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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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eine preußische Feldwache oder Vorposten) zu sehen, auf einen Hügel gestiegen
zu sein, und sich dort des Verdachts einer weiteren bösen Absicht verdächtig
gemacht zu haben.

Ich selber habe, trotz der größten Mühewaltung, weder während meiner
Haft, noch auch nach derselben -- und heute schreiben wir doch schon den
23. August 1866 -- die Ursache meiner Verhaftung, noch auch meine Denun¬
cianten erfahren können. Nur so viel weiß ich, daß meine Abführung im kleri¬
kalen Lager zu Schwalbach große Satisfaction hervorrief. Ein im Jesuiten-
collcg erzogener Gastwirth suchte den Verdacht von sich abzulenken; ein Andrer
verkündigte triumphirend, auf der Liste, also wohl einer von den Klerikalen ge¬
fertigten Proscriptionslisie, stünden noch so und so viel andere; ein dritter
Schwarzer sagte grinzend: "Von den Abgeführten kommt kein Knochen wieder
zurück!" und was der freundlichen Wünsche mehr waren. -- Vorher hatten die
Klerikalen unter ihren Parteigenossen Speisen und spirituösen für die nassau¬
ischen Trnppni gesammelt. Die Rührigsten dieser Partei fuhren diese Eßwaaren
in das Lager. Sie conferirten mit dem Brigadegcneral und fratcrnisirtcn mit
den Soldaten, welche sie gegen die Liberalen aufsetzten. Man hörte sie sagen:
"Die Ver-rather sind verzeichnet, sie werden bald eingefangen." Hiernach ist es
nicht schwer, den Zusammenhang der Dinge zu errathen. Es ist das System
Werrens aus Friedenszeit in Kriegszeit übersetzt.

Meine Angehörigen waren so consternirt, daß sie keinen Rath wußten.
Glücklicherweise hatten meine Freunde und Landtagscollegen in Wiesbaden, die
Herren Braun und Lang, von meiner Verhaftung Kenntniß erhalten und ent¬
falteten sofort die energischste Thätigkeit zu meiner Wiederbefreiung. Ich erfuhr
dies jedoch erst am 17. Juli. Vorerst glaubte ich mich ohne allen Beistand.

Man fuhr mich und meinen kranken Reisegefährten nach Biebrich in die
dort vor wenigen Jahren von dem Herzog Adolph auf Landeskostcn mit dem
größten Luxus erbaute Kaserne. Dieses Prachtgebäude hat nur einen Fehler.
Es liegt nämlich völlig exponirt vor den Geschützen der Festung Mainz und
kann von da in wenig Stunden vollständig demolirt werden. Es kostet eine
viertel Million Gulden (das ganze Land hat keine halbe Million Einwohner)
und beherbergt ein einziges Bataillon Schützen, die mit großem Luxus aus-
staffirte Leibgarde des Herzogs.

Um 7'/2 Uhr kamen wir in Bibrich an und wurden in die Wachtstube
der Kaserne geführt. Man schleppte uns durch einen Haufen würtembergischer
Soldaten, die uns zornige Blicke zuwarfen und uns "Bischmark" zuriefen, nicht
nur mir, sondern auch dem Dorfschuster.

In der Wachtstube ließ mir ein nassauischcr Hauptmann Namens Travers
meine Uhr und mein Geld abnehmen. Dadurch wurden meine Zeitbestimmungen
unsicher, und ich mußte volle vierundzwanzig Stunden Hunger und Durst leiden,


Grenzboten III. 1866. > 53

eine preußische Feldwache oder Vorposten) zu sehen, auf einen Hügel gestiegen
zu sein, und sich dort des Verdachts einer weiteren bösen Absicht verdächtig
gemacht zu haben.

Ich selber habe, trotz der größten Mühewaltung, weder während meiner
Haft, noch auch nach derselben — und heute schreiben wir doch schon den
23. August 1866 — die Ursache meiner Verhaftung, noch auch meine Denun¬
cianten erfahren können. Nur so viel weiß ich, daß meine Abführung im kleri¬
kalen Lager zu Schwalbach große Satisfaction hervorrief. Ein im Jesuiten-
collcg erzogener Gastwirth suchte den Verdacht von sich abzulenken; ein Andrer
verkündigte triumphirend, auf der Liste, also wohl einer von den Klerikalen ge¬
fertigten Proscriptionslisie, stünden noch so und so viel andere; ein dritter
Schwarzer sagte grinzend: „Von den Abgeführten kommt kein Knochen wieder
zurück!" und was der freundlichen Wünsche mehr waren. — Vorher hatten die
Klerikalen unter ihren Parteigenossen Speisen und spirituösen für die nassau¬
ischen Trnppni gesammelt. Die Rührigsten dieser Partei fuhren diese Eßwaaren
in das Lager. Sie conferirten mit dem Brigadegcneral und fratcrnisirtcn mit
den Soldaten, welche sie gegen die Liberalen aufsetzten. Man hörte sie sagen:
„Die Ver-rather sind verzeichnet, sie werden bald eingefangen." Hiernach ist es
nicht schwer, den Zusammenhang der Dinge zu errathen. Es ist das System
Werrens aus Friedenszeit in Kriegszeit übersetzt.

Meine Angehörigen waren so consternirt, daß sie keinen Rath wußten.
Glücklicherweise hatten meine Freunde und Landtagscollegen in Wiesbaden, die
Herren Braun und Lang, von meiner Verhaftung Kenntniß erhalten und ent¬
falteten sofort die energischste Thätigkeit zu meiner Wiederbefreiung. Ich erfuhr
dies jedoch erst am 17. Juli. Vorerst glaubte ich mich ohne allen Beistand.

Man fuhr mich und meinen kranken Reisegefährten nach Biebrich in die
dort vor wenigen Jahren von dem Herzog Adolph auf Landeskostcn mit dem
größten Luxus erbaute Kaserne. Dieses Prachtgebäude hat nur einen Fehler.
Es liegt nämlich völlig exponirt vor den Geschützen der Festung Mainz und
kann von da in wenig Stunden vollständig demolirt werden. Es kostet eine
viertel Million Gulden (das ganze Land hat keine halbe Million Einwohner)
und beherbergt ein einziges Bataillon Schützen, die mit großem Luxus aus-
staffirte Leibgarde des Herzogs.

Um 7'/2 Uhr kamen wir in Bibrich an und wurden in die Wachtstube
der Kaserne geführt. Man schleppte uns durch einen Haufen würtembergischer
Soldaten, die uns zornige Blicke zuwarfen und uns „Bischmark" zuriefen, nicht
nur mir, sondern auch dem Dorfschuster.

In der Wachtstube ließ mir ein nassauischcr Hauptmann Namens Travers
meine Uhr und mein Geld abnehmen. Dadurch wurden meine Zeitbestimmungen
unsicher, und ich mußte volle vierundzwanzig Stunden Hunger und Durst leiden,


Grenzboten III. 1866. > 53
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[0447] eine preußische Feldwache oder Vorposten) zu sehen, auf einen Hügel gestiegen zu sein, und sich dort des Verdachts einer weiteren bösen Absicht verdächtig gemacht zu haben. Ich selber habe, trotz der größten Mühewaltung, weder während meiner Haft, noch auch nach derselben — und heute schreiben wir doch schon den 23. August 1866 — die Ursache meiner Verhaftung, noch auch meine Denun¬ cianten erfahren können. Nur so viel weiß ich, daß meine Abführung im kleri¬ kalen Lager zu Schwalbach große Satisfaction hervorrief. Ein im Jesuiten- collcg erzogener Gastwirth suchte den Verdacht von sich abzulenken; ein Andrer verkündigte triumphirend, auf der Liste, also wohl einer von den Klerikalen ge¬ fertigten Proscriptionslisie, stünden noch so und so viel andere; ein dritter Schwarzer sagte grinzend: „Von den Abgeführten kommt kein Knochen wieder zurück!" und was der freundlichen Wünsche mehr waren. — Vorher hatten die Klerikalen unter ihren Parteigenossen Speisen und spirituösen für die nassau¬ ischen Trnppni gesammelt. Die Rührigsten dieser Partei fuhren diese Eßwaaren in das Lager. Sie conferirten mit dem Brigadegcneral und fratcrnisirtcn mit den Soldaten, welche sie gegen die Liberalen aufsetzten. Man hörte sie sagen: „Die Ver-rather sind verzeichnet, sie werden bald eingefangen." Hiernach ist es nicht schwer, den Zusammenhang der Dinge zu errathen. Es ist das System Werrens aus Friedenszeit in Kriegszeit übersetzt. Meine Angehörigen waren so consternirt, daß sie keinen Rath wußten. Glücklicherweise hatten meine Freunde und Landtagscollegen in Wiesbaden, die Herren Braun und Lang, von meiner Verhaftung Kenntniß erhalten und ent¬ falteten sofort die energischste Thätigkeit zu meiner Wiederbefreiung. Ich erfuhr dies jedoch erst am 17. Juli. Vorerst glaubte ich mich ohne allen Beistand. Man fuhr mich und meinen kranken Reisegefährten nach Biebrich in die dort vor wenigen Jahren von dem Herzog Adolph auf Landeskostcn mit dem größten Luxus erbaute Kaserne. Dieses Prachtgebäude hat nur einen Fehler. Es liegt nämlich völlig exponirt vor den Geschützen der Festung Mainz und kann von da in wenig Stunden vollständig demolirt werden. Es kostet eine viertel Million Gulden (das ganze Land hat keine halbe Million Einwohner) und beherbergt ein einziges Bataillon Schützen, die mit großem Luxus aus- staffirte Leibgarde des Herzogs. Um 7'/2 Uhr kamen wir in Bibrich an und wurden in die Wachtstube der Kaserne geführt. Man schleppte uns durch einen Haufen würtembergischer Soldaten, die uns zornige Blicke zuwarfen und uns „Bischmark" zuriefen, nicht nur mir, sondern auch dem Dorfschuster. In der Wachtstube ließ mir ein nassauischcr Hauptmann Namens Travers meine Uhr und mein Geld abnehmen. Dadurch wurden meine Zeitbestimmungen unsicher, und ich mußte volle vierundzwanzig Stunden Hunger und Durst leiden, Grenzboten III. 1866. > 53

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/447>, abgerufen am 22.07.2024.