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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Eigenthums- (oder Einkommen-) Steuer und der Lebenssteuer, d. h.
der allgemeinen Wehrpflicht.

Diese strengen Forderungen widerstreben einem jeden, der an die Staaten-
losigkeit gewöhnt ist. Und das ist am Mittel- und Oberrhein noch vielfach der
Fall. Allein das Herzogthum Nassau, das in der Zeit von 1803 bis 1816
durch den Reichsdeputationshauptschluß, die Rheinbundsacte, die wiener Con-
grcßacte, und eine Reihe von Hausverträgen über Tausch und Theilung zusammen-
geschweißt ist, und das nicht mehr als 8S Quadratmeilen Flächengehalt hat,
ist zusammengesetzt aus nicht weniger als 27 -- sage und schreibe siebenund¬
zwanzig -- reichsunmittelbaren Territorien und Territorialtheilen, wonach also
ein solches reichsunmittelbares Land etwa im Durchschnitt drei Quadratmalen
groß war. Die größten Territorien in diesem bunten und krausen Gewirre
waren die geistlichen Kursürsicnthümer; allein in diesen ging es so sehr "geist¬
lich" zu, daß der Legriff des Staats darüber verloren wurde. Verhältnißmäßig
am besten fuhr man noch in den freien Reichsstädten, trotz Zunft und Zopf
und alledem. Der schwäbische Kreis hatte vor hundert Jahren nicht weniger
als vierunbneunzig Stande, abgesehen von den ganz kleinen Territorien, welche
reichsunmittelbar waren, aber keine Standschaft hatten. Dieselben saßen auf
den Kreistagen auf fünf Bänken, nämlich: aus der ersten vier geistliche Stifter
und geistliche Fürsten; auf der zweiten dreizehn weltliche Fürsten und Stifter,
auf der dritten sechzehn Prälaten, auf der vierten sechsundzwanzig Grafen und
Herrn, auf der fünften einunddreißig Reichsstädte.

Es ist vielleicht die Reminiscenz an'diese paradiesisch staatenlose Zustände
der deutschen Vergangenheit, vielleicht auch das Betspiel der benachbarten
Schweiz, welche vermöge ihrer allgemein anerkannten Neutralität daraus ver¬
zichtet, nach Außen eine Staatsmacht zu entfalten, und welche vermöge ihrer
geschützten Lage leichter als ein anderes Gemeinwesen darauf verzichten kann,
welches die süddeutsche Volkspartei dem Begriffe des Staates so sehr entfremdet
hat, daß manchen Mitgliedern derselben selbst das Königreich Bayern oder das
Königreich Wüitemberg noch viel zu groß scheinen, und sie jedes dieser Länder
in einzelne Cantone, Kreise oder Kirchspiele auslösen möchten. Um nun wieder
aus unser Fiantsurt zurückzukommen, so ist eine solche Auffassung dort natür¬
licher als irgendwo sonst. Denn es ist kein Staat, sondern eine Stadt, welche
ein exclusives Leben sür sich geführt und sich ziemlich wohl dabei befunden hat.
Es ist daher sehr begreiflich, wenn ihre Bewohner sich jeder Bewegung, welche
diese Sonderexistenz bedroht, mit Eiser entgegenstemmen und Schutz dagegen
suchen bei jedermann ohne Unterschied, von welchem sie glauben, daß er ihnen
solchen zu gewähren im Stande oder Willens sei. Gegenwärtig glauben sie
dies von Oestreich, dessen Versuche sich selbst staatlich zu concentriren und ein¬
heitlich zu centralisiren ihm erst kürzlich total mißlungen sind, worin allerdings


Eigenthums- (oder Einkommen-) Steuer und der Lebenssteuer, d. h.
der allgemeinen Wehrpflicht.

Diese strengen Forderungen widerstreben einem jeden, der an die Staaten-
losigkeit gewöhnt ist. Und das ist am Mittel- und Oberrhein noch vielfach der
Fall. Allein das Herzogthum Nassau, das in der Zeit von 1803 bis 1816
durch den Reichsdeputationshauptschluß, die Rheinbundsacte, die wiener Con-
grcßacte, und eine Reihe von Hausverträgen über Tausch und Theilung zusammen-
geschweißt ist, und das nicht mehr als 8S Quadratmeilen Flächengehalt hat,
ist zusammengesetzt aus nicht weniger als 27 — sage und schreibe siebenund¬
zwanzig — reichsunmittelbaren Territorien und Territorialtheilen, wonach also
ein solches reichsunmittelbares Land etwa im Durchschnitt drei Quadratmalen
groß war. Die größten Territorien in diesem bunten und krausen Gewirre
waren die geistlichen Kursürsicnthümer; allein in diesen ging es so sehr „geist¬
lich" zu, daß der Legriff des Staats darüber verloren wurde. Verhältnißmäßig
am besten fuhr man noch in den freien Reichsstädten, trotz Zunft und Zopf
und alledem. Der schwäbische Kreis hatte vor hundert Jahren nicht weniger
als vierunbneunzig Stande, abgesehen von den ganz kleinen Territorien, welche
reichsunmittelbar waren, aber keine Standschaft hatten. Dieselben saßen auf
den Kreistagen auf fünf Bänken, nämlich: aus der ersten vier geistliche Stifter
und geistliche Fürsten; auf der zweiten dreizehn weltliche Fürsten und Stifter,
auf der dritten sechzehn Prälaten, auf der vierten sechsundzwanzig Grafen und
Herrn, auf der fünften einunddreißig Reichsstädte.

Es ist vielleicht die Reminiscenz an'diese paradiesisch staatenlose Zustände
der deutschen Vergangenheit, vielleicht auch das Betspiel der benachbarten
Schweiz, welche vermöge ihrer allgemein anerkannten Neutralität daraus ver¬
zichtet, nach Außen eine Staatsmacht zu entfalten, und welche vermöge ihrer
geschützten Lage leichter als ein anderes Gemeinwesen darauf verzichten kann,
welches die süddeutsche Volkspartei dem Begriffe des Staates so sehr entfremdet
hat, daß manchen Mitgliedern derselben selbst das Königreich Bayern oder das
Königreich Wüitemberg noch viel zu groß scheinen, und sie jedes dieser Länder
in einzelne Cantone, Kreise oder Kirchspiele auslösen möchten. Um nun wieder
aus unser Fiantsurt zurückzukommen, so ist eine solche Auffassung dort natür¬
licher als irgendwo sonst. Denn es ist kein Staat, sondern eine Stadt, welche
ein exclusives Leben sür sich geführt und sich ziemlich wohl dabei befunden hat.
Es ist daher sehr begreiflich, wenn ihre Bewohner sich jeder Bewegung, welche
diese Sonderexistenz bedroht, mit Eiser entgegenstemmen und Schutz dagegen
suchen bei jedermann ohne Unterschied, von welchem sie glauben, daß er ihnen
solchen zu gewähren im Stande oder Willens sei. Gegenwärtig glauben sie
dies von Oestreich, dessen Versuche sich selbst staatlich zu concentriren und ein¬
heitlich zu centralisiren ihm erst kürzlich total mißlungen sind, worin allerdings


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Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/60>, abgerufen am 22.07.2024.