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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Juristen in den verflossenen Jahrhunderten dem wuchernden Verkehre entgegen-
geschleudert hatten, leben in dem feurigen Apostel auf und tönen hinaus auf
Markt und Straßen.

Gewinnlos sei von Natur das Darlehn, unfruchtbar das Geld; verwerflich
auch der Wein- und Kornwuchcr, der offene und versteckte: "wiewohl der
tückische Geiz unterweilen ihm selbst eine Farbe anstreicht, als nehme er das
Uebrige für ein Geschenk, Roggen auf Korn, böse Münze, Waare auf gute" u. ni.
Selbst der von der römischen Kirche gebilligte Rentenkauf, welcher im Mittel-
alter und bis zu Luthers Zeit vielfach die Stelle des hypothekarischen,, dann
auch des einfachen Darlehns vertrat, erscheint ihm wunderlich und unannehmbar;
er werde meist zu Uebervortheilung des Darbenden geschlossen. "Aus dem
geistlichen Recht findet man, daß er (der Rentenkauf) nicht aus Liebe, sondern
zu eigenem Nutz gezogen wird. Und achte es auch nicht, daß er den Reichen
sei zugelassen, wie etliche geizige Blasen thun, die auf benannte Tage Zinsen
aufhebe" und frisch wiederum dasselbe auch auf Zinse treiben, daß immer ein
Zins den andern treibt, wie das Wasser die Mühlräder." Das rentenpflichtige
Gut solle genau angegeben, nicht überlastet werden. Der in beiderseitigen
Interesse geschlossene Rentenkauf dagegen rechtfertige sich, nur müsse die Rente
dem G"the>trage angemessen und das Capital nicht klein, wie ein rein persön¬
liches Darlehn, sein. Sieben bis zehn Procent fordre man. selbst die Kirche,
die doch "mit Fürchten vier bis fünf nehmen sollte". Den wuchernden Teufeln
zu steuern, die Armen zu retten, sei Sache der Prediger und Juristen, "damit
die Wucbrer ein Gewissen kriegen und ihr verdammt Wesen erkennen". Man
solle den Wucher auf der Kanzel getrost schelten und verdammen, den Wuchrern
weder Sacrament noch Absolution reichen, damit man ihre Sünde nicht theile,
sie im Sterben liegen lassen, wie Heiden, nicht unter Christen begraben, noch
sie begleiten. (Luthers W. Erlangen, 1833, XX. Großer Sermon von Wucher.
S 104-116. Kleiner Sermon. S. 125 ff. u. a. Se.)

Aber die Zeit war eine andere geworden, als am Anfange der Christenheit.
Die ganze Macht des Besitzes und Verkehrs stand solchen Sätzen gegenüber;
selbst die einzelnen Fürsten mußten um der drohenden Aufstände und ihrer
eigenen Schulden willen der eifernden Geistlichkeit Einhalt thun. So ent¬
brannten heftige Zwiste mit den Dienern der Kirche. Viele von diesen hielten
sest an Luthers Parole, die von weit und breit für und gegen sie eingeholtem
Gutachten geistlicher und juristischer Autoritäten in Theorie und Praxis be¬
wiesen wenig wegen ihres Schwankens. Griff schließlich die Gewalt durch, so
opferten gar manche charakterfeste Geistliche ihre Stellen, und blieben der Wucher-
lehre Luthers getreu, z. B. Pastor Bernhard in dem thüringer, besonders rudol-
städter Wucherstreit Von 1S64, in welchem unter Vielen gutem die ryittenberger


Juristen in den verflossenen Jahrhunderten dem wuchernden Verkehre entgegen-
geschleudert hatten, leben in dem feurigen Apostel auf und tönen hinaus auf
Markt und Straßen.

Gewinnlos sei von Natur das Darlehn, unfruchtbar das Geld; verwerflich
auch der Wein- und Kornwuchcr, der offene und versteckte: „wiewohl der
tückische Geiz unterweilen ihm selbst eine Farbe anstreicht, als nehme er das
Uebrige für ein Geschenk, Roggen auf Korn, böse Münze, Waare auf gute" u. ni.
Selbst der von der römischen Kirche gebilligte Rentenkauf, welcher im Mittel-
alter und bis zu Luthers Zeit vielfach die Stelle des hypothekarischen,, dann
auch des einfachen Darlehns vertrat, erscheint ihm wunderlich und unannehmbar;
er werde meist zu Uebervortheilung des Darbenden geschlossen. „Aus dem
geistlichen Recht findet man, daß er (der Rentenkauf) nicht aus Liebe, sondern
zu eigenem Nutz gezogen wird. Und achte es auch nicht, daß er den Reichen
sei zugelassen, wie etliche geizige Blasen thun, die auf benannte Tage Zinsen
aufhebe» und frisch wiederum dasselbe auch auf Zinse treiben, daß immer ein
Zins den andern treibt, wie das Wasser die Mühlräder." Das rentenpflichtige
Gut solle genau angegeben, nicht überlastet werden. Der in beiderseitigen
Interesse geschlossene Rentenkauf dagegen rechtfertige sich, nur müsse die Rente
dem G»the>trage angemessen und das Capital nicht klein, wie ein rein persön¬
liches Darlehn, sein. Sieben bis zehn Procent fordre man. selbst die Kirche,
die doch „mit Fürchten vier bis fünf nehmen sollte". Den wuchernden Teufeln
zu steuern, die Armen zu retten, sei Sache der Prediger und Juristen, „damit
die Wucbrer ein Gewissen kriegen und ihr verdammt Wesen erkennen". Man
solle den Wucher auf der Kanzel getrost schelten und verdammen, den Wuchrern
weder Sacrament noch Absolution reichen, damit man ihre Sünde nicht theile,
sie im Sterben liegen lassen, wie Heiden, nicht unter Christen begraben, noch
sie begleiten. (Luthers W. Erlangen, 1833, XX. Großer Sermon von Wucher.
S 104-116. Kleiner Sermon. S. 125 ff. u. a. Se.)

Aber die Zeit war eine andere geworden, als am Anfange der Christenheit.
Die ganze Macht des Besitzes und Verkehrs stand solchen Sätzen gegenüber;
selbst die einzelnen Fürsten mußten um der drohenden Aufstände und ihrer
eigenen Schulden willen der eifernden Geistlichkeit Einhalt thun. So ent¬
brannten heftige Zwiste mit den Dienern der Kirche. Viele von diesen hielten
sest an Luthers Parole, die von weit und breit für und gegen sie eingeholtem
Gutachten geistlicher und juristischer Autoritäten in Theorie und Praxis be¬
wiesen wenig wegen ihres Schwankens. Griff schließlich die Gewalt durch, so
opferten gar manche charakterfeste Geistliche ihre Stellen, und blieben der Wucher-
lehre Luthers getreu, z. B. Pastor Bernhard in dem thüringer, besonders rudol-
städter Wucherstreit Von 1S64, in welchem unter Vielen gutem die ryittenberger


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[0550] Juristen in den verflossenen Jahrhunderten dem wuchernden Verkehre entgegen- geschleudert hatten, leben in dem feurigen Apostel auf und tönen hinaus auf Markt und Straßen. Gewinnlos sei von Natur das Darlehn, unfruchtbar das Geld; verwerflich auch der Wein- und Kornwuchcr, der offene und versteckte: „wiewohl der tückische Geiz unterweilen ihm selbst eine Farbe anstreicht, als nehme er das Uebrige für ein Geschenk, Roggen auf Korn, böse Münze, Waare auf gute" u. ni. Selbst der von der römischen Kirche gebilligte Rentenkauf, welcher im Mittel- alter und bis zu Luthers Zeit vielfach die Stelle des hypothekarischen,, dann auch des einfachen Darlehns vertrat, erscheint ihm wunderlich und unannehmbar; er werde meist zu Uebervortheilung des Darbenden geschlossen. „Aus dem geistlichen Recht findet man, daß er (der Rentenkauf) nicht aus Liebe, sondern zu eigenem Nutz gezogen wird. Und achte es auch nicht, daß er den Reichen sei zugelassen, wie etliche geizige Blasen thun, die auf benannte Tage Zinsen aufhebe» und frisch wiederum dasselbe auch auf Zinse treiben, daß immer ein Zins den andern treibt, wie das Wasser die Mühlräder." Das rentenpflichtige Gut solle genau angegeben, nicht überlastet werden. Der in beiderseitigen Interesse geschlossene Rentenkauf dagegen rechtfertige sich, nur müsse die Rente dem G»the>trage angemessen und das Capital nicht klein, wie ein rein persön¬ liches Darlehn, sein. Sieben bis zehn Procent fordre man. selbst die Kirche, die doch „mit Fürchten vier bis fünf nehmen sollte". Den wuchernden Teufeln zu steuern, die Armen zu retten, sei Sache der Prediger und Juristen, „damit die Wucbrer ein Gewissen kriegen und ihr verdammt Wesen erkennen". Man solle den Wucher auf der Kanzel getrost schelten und verdammen, den Wuchrern weder Sacrament noch Absolution reichen, damit man ihre Sünde nicht theile, sie im Sterben liegen lassen, wie Heiden, nicht unter Christen begraben, noch sie begleiten. (Luthers W. Erlangen, 1833, XX. Großer Sermon von Wucher. S 104-116. Kleiner Sermon. S. 125 ff. u. a. Se.) Aber die Zeit war eine andere geworden, als am Anfange der Christenheit. Die ganze Macht des Besitzes und Verkehrs stand solchen Sätzen gegenüber; selbst die einzelnen Fürsten mußten um der drohenden Aufstände und ihrer eigenen Schulden willen der eifernden Geistlichkeit Einhalt thun. So ent¬ brannten heftige Zwiste mit den Dienern der Kirche. Viele von diesen hielten sest an Luthers Parole, die von weit und breit für und gegen sie eingeholtem Gutachten geistlicher und juristischer Autoritäten in Theorie und Praxis be¬ wiesen wenig wegen ihres Schwankens. Griff schließlich die Gewalt durch, so opferten gar manche charakterfeste Geistliche ihre Stellen, und blieben der Wucher- lehre Luthers getreu, z. B. Pastor Bernhard in dem thüringer, besonders rudol- städter Wucherstreit Von 1S64, in welchem unter Vielen gutem die ryittenberger

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/550>, abgerufen am 22.07.2024.