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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Wir sind mitten in einer revolutionären Umgestaltung des deutschen Lebens, die
dadurch nicht weniger radical wurde, weil sie mit kriegführenden Heeren be¬
gann. Ob das gute Ende dieser Bewegung ein einheitlicher Staat Deutschland
wird, ob die preußische Regierung, ermüdet durch den Widerstand äußerer Feinde
und die Apathie des Volkes, auf halbem Wege stehen bleibt; ob die große
Entscheidung friedlich verläuft, oder durch neues Blutvergießen herbeigeführt
werden muß, das hängt zum großen Theil von der Haltung der deutschen
Patrioten ab, und deshalb soll niemand meinen, daß es auch ohne ihn gehen
werde.

Es ist kein Geheimniß, daß an manchem deutschen Hofe und in der wiener
Burg nichts sehnlicher erwartet wird, als ein Umschwung, der das Alte restau-
rirt, Preußen demüthigt, Oestreich und den Bundestag wieder einrichtet. Man
soll allerdings nicht zu viel Gewicht legen auf die Illusionen deutscher Aristo¬
kratie und die Combinationen getränkter Erzherzöge, welche im nächsten Jahre
mit dem ganzen reorganisirten Heere des Kaiserstaats doch noch den Einzug in
. Berlin hoffen. Zwischen solchen Träumen und der That liegen viele Hinder¬
nisse, und die Lage des Kaiscrstaats mag im nächsten Frühjahr hoffnungsärmer
sein als selbst jetzt. Aber in jedem Falle liegt uns allen, nicht nur der preu¬
ßischen Negierung, sondern jedem Einzelnen ob, nach Kräften die Wiederkehr
solcher Gefahr zu vermindern. Kein besseres Mittel giebt es dazu, als Befesti¬
gung der neuen Staatoverhältnifse und warme Unterstützung der preußischen
Regierung, trotz aller Selbstverläugnung, welche hier und da noch einem ehr¬
lichen Liberalen nöthig wird.

Wir Kaden unsere Pflicht erfüllt, indem wir bis zu dem Tage, wo der
Krieg unvermeidlich wurde, gegen Mißgriffe und Partcitendenz des preu¬
ßischen Systems das Gewissen des deutschen Volkes vertraten. Seit die Noth¬
wendigkeit des Krieges offenbar wurde, war es ebenso unsere Pflicht, jede
Partcioppvsition zu unterlassen; es gab seitdem für uns Deutsche nur die Frage:
Preußen oder Oestreich, moderner oder mittelalterlicher Staat, Einheit oder Viel-
theiligkeit. Noch heute steht die Frage genau ebenso; für den neuen Preußen
aber ist Gelegenheit in Fülle, in friedlicher Arbeit den Sieg der Sache zu
fördern, an welcher uns Herz und Leben hängt.




Wir sind mitten in einer revolutionären Umgestaltung des deutschen Lebens, die
dadurch nicht weniger radical wurde, weil sie mit kriegführenden Heeren be¬
gann. Ob das gute Ende dieser Bewegung ein einheitlicher Staat Deutschland
wird, ob die preußische Regierung, ermüdet durch den Widerstand äußerer Feinde
und die Apathie des Volkes, auf halbem Wege stehen bleibt; ob die große
Entscheidung friedlich verläuft, oder durch neues Blutvergießen herbeigeführt
werden muß, das hängt zum großen Theil von der Haltung der deutschen
Patrioten ab, und deshalb soll niemand meinen, daß es auch ohne ihn gehen
werde.

Es ist kein Geheimniß, daß an manchem deutschen Hofe und in der wiener
Burg nichts sehnlicher erwartet wird, als ein Umschwung, der das Alte restau-
rirt, Preußen demüthigt, Oestreich und den Bundestag wieder einrichtet. Man
soll allerdings nicht zu viel Gewicht legen auf die Illusionen deutscher Aristo¬
kratie und die Combinationen getränkter Erzherzöge, welche im nächsten Jahre
mit dem ganzen reorganisirten Heere des Kaiserstaats doch noch den Einzug in
. Berlin hoffen. Zwischen solchen Träumen und der That liegen viele Hinder¬
nisse, und die Lage des Kaiscrstaats mag im nächsten Frühjahr hoffnungsärmer
sein als selbst jetzt. Aber in jedem Falle liegt uns allen, nicht nur der preu¬
ßischen Negierung, sondern jedem Einzelnen ob, nach Kräften die Wiederkehr
solcher Gefahr zu vermindern. Kein besseres Mittel giebt es dazu, als Befesti¬
gung der neuen Staatoverhältnifse und warme Unterstützung der preußischen
Regierung, trotz aller Selbstverläugnung, welche hier und da noch einem ehr¬
lichen Liberalen nöthig wird.

Wir Kaden unsere Pflicht erfüllt, indem wir bis zu dem Tage, wo der
Krieg unvermeidlich wurde, gegen Mißgriffe und Partcitendenz des preu¬
ßischen Systems das Gewissen des deutschen Volkes vertraten. Seit die Noth¬
wendigkeit des Krieges offenbar wurde, war es ebenso unsere Pflicht, jede
Partcioppvsition zu unterlassen; es gab seitdem für uns Deutsche nur die Frage:
Preußen oder Oestreich, moderner oder mittelalterlicher Staat, Einheit oder Viel-
theiligkeit. Noch heute steht die Frage genau ebenso; für den neuen Preußen
aber ist Gelegenheit in Fülle, in friedlicher Arbeit den Sieg der Sache zu
fördern, an welcher uns Herz und Leben hängt.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/186>, abgerufen am 22.07.2024.