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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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nicht stets und überall aussprach wie seht, wurde unzweifelhaft gefangen und
eingesteckt. Einzelne Männer von ausgeprägt norddeutschen Typus durften sich
nicht aus dem Hause wagen. Eines Tages wurde der Komiker des Mainzer
Stadttheaters, als er vor dem Thore seine Rolle einstudirte und dabei die Arme
etwas höher streckte, als es die von Cicero, dem^Redner, vorgeschriebene Schön¬
heitslinie erlaubt, verhaftet unter der Anklage, mittelst Armbewegungen dem
Feinde auf optischen Wege zutclegraphirt zu haben. Der vielbekannte und all¬
gemein beliebte Künstler wurde unter starker militärischer Escorte durch die
Stadt geführt, zum Entzücken der Schuljugend. Beiläufig bemerkt, inspicirte
letztere auch das von der Bundesmilitärbehörde in Mainz massenhaft aufgehäufte
Schlachtvieh. Sie nennt eS "die Bundesochsen".

Doch kehre" wir zurück von dem geräuschvollen Mainz zu meinem' engen
heißen stillen Kämmerlein in Bibrich. Ich wünschte recht'viele, und namentlich
zur regierenden Classe gehörige Personen, würden einmal auf kurze Zeit so
eingesteckt und behandelt wie ich. Ich wünschte dies nicht aus Grausamkeit
gegen die einen, sondern aus Humanität gegen die anderen. Es würde ge¬
wiß der Humanität großen Vorschub leisten, wenn jene wüßten, wie es einem
Gefangenen zu Muth ist, den man zwischen enge kahle vier Wände sperrt, dem
man die körperliche Nahrung theilweise und die geistige ganz entzieht, der ver¬
dorbene Luft athmet und warmes abgestandenes Wasser trinkt', der nicht lesen
und nicht schreiben darf und der nichts hat als die Qual der Gedanken, die
ihn beunruhigen und niederdrücken. Man spreche mir nicht von dem tröstenden
Gefühl der Unschuld. Ich hatte es gewiß so gut wie einer. Allein es ward
aufgewogen durch das Bewußtsein, daß in solchen Zuständen das Recht und
die Unschuld so viel gilt, wie ein alter Kalender. War ich denn nicht unschul¬
dig? Und doch war ich gefangen, mißhandelt, meinen gesetzlichen Richtern ent¬
zogen, und konnte nicht einmal zu einem Verhöre gelangen! Und dann die
Qual, noch nicht einmal den Gegenstand seiner Anklage zu kennen! Man zündet
die Laterne des Gedächtnisses an und leuchtet in allen Winkeln des Hirnkastens
herum, ob man nicht irgendwo etwas finde, das aussehe, wie etwas straf¬
bares, wie Verrath, Spionage u. f. w. Man findet nichts. Allein die Einsam¬
keit facht stets von neuem die Angst und die Unruhe an. Man beginnt den
schmcrzhafim Untersuchungs- und Rundgang immer wieder von neuem. Man
legt ihn zum vierten und fünften Mal zurück. Man findet aber- und abermals
nichts. Aber wenn nichts zu finden ist -- fragt man sich --, warum sitze ich
denn hier? Nun kommt man auf das Capitel der Denuncianten und der
Feinde. -- Dutzende widerwärtiger Fratzen steigen in der Zelle um mich auf.
Da steht ein dicker Amtmann und schüttelt sich vor Lachen, daß ihm die Perücke
und das Spitzbäuchlein wackeln. Er deutet auf eine Zelle mit der Aufschrift
"Wechselgefängniß". Er nickt mir grinzend zu: "Warte, ich lehre dich schweigen


nicht stets und überall aussprach wie seht, wurde unzweifelhaft gefangen und
eingesteckt. Einzelne Männer von ausgeprägt norddeutschen Typus durften sich
nicht aus dem Hause wagen. Eines Tages wurde der Komiker des Mainzer
Stadttheaters, als er vor dem Thore seine Rolle einstudirte und dabei die Arme
etwas höher streckte, als es die von Cicero, dem^Redner, vorgeschriebene Schön¬
heitslinie erlaubt, verhaftet unter der Anklage, mittelst Armbewegungen dem
Feinde auf optischen Wege zutclegraphirt zu haben. Der vielbekannte und all¬
gemein beliebte Künstler wurde unter starker militärischer Escorte durch die
Stadt geführt, zum Entzücken der Schuljugend. Beiläufig bemerkt, inspicirte
letztere auch das von der Bundesmilitärbehörde in Mainz massenhaft aufgehäufte
Schlachtvieh. Sie nennt eS „die Bundesochsen".

Doch kehre» wir zurück von dem geräuschvollen Mainz zu meinem' engen
heißen stillen Kämmerlein in Bibrich. Ich wünschte recht'viele, und namentlich
zur regierenden Classe gehörige Personen, würden einmal auf kurze Zeit so
eingesteckt und behandelt wie ich. Ich wünschte dies nicht aus Grausamkeit
gegen die einen, sondern aus Humanität gegen die anderen. Es würde ge¬
wiß der Humanität großen Vorschub leisten, wenn jene wüßten, wie es einem
Gefangenen zu Muth ist, den man zwischen enge kahle vier Wände sperrt, dem
man die körperliche Nahrung theilweise und die geistige ganz entzieht, der ver¬
dorbene Luft athmet und warmes abgestandenes Wasser trinkt', der nicht lesen
und nicht schreiben darf und der nichts hat als die Qual der Gedanken, die
ihn beunruhigen und niederdrücken. Man spreche mir nicht von dem tröstenden
Gefühl der Unschuld. Ich hatte es gewiß so gut wie einer. Allein es ward
aufgewogen durch das Bewußtsein, daß in solchen Zuständen das Recht und
die Unschuld so viel gilt, wie ein alter Kalender. War ich denn nicht unschul¬
dig? Und doch war ich gefangen, mißhandelt, meinen gesetzlichen Richtern ent¬
zogen, und konnte nicht einmal zu einem Verhöre gelangen! Und dann die
Qual, noch nicht einmal den Gegenstand seiner Anklage zu kennen! Man zündet
die Laterne des Gedächtnisses an und leuchtet in allen Winkeln des Hirnkastens
herum, ob man nicht irgendwo etwas finde, das aussehe, wie etwas straf¬
bares, wie Verrath, Spionage u. f. w. Man findet nichts. Allein die Einsam¬
keit facht stets von neuem die Angst und die Unruhe an. Man beginnt den
schmcrzhafim Untersuchungs- und Rundgang immer wieder von neuem. Man
legt ihn zum vierten und fünften Mal zurück. Man findet aber- und abermals
nichts. Aber wenn nichts zu finden ist — fragt man sich —, warum sitze ich
denn hier? Nun kommt man auf das Capitel der Denuncianten und der
Feinde. — Dutzende widerwärtiger Fratzen steigen in der Zelle um mich auf.
Da steht ein dicker Amtmann und schüttelt sich vor Lachen, daß ihm die Perücke
und das Spitzbäuchlein wackeln. Er deutet auf eine Zelle mit der Aufschrift
„Wechselgefängniß". Er nickt mir grinzend zu: „Warte, ich lehre dich schweigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/451>, abgerufen am 22.07.2024.