wohnlichen Ausbau der Landsmann Mösers den sauren, redlichen, unvergoltenen
Fleiß eines langen Lebens gewidmet hat. Man muß die Gemüthsverfassung
bedenken, welcher einer solcher Situation entspricht, um die neueste Denkschrift
Stüves nicht härter zu beurtheilen, als subjectiv gerecht wäre.

Schlimmer als die thatsächlichen Irrthümer, die schon an anderem Orte
nachgewiesen worden, ist die Mißauffassung, welche die ganze Schrift durchzieht,
und die man versucht wäre für Bosheit zu nehmen, wäre sie nicht blind¬
machende Leidenschaft. Um es kurz zu sagen, Stüve gesteht den nationalen
Gesichtspunkten, die für Preußens Politik sprechen, nicht den allergeringsten
Grad von Berechtigung zu. findet alle preußischen Einrichtungen in Bausch und
Bogen schlecht, alle hannoverischen mehr oder weniger mustergiltig, und macht
darauf hin eine Schadensrechnung für die jetzige Provinz, die eine Ver¬
sicherungsgesellschaft zur Verzweiflung bringen müßte, wenn sie nicht völlig
sicher wäre, daß kein Gericht in der Welt sie nur zum zehnten Theile aner¬
kennen werde. Die Köheren Gehalte Kannoverischer Beamten z, B. sind nach
Stüve ein finanzieller Vorzug, denn sie werden im Lande verzehrt, und selbst
daß sie eine verhältnismäßig hohe Steuerquote im Gefolge gehabt haben, ist
kein Unglück, weil das Geld doch immer im Lande blieb. Die preußische
Mehrausgabe für das Heer hingegen sei für den Hannoveraner eine Bedrohung,
mit der der gesteigerte Schutz nach außen keineswegs versöhnen kann.


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[0375] bruches Dabimanns und Stüves geharnischte Schuften zur Vertheidig»na, deS Staatsgrundgesetzes hervorgingen. Das war unzweifelhaft Stüves beste Zeit. Als er 1848 Minister wurde, war die rastlose Woge der Geschichte über den Punkt, der seine politische Lei¬ stungsfähigkeit begrenzt, im Grunde schon hinausgerollt. Er arbeitete sich ab für die Gestaltung eines Kleinstaats, während die Stimmungen sowohl wie die gegebenen realen Bedingungen immer unverkennbarer nur demjenigen Streben noch Erfolg versprachen, das sich auf das Ganze der Nation richtete. Im Jahre 1850 konnte er sich noch mit der selbstgefälligen Einbildung schmeicheln, sein Werk werde bestehen, auch wenn die Zügel der Regierung in andere Hand übergingen, dieweil das Werk der Träumer und Theoretiker in der Paulskirche beim ersten Zusammenstoß mit der Wirklichkeit zerschellt sei. Im Jahre 1855, wo der Fußtritt eines ungeduldigen Souveräns die hannoverische Verfassung von 1848 über den Haufen stieß, mochte ihr bekümmerter Vater sich immerhin noch mit der gleichen gänzlichen Aussichtslosigkeit der ihm so fatalen nationalen Idee trösten. Nun aber. 1866, nach dem neuen Anstoß, der 1859 von außen her gegeben wurde, unaufgehalten selbst durch den bittern Verfassungskampf in Preußen, der sie für lange Zeit ganz begraben zu sollen schien, fassen diese ver¬ haßten und verachteten Ideen plötzlich festen Fuß auf haltbarem Boden, und in die Lüfte verliert sich vor ihrem Donnergang das kleine Staatsgebäude, dessen wohnlichen Ausbau der Landsmann Mösers den sauren, redlichen, unvergoltenen Fleiß eines langen Lebens gewidmet hat. Man muß die Gemüthsverfassung bedenken, welcher einer solcher Situation entspricht, um die neueste Denkschrift Stüves nicht härter zu beurtheilen, als subjectiv gerecht wäre. Schlimmer als die thatsächlichen Irrthümer, die schon an anderem Orte nachgewiesen worden, ist die Mißauffassung, welche die ganze Schrift durchzieht, und die man versucht wäre für Bosheit zu nehmen, wäre sie nicht blind¬ machende Leidenschaft. Um es kurz zu sagen, Stüve gesteht den nationalen Gesichtspunkten, die für Preußens Politik sprechen, nicht den allergeringsten Grad von Berechtigung zu. findet alle preußischen Einrichtungen in Bausch und Bogen schlecht, alle hannoverischen mehr oder weniger mustergiltig, und macht darauf hin eine Schadensrechnung für die jetzige Provinz, die eine Ver¬ sicherungsgesellschaft zur Verzweiflung bringen müßte, wenn sie nicht völlig sicher wäre, daß kein Gericht in der Welt sie nur zum zehnten Theile aner¬ kennen werde. Die Köheren Gehalte Kannoverischer Beamten z, B. sind nach Stüve ein finanzieller Vorzug, denn sie werden im Lande verzehrt, und selbst daß sie eine verhältnismäßig hohe Steuerquote im Gefolge gehabt haben, ist kein Unglück, weil das Geld doch immer im Lande blieb. Die preußische Mehrausgabe für das Heer hingegen sei für den Hannoveraner eine Bedrohung, mit der der gesteigerte Schutz nach außen keineswegs versöhnen kann.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/375>, abgerufen am 30.06.2024.