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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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selbst, sondern gänzlich sein bin. Wenn ich nun mit euch zu speisen ginge, so
würden, da ihr alle von edler Art und Eigenschaft seid, nicht blos ihr drei,
sondern alle, die beim Mahle wären, ein Stück von mir nehmen, der eine mit
seinem Gesang, der andre mit seinem Tanz. Und so hätte jeder sein Theil
von mir. Ich aber, anstatt mich bei euch zu erholen, zu sammeln, zu erheitern,
wie ihr gesagt habt, würde mich völlig verlieren und vernichten, so daß ich
viele Tage lang nicht wüßte, in welcher Welt ich mich befände.

Diese Gedanken sind so echt im Geiste Michelangelos, daß, wenn er nicht
wirklich so zu den Freunden gesagt hat. Giannotti aus den Gedichten Michel,
angelos die Stelle componiren konnte. Es ist ganz der sokratische Eros, nur
leidender, tiefer gestimmt, als bei dem griechischen Weisen. Wir werden uns
jetzt nicht mehr wundern, wenn für Michelangelo die männliche Schönheit ganz
in gleichem Range steht mit der weiblichen, und wenn manche seiner Liebes¬
sonette (obwohl Guasti eS nicht Wort haben will) offenbar durch männliche
Ideale veranlaßt sind. Einige derselben werden als solche bezeichnet, die an
den jungen römischen Edelmann Tommaso Cavalieri gerichtet sind, und waren
schon bei Lebzeiten Michelangelos mit dieser Bezeichnung allgemein verbreitet.
Aber Namen thun hier nichts zur Sache. Er liebte jeden, an dem er eine
besondere Trefflichkeit entdeckte, jeder ward ihm Anlaß, über die Natur des
Schönen zu denken und zu dichten. Bemerkenswerth ist nur der Nachdruck,
mit dem er grade hier, als wollte er übler Nachrede begegnen, den Unterschied
der sokratischen Liebe von der sinnlichen betont. "Nichts Sterbliches" -- dieser
Gedanke kehrt öfters wieder -- "hab ich in deinen Augen erblickt, in deinem
Antlitz sah ich, was nicht in dieser Welt auszusagen ist, an ihm ist die Seele
schon oft zu Gott aufgestiegen, und wenn auch der schlechte, unverständige Haufe
verleumdet, schäme ich mich doch nicht der heißen Liebe und des edlen Verlangens.
Jede Schönheit hienieden weist auf die himmlische Quelle, aus der alles Schöne
stammt, und keine anderen Proben des ewig Schönen hat die Erde. Warum
Verzug, mein Freund, süßen Gruß zu tauschen? Du weißt, ich bin da uyd
bin um deinetwillen da. Reiß ein die Mauer, die uns beide trennt, denn
doppelt schmerzt verhaltnes Wehe. Und zürne nicht, wenn ich nur das an dir
liebe, was du selbst an dir am meisten liebst, denn nur die Geister lieben sich.
Was ich in deinen schönen Zügen lerne und begehre, kann menschlicher Ver-
stand nicht fassen, und erst in jenem Leben darf mans schaun."

So unpersönlich gleichsam ist diese Liebe, daß auch da. wo das Herz wirk-
lich ganz unbetheiligt ist. das Schöne durchaus in derselben überschwänglichen Weise
verherrlicht wird. So in den Gedichten, die er für Luigi del Riccio beim Tod
von dessen schönem Freunde Bracchi machte, den Michelangelo kaum kennen ge¬
lernt hatte.

Vielleicht darf man unter diesem Gesichtspunkt auch dem Verhältniß zu


Grenzboten Hi. 18KK. 9

selbst, sondern gänzlich sein bin. Wenn ich nun mit euch zu speisen ginge, so
würden, da ihr alle von edler Art und Eigenschaft seid, nicht blos ihr drei,
sondern alle, die beim Mahle wären, ein Stück von mir nehmen, der eine mit
seinem Gesang, der andre mit seinem Tanz. Und so hätte jeder sein Theil
von mir. Ich aber, anstatt mich bei euch zu erholen, zu sammeln, zu erheitern,
wie ihr gesagt habt, würde mich völlig verlieren und vernichten, so daß ich
viele Tage lang nicht wüßte, in welcher Welt ich mich befände.

Diese Gedanken sind so echt im Geiste Michelangelos, daß, wenn er nicht
wirklich so zu den Freunden gesagt hat. Giannotti aus den Gedichten Michel,
angelos die Stelle componiren konnte. Es ist ganz der sokratische Eros, nur
leidender, tiefer gestimmt, als bei dem griechischen Weisen. Wir werden uns
jetzt nicht mehr wundern, wenn für Michelangelo die männliche Schönheit ganz
in gleichem Range steht mit der weiblichen, und wenn manche seiner Liebes¬
sonette (obwohl Guasti eS nicht Wort haben will) offenbar durch männliche
Ideale veranlaßt sind. Einige derselben werden als solche bezeichnet, die an
den jungen römischen Edelmann Tommaso Cavalieri gerichtet sind, und waren
schon bei Lebzeiten Michelangelos mit dieser Bezeichnung allgemein verbreitet.
Aber Namen thun hier nichts zur Sache. Er liebte jeden, an dem er eine
besondere Trefflichkeit entdeckte, jeder ward ihm Anlaß, über die Natur des
Schönen zu denken und zu dichten. Bemerkenswerth ist nur der Nachdruck,
mit dem er grade hier, als wollte er übler Nachrede begegnen, den Unterschied
der sokratischen Liebe von der sinnlichen betont. „Nichts Sterbliches" — dieser
Gedanke kehrt öfters wieder — „hab ich in deinen Augen erblickt, in deinem
Antlitz sah ich, was nicht in dieser Welt auszusagen ist, an ihm ist die Seele
schon oft zu Gott aufgestiegen, und wenn auch der schlechte, unverständige Haufe
verleumdet, schäme ich mich doch nicht der heißen Liebe und des edlen Verlangens.
Jede Schönheit hienieden weist auf die himmlische Quelle, aus der alles Schöne
stammt, und keine anderen Proben des ewig Schönen hat die Erde. Warum
Verzug, mein Freund, süßen Gruß zu tauschen? Du weißt, ich bin da uyd
bin um deinetwillen da. Reiß ein die Mauer, die uns beide trennt, denn
doppelt schmerzt verhaltnes Wehe. Und zürne nicht, wenn ich nur das an dir
liebe, was du selbst an dir am meisten liebst, denn nur die Geister lieben sich.
Was ich in deinen schönen Zügen lerne und begehre, kann menschlicher Ver-
stand nicht fassen, und erst in jenem Leben darf mans schaun."

So unpersönlich gleichsam ist diese Liebe, daß auch da. wo das Herz wirk-
lich ganz unbetheiligt ist. das Schöne durchaus in derselben überschwänglichen Weise
verherrlicht wird. So in den Gedichten, die er für Luigi del Riccio beim Tod
von dessen schönem Freunde Bracchi machte, den Michelangelo kaum kennen ge¬
lernt hatte.

Vielleicht darf man unter diesem Gesichtspunkt auch dem Verhältniß zu


Grenzboten Hi. 18KK. 9
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[0077] selbst, sondern gänzlich sein bin. Wenn ich nun mit euch zu speisen ginge, so würden, da ihr alle von edler Art und Eigenschaft seid, nicht blos ihr drei, sondern alle, die beim Mahle wären, ein Stück von mir nehmen, der eine mit seinem Gesang, der andre mit seinem Tanz. Und so hätte jeder sein Theil von mir. Ich aber, anstatt mich bei euch zu erholen, zu sammeln, zu erheitern, wie ihr gesagt habt, würde mich völlig verlieren und vernichten, so daß ich viele Tage lang nicht wüßte, in welcher Welt ich mich befände. Diese Gedanken sind so echt im Geiste Michelangelos, daß, wenn er nicht wirklich so zu den Freunden gesagt hat. Giannotti aus den Gedichten Michel, angelos die Stelle componiren konnte. Es ist ganz der sokratische Eros, nur leidender, tiefer gestimmt, als bei dem griechischen Weisen. Wir werden uns jetzt nicht mehr wundern, wenn für Michelangelo die männliche Schönheit ganz in gleichem Range steht mit der weiblichen, und wenn manche seiner Liebes¬ sonette (obwohl Guasti eS nicht Wort haben will) offenbar durch männliche Ideale veranlaßt sind. Einige derselben werden als solche bezeichnet, die an den jungen römischen Edelmann Tommaso Cavalieri gerichtet sind, und waren schon bei Lebzeiten Michelangelos mit dieser Bezeichnung allgemein verbreitet. Aber Namen thun hier nichts zur Sache. Er liebte jeden, an dem er eine besondere Trefflichkeit entdeckte, jeder ward ihm Anlaß, über die Natur des Schönen zu denken und zu dichten. Bemerkenswerth ist nur der Nachdruck, mit dem er grade hier, als wollte er übler Nachrede begegnen, den Unterschied der sokratischen Liebe von der sinnlichen betont. „Nichts Sterbliches" — dieser Gedanke kehrt öfters wieder — „hab ich in deinen Augen erblickt, in deinem Antlitz sah ich, was nicht in dieser Welt auszusagen ist, an ihm ist die Seele schon oft zu Gott aufgestiegen, und wenn auch der schlechte, unverständige Haufe verleumdet, schäme ich mich doch nicht der heißen Liebe und des edlen Verlangens. Jede Schönheit hienieden weist auf die himmlische Quelle, aus der alles Schöne stammt, und keine anderen Proben des ewig Schönen hat die Erde. Warum Verzug, mein Freund, süßen Gruß zu tauschen? Du weißt, ich bin da uyd bin um deinetwillen da. Reiß ein die Mauer, die uns beide trennt, denn doppelt schmerzt verhaltnes Wehe. Und zürne nicht, wenn ich nur das an dir liebe, was du selbst an dir am meisten liebst, denn nur die Geister lieben sich. Was ich in deinen schönen Zügen lerne und begehre, kann menschlicher Ver- stand nicht fassen, und erst in jenem Leben darf mans schaun." So unpersönlich gleichsam ist diese Liebe, daß auch da. wo das Herz wirk- lich ganz unbetheiligt ist. das Schöne durchaus in derselben überschwänglichen Weise verherrlicht wird. So in den Gedichten, die er für Luigi del Riccio beim Tod von dessen schönem Freunde Bracchi machte, den Michelangelo kaum kennen ge¬ lernt hatte. Vielleicht darf man unter diesem Gesichtspunkt auch dem Verhältniß zu Grenzboten Hi. 18KK. 9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/77>, abgerufen am 22.07.2024.