Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Anders bei der Bundestagsarmee in und um Frankfurt a. M.

Wenn es noch eines Beweises bedürfte, daß der Bundestag zu den Werken
des Kriegs noch etwas unfähiger ist. als zu den Werten des Friedens, und
daß die Bunde"kiiegsvcrftissung nichts taugt, -- es wäre der Beweis hier, an
dieser Bundestagsarmee, deren Tage wahiscbeinlich gezählt sind, so voll erbracht,
daß ihn ein Blinder mit den Händen greifen kann.

Sadi, da liegt es, das Ungeheuer, statt mit Schuppen, mit Bajonnetcn
gepanzert; es gleicht an Unbeweglichkeit der Boa Consirictor, die einen Ochsen
verschlungen hat. Es regt sich nicht. Es scheint kein rechter Zusammenhang
mehr zwiseden Haupt und Gliedern zu sein. Die letzteren machen Bewegungen,
zuckende, kurze, schwerfällige, tastende, welche kaum noch von der centralen Cere-
bralsubstanz auszugehen scheinen. Hier schiebt sich einmal ein Fuß nach Bingen-
Nüdcsheim, dort einer nach Fulda, hier wieder einer nach Wetzlar vor, aber
nur um sich alsbald wieder zurückzuziehen. Polypenarme! Fast mehr negative
als animalische Bewegung. Oder, um mit Napoleon dem Ersten zu sprechen:
orüre, eonti ö-orärs, äesoräi'ö.

Fürwahr, dieser tapfere Prinz Alexander ist nicht zu beneiden, um das in
seine Hände gelegte Commando. Wir vermuthen, daß es >hin bei dem Kanonen¬
donner von Magenta vielleicht noch etwas wohler zu Muthe war, als in die¬
sem Capua, diesem Frankfurt. Seine Armee gehört vier oder fünf obersten
Kriegsherren an, die dicht dabeisitzen und ewig dreinreden. Er, der Prinz,
kann natürlich seinen Mitfürsten nicht das Gehör verweigern. Wenn Darmstadt
kommt, so trüb und bleich, und verlangt Schutz für den Rochusberg bei Bingen,
er muß ihn geben. Wenn Nassau in ängstlicher Sorge für Kasse und Keller
heule seine Soldaten, die es erst gestern zur Bundestagsarmee hat stoßen lassen,
zurückverlangt, -- kann ers verweigern? Und wenn einmal alle oberste" Kriegs¬
herren zur selbigen Zeit den nämlichen Einfall hätten, ihre Contingente zurück¬
zuziehen, so bliebe nichts davon übrig als der Prinz, und auch er kann von
seinem obersten Kriegsherrn und Großherzog abcommandirt werden. Denn sie
alle haben nicht dem deutschen Reich, sondern ein jeder seinem specielle" Landes¬
herr" den Fahneneid geleistet. Daneben hat der Prinz den Bundestag als
Hofkriegsrath um sich. Er ist dessen Geschöpf, und der Bundestag seinerseits
ist auch wieder keine constituirte ordentliche Behörde, worin jeder innerhalb
seiner Kompetenz auf seine Verantwortung selbständig handelt, sondern eine zu¬
sammenhanglose Konferenz von Abgesandten, deren ein jeder eine Instruction
hat (oder auch noch nicht hat, sondern abwartet), aber keine Meinung.
Es beginnt denn auch bereits dem Rumpfe des Bundestages in dem exponirten
Frankfurt unheimlich zu werden und/ man sagt, er wolle sich nach Regensburg*)



') Inzwischen hat er am 24. August in Augsburg geendet, zwei Monate nach seinem
heroischen Beschluß.

Anders bei der Bundestagsarmee in und um Frankfurt a. M.

Wenn es noch eines Beweises bedürfte, daß der Bundestag zu den Werken
des Kriegs noch etwas unfähiger ist. als zu den Werten des Friedens, und
daß die Bunde»kiiegsvcrftissung nichts taugt, — es wäre der Beweis hier, an
dieser Bundestagsarmee, deren Tage wahiscbeinlich gezählt sind, so voll erbracht,
daß ihn ein Blinder mit den Händen greifen kann.

Sadi, da liegt es, das Ungeheuer, statt mit Schuppen, mit Bajonnetcn
gepanzert; es gleicht an Unbeweglichkeit der Boa Consirictor, die einen Ochsen
verschlungen hat. Es regt sich nicht. Es scheint kein rechter Zusammenhang
mehr zwiseden Haupt und Gliedern zu sein. Die letzteren machen Bewegungen,
zuckende, kurze, schwerfällige, tastende, welche kaum noch von der centralen Cere-
bralsubstanz auszugehen scheinen. Hier schiebt sich einmal ein Fuß nach Bingen-
Nüdcsheim, dort einer nach Fulda, hier wieder einer nach Wetzlar vor, aber
nur um sich alsbald wieder zurückzuziehen. Polypenarme! Fast mehr negative
als animalische Bewegung. Oder, um mit Napoleon dem Ersten zu sprechen:
orüre, eonti ö-orärs, äesoräi'ö.

Fürwahr, dieser tapfere Prinz Alexander ist nicht zu beneiden, um das in
seine Hände gelegte Commando. Wir vermuthen, daß es >hin bei dem Kanonen¬
donner von Magenta vielleicht noch etwas wohler zu Muthe war, als in die¬
sem Capua, diesem Frankfurt. Seine Armee gehört vier oder fünf obersten
Kriegsherren an, die dicht dabeisitzen und ewig dreinreden. Er, der Prinz,
kann natürlich seinen Mitfürsten nicht das Gehör verweigern. Wenn Darmstadt
kommt, so trüb und bleich, und verlangt Schutz für den Rochusberg bei Bingen,
er muß ihn geben. Wenn Nassau in ängstlicher Sorge für Kasse und Keller
heule seine Soldaten, die es erst gestern zur Bundestagsarmee hat stoßen lassen,
zurückverlangt, — kann ers verweigern? Und wenn einmal alle oberste» Kriegs¬
herren zur selbigen Zeit den nämlichen Einfall hätten, ihre Contingente zurück¬
zuziehen, so bliebe nichts davon übrig als der Prinz, und auch er kann von
seinem obersten Kriegsherrn und Großherzog abcommandirt werden. Denn sie
alle haben nicht dem deutschen Reich, sondern ein jeder seinem specielle» Landes¬
herr» den Fahneneid geleistet. Daneben hat der Prinz den Bundestag als
Hofkriegsrath um sich. Er ist dessen Geschöpf, und der Bundestag seinerseits
ist auch wieder keine constituirte ordentliche Behörde, worin jeder innerhalb
seiner Kompetenz auf seine Verantwortung selbständig handelt, sondern eine zu¬
sammenhanglose Konferenz von Abgesandten, deren ein jeder eine Instruction
hat (oder auch noch nicht hat, sondern abwartet), aber keine Meinung.
Es beginnt denn auch bereits dem Rumpfe des Bundestages in dem exponirten
Frankfurt unheimlich zu werden und/ man sagt, er wolle sich nach Regensburg*)



') Inzwischen hat er am 24. August in Augsburg geendet, zwei Monate nach seinem
heroischen Beschluß.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0534" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286122"/>
          <p xml:id="ID_1908"> Anders bei der Bundestagsarmee in und um Frankfurt a. M.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1909"> Wenn es noch eines Beweises bedürfte, daß der Bundestag zu den Werken<lb/>
des Kriegs noch etwas unfähiger ist. als zu den Werten des Friedens, und<lb/>
daß die Bunde»kiiegsvcrftissung nichts taugt, &#x2014; es wäre der Beweis hier, an<lb/>
dieser Bundestagsarmee, deren Tage wahiscbeinlich gezählt sind, so voll erbracht,<lb/>
daß ihn ein Blinder mit den Händen greifen kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1910"> Sadi, da liegt es, das Ungeheuer, statt mit Schuppen, mit Bajonnetcn<lb/>
gepanzert; es gleicht an Unbeweglichkeit der Boa Consirictor, die einen Ochsen<lb/>
verschlungen hat. Es regt sich nicht. Es scheint kein rechter Zusammenhang<lb/>
mehr zwiseden Haupt und Gliedern zu sein. Die letzteren machen Bewegungen,<lb/>
zuckende, kurze, schwerfällige, tastende, welche kaum noch von der centralen Cere-<lb/>
bralsubstanz auszugehen scheinen. Hier schiebt sich einmal ein Fuß nach Bingen-<lb/>
Nüdcsheim, dort einer nach Fulda, hier wieder einer nach Wetzlar vor, aber<lb/>
nur um sich alsbald wieder zurückzuziehen. Polypenarme! Fast mehr negative<lb/>
als animalische Bewegung. Oder, um mit Napoleon dem Ersten zu sprechen:<lb/>
orüre, eonti ö-orärs, äesoräi'ö.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1911" next="#ID_1912"> Fürwahr, dieser tapfere Prinz Alexander ist nicht zu beneiden, um das in<lb/>
seine Hände gelegte Commando. Wir vermuthen, daß es &gt;hin bei dem Kanonen¬<lb/>
donner von Magenta vielleicht noch etwas wohler zu Muthe war, als in die¬<lb/>
sem Capua, diesem Frankfurt. Seine Armee gehört vier oder fünf obersten<lb/>
Kriegsherren an, die dicht dabeisitzen und ewig dreinreden. Er, der Prinz,<lb/>
kann natürlich seinen Mitfürsten nicht das Gehör verweigern. Wenn Darmstadt<lb/>
kommt, so trüb und bleich, und verlangt Schutz für den Rochusberg bei Bingen,<lb/>
er muß ihn geben. Wenn Nassau in ängstlicher Sorge für Kasse und Keller<lb/>
heule seine Soldaten, die es erst gestern zur Bundestagsarmee hat stoßen lassen,<lb/>
zurückverlangt, &#x2014; kann ers verweigern? Und wenn einmal alle oberste» Kriegs¬<lb/>
herren zur selbigen Zeit den nämlichen Einfall hätten, ihre Contingente zurück¬<lb/>
zuziehen, so bliebe nichts davon übrig als der Prinz, und auch er kann von<lb/>
seinem obersten Kriegsherrn und Großherzog abcommandirt werden. Denn sie<lb/>
alle haben nicht dem deutschen Reich, sondern ein jeder seinem specielle» Landes¬<lb/>
herr» den Fahneneid geleistet. Daneben hat der Prinz den Bundestag als<lb/>
Hofkriegsrath um sich. Er ist dessen Geschöpf, und der Bundestag seinerseits<lb/>
ist auch wieder keine constituirte ordentliche Behörde, worin jeder innerhalb<lb/>
seiner Kompetenz auf seine Verantwortung selbständig handelt, sondern eine zu¬<lb/>
sammenhanglose Konferenz von Abgesandten, deren ein jeder eine Instruction<lb/>
hat (oder auch noch nicht hat, sondern abwartet), aber keine Meinung.<lb/>
Es beginnt denn auch bereits dem Rumpfe des Bundestages in dem exponirten<lb/>
Frankfurt unheimlich zu werden und/ man sagt, er wolle sich nach Regensburg*)</p><lb/>
          <note xml:id="FID_23" place="foot"> ') Inzwischen hat er am 24. August in Augsburg geendet, zwei Monate nach seinem<lb/>
heroischen Beschluß.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0534] Anders bei der Bundestagsarmee in und um Frankfurt a. M. Wenn es noch eines Beweises bedürfte, daß der Bundestag zu den Werken des Kriegs noch etwas unfähiger ist. als zu den Werten des Friedens, und daß die Bunde»kiiegsvcrftissung nichts taugt, — es wäre der Beweis hier, an dieser Bundestagsarmee, deren Tage wahiscbeinlich gezählt sind, so voll erbracht, daß ihn ein Blinder mit den Händen greifen kann. Sadi, da liegt es, das Ungeheuer, statt mit Schuppen, mit Bajonnetcn gepanzert; es gleicht an Unbeweglichkeit der Boa Consirictor, die einen Ochsen verschlungen hat. Es regt sich nicht. Es scheint kein rechter Zusammenhang mehr zwiseden Haupt und Gliedern zu sein. Die letzteren machen Bewegungen, zuckende, kurze, schwerfällige, tastende, welche kaum noch von der centralen Cere- bralsubstanz auszugehen scheinen. Hier schiebt sich einmal ein Fuß nach Bingen- Nüdcsheim, dort einer nach Fulda, hier wieder einer nach Wetzlar vor, aber nur um sich alsbald wieder zurückzuziehen. Polypenarme! Fast mehr negative als animalische Bewegung. Oder, um mit Napoleon dem Ersten zu sprechen: orüre, eonti ö-orärs, äesoräi'ö. Fürwahr, dieser tapfere Prinz Alexander ist nicht zu beneiden, um das in seine Hände gelegte Commando. Wir vermuthen, daß es >hin bei dem Kanonen¬ donner von Magenta vielleicht noch etwas wohler zu Muthe war, als in die¬ sem Capua, diesem Frankfurt. Seine Armee gehört vier oder fünf obersten Kriegsherren an, die dicht dabeisitzen und ewig dreinreden. Er, der Prinz, kann natürlich seinen Mitfürsten nicht das Gehör verweigern. Wenn Darmstadt kommt, so trüb und bleich, und verlangt Schutz für den Rochusberg bei Bingen, er muß ihn geben. Wenn Nassau in ängstlicher Sorge für Kasse und Keller heule seine Soldaten, die es erst gestern zur Bundestagsarmee hat stoßen lassen, zurückverlangt, — kann ers verweigern? Und wenn einmal alle oberste» Kriegs¬ herren zur selbigen Zeit den nämlichen Einfall hätten, ihre Contingente zurück¬ zuziehen, so bliebe nichts davon übrig als der Prinz, und auch er kann von seinem obersten Kriegsherrn und Großherzog abcommandirt werden. Denn sie alle haben nicht dem deutschen Reich, sondern ein jeder seinem specielle» Landes¬ herr» den Fahneneid geleistet. Daneben hat der Prinz den Bundestag als Hofkriegsrath um sich. Er ist dessen Geschöpf, und der Bundestag seinerseits ist auch wieder keine constituirte ordentliche Behörde, worin jeder innerhalb seiner Kompetenz auf seine Verantwortung selbständig handelt, sondern eine zu¬ sammenhanglose Konferenz von Abgesandten, deren ein jeder eine Instruction hat (oder auch noch nicht hat, sondern abwartet), aber keine Meinung. Es beginnt denn auch bereits dem Rumpfe des Bundestages in dem exponirten Frankfurt unheimlich zu werden und/ man sagt, er wolle sich nach Regensburg*) ') Inzwischen hat er am 24. August in Augsburg geendet, zwei Monate nach seinem heroischen Beschluß.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/534
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/534>, abgerufen am 22.07.2024.