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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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In der humoristischen Darstellung Reuters stehen selbstverständlich die
reich ausgeführten Situationen oben an. Das Behagen, womit er die
Menschen in ihnen gesellt, der launige Ton der Erzählung, der Reichthum
an charakteristischen Zügen und die schlagende Wahrheit derselben, das alles
sind Vorzüge einer starken und gereiften Dichterkraft, nicht nur natürlicher
Begabung, auch einer Kunst, welche ästhetische Wirkungen sehr gut versteht und
an der richtigen Stelle hervorzubringen weiß.

Bei jeder, humoristischen Schilderung, welche, wie deutsche Weise ist, die
Geheimnisse des menschlichen Gemüthes in breit geschilderten Situationen dar¬
legt, ist der Zusammenhang der Handlung, die Verknüpfung der einzelnen Mo¬
mente, Bau und Führung der Ereignisse in Gefahr locker zu werden. Was
andern Dichtern für ihre künstlerischen Wirkungen obenan stehen muß, behandelt
der Humorist gern obenhin, als einen Bedarf seines Kunstwerks von unter¬
geordneter Bedeutung; die Versuchung, durch Episoden zu wirken, bestimmt ihn
zu ungleichmäßiger Ausführung der zu dem Zusammenhange nothwendigen
Momente, auch um die Steigerung seiner Wirkungen im weiteren Verlauf der
Handlung ist er wahrscheinlich wenig bemüht; was er giebt, wird sich oft einem
Schmuck vergleichen lassen, in welchem eine Anzahlschön geschnittener Steine ohne
sonderliche Kunst aneinandergereiht sind. Reuter allerdings ist auch in seinen klei¬
neren Erzählungen sich wohl des Werthes bewußt, welchen die Composition für
die Gesammtwirkung hat, und er versteht ganz genau, worauf es hierbei an¬
kommt. Nur zuweilen macht er sich die Sache doch ein wenig leichter, als recht
ist, auch er widersteht nicht immer der Versuchung, dankbare Episoden lang zu
machen, und beeinträchtigt sich dadurch das Verhältniß der Theile, ein ander Mal
bindet er die einzelnen Theile zu sorglos in einen Knoten. Auch in dieser
Novelle steht man dem letzten Schluß an, daß er gemacht ist. Durchaus nicht
in der Hauptsache. Das innere Verhältniß der Heldin und ihres Cvnreclors
ist sehr schön zu künstlerischem Abschluß gebracht, aber was darauf folgt, das
Eintreten des Herzogs von Schwerin als eines ausgleichenden und segenspen-
denden Genius, steht nicht ganz auf der Höhe des Vorhergehenden.

Und noch eine zweite Eigenthümlichkeit verringert ihm in einzelnen
nicht häusigen -- Fällen die künstlerische Wirkung. Seine schöne Dichterkraft
entwickelte sich zuerst an der Schnurre und lustigen Anekdote. Es ist natür¬
lich, daß ihm die Vorliebe dafür geblieben ist, und es begegnet ihm wohl noch
einmal, daß er dieser Freude an schnurrigen Geschichten nicht widerstehen kann,
auch da, wo sie Charaktere und Handlung nicht fordern. Dann springt seine
wohlgehaltene, sichere und merkwürdig wahr empfundene Charakteristik sogar
in die Caricatur über.

Um alles zu sagen, was ein ehrlicher Kritiker ihm gegenüber auf dem
Herzen hat, in der vorliegenden Novelle sind, außer un Schluß, anch im Anfange


In der humoristischen Darstellung Reuters stehen selbstverständlich die
reich ausgeführten Situationen oben an. Das Behagen, womit er die
Menschen in ihnen gesellt, der launige Ton der Erzählung, der Reichthum
an charakteristischen Zügen und die schlagende Wahrheit derselben, das alles
sind Vorzüge einer starken und gereiften Dichterkraft, nicht nur natürlicher
Begabung, auch einer Kunst, welche ästhetische Wirkungen sehr gut versteht und
an der richtigen Stelle hervorzubringen weiß.

Bei jeder, humoristischen Schilderung, welche, wie deutsche Weise ist, die
Geheimnisse des menschlichen Gemüthes in breit geschilderten Situationen dar¬
legt, ist der Zusammenhang der Handlung, die Verknüpfung der einzelnen Mo¬
mente, Bau und Führung der Ereignisse in Gefahr locker zu werden. Was
andern Dichtern für ihre künstlerischen Wirkungen obenan stehen muß, behandelt
der Humorist gern obenhin, als einen Bedarf seines Kunstwerks von unter¬
geordneter Bedeutung; die Versuchung, durch Episoden zu wirken, bestimmt ihn
zu ungleichmäßiger Ausführung der zu dem Zusammenhange nothwendigen
Momente, auch um die Steigerung seiner Wirkungen im weiteren Verlauf der
Handlung ist er wahrscheinlich wenig bemüht; was er giebt, wird sich oft einem
Schmuck vergleichen lassen, in welchem eine Anzahlschön geschnittener Steine ohne
sonderliche Kunst aneinandergereiht sind. Reuter allerdings ist auch in seinen klei¬
neren Erzählungen sich wohl des Werthes bewußt, welchen die Composition für
die Gesammtwirkung hat, und er versteht ganz genau, worauf es hierbei an¬
kommt. Nur zuweilen macht er sich die Sache doch ein wenig leichter, als recht
ist, auch er widersteht nicht immer der Versuchung, dankbare Episoden lang zu
machen, und beeinträchtigt sich dadurch das Verhältniß der Theile, ein ander Mal
bindet er die einzelnen Theile zu sorglos in einen Knoten. Auch in dieser
Novelle steht man dem letzten Schluß an, daß er gemacht ist. Durchaus nicht
in der Hauptsache. Das innere Verhältniß der Heldin und ihres Cvnreclors
ist sehr schön zu künstlerischem Abschluß gebracht, aber was darauf folgt, das
Eintreten des Herzogs von Schwerin als eines ausgleichenden und segenspen-
denden Genius, steht nicht ganz auf der Höhe des Vorhergehenden.

Und noch eine zweite Eigenthümlichkeit verringert ihm in einzelnen
nicht häusigen — Fällen die künstlerische Wirkung. Seine schöne Dichterkraft
entwickelte sich zuerst an der Schnurre und lustigen Anekdote. Es ist natür¬
lich, daß ihm die Vorliebe dafür geblieben ist, und es begegnet ihm wohl noch
einmal, daß er dieser Freude an schnurrigen Geschichten nicht widerstehen kann,
auch da, wo sie Charaktere und Handlung nicht fordern. Dann springt seine
wohlgehaltene, sichere und merkwürdig wahr empfundene Charakteristik sogar
in die Caricatur über.

Um alles zu sagen, was ein ehrlicher Kritiker ihm gegenüber auf dem
Herzen hat, in der vorliegenden Novelle sind, außer un Schluß, anch im Anfange


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[0420] In der humoristischen Darstellung Reuters stehen selbstverständlich die reich ausgeführten Situationen oben an. Das Behagen, womit er die Menschen in ihnen gesellt, der launige Ton der Erzählung, der Reichthum an charakteristischen Zügen und die schlagende Wahrheit derselben, das alles sind Vorzüge einer starken und gereiften Dichterkraft, nicht nur natürlicher Begabung, auch einer Kunst, welche ästhetische Wirkungen sehr gut versteht und an der richtigen Stelle hervorzubringen weiß. Bei jeder, humoristischen Schilderung, welche, wie deutsche Weise ist, die Geheimnisse des menschlichen Gemüthes in breit geschilderten Situationen dar¬ legt, ist der Zusammenhang der Handlung, die Verknüpfung der einzelnen Mo¬ mente, Bau und Führung der Ereignisse in Gefahr locker zu werden. Was andern Dichtern für ihre künstlerischen Wirkungen obenan stehen muß, behandelt der Humorist gern obenhin, als einen Bedarf seines Kunstwerks von unter¬ geordneter Bedeutung; die Versuchung, durch Episoden zu wirken, bestimmt ihn zu ungleichmäßiger Ausführung der zu dem Zusammenhange nothwendigen Momente, auch um die Steigerung seiner Wirkungen im weiteren Verlauf der Handlung ist er wahrscheinlich wenig bemüht; was er giebt, wird sich oft einem Schmuck vergleichen lassen, in welchem eine Anzahlschön geschnittener Steine ohne sonderliche Kunst aneinandergereiht sind. Reuter allerdings ist auch in seinen klei¬ neren Erzählungen sich wohl des Werthes bewußt, welchen die Composition für die Gesammtwirkung hat, und er versteht ganz genau, worauf es hierbei an¬ kommt. Nur zuweilen macht er sich die Sache doch ein wenig leichter, als recht ist, auch er widersteht nicht immer der Versuchung, dankbare Episoden lang zu machen, und beeinträchtigt sich dadurch das Verhältniß der Theile, ein ander Mal bindet er die einzelnen Theile zu sorglos in einen Knoten. Auch in dieser Novelle steht man dem letzten Schluß an, daß er gemacht ist. Durchaus nicht in der Hauptsache. Das innere Verhältniß der Heldin und ihres Cvnreclors ist sehr schön zu künstlerischem Abschluß gebracht, aber was darauf folgt, das Eintreten des Herzogs von Schwerin als eines ausgleichenden und segenspen- denden Genius, steht nicht ganz auf der Höhe des Vorhergehenden. Und noch eine zweite Eigenthümlichkeit verringert ihm in einzelnen nicht häusigen — Fällen die künstlerische Wirkung. Seine schöne Dichterkraft entwickelte sich zuerst an der Schnurre und lustigen Anekdote. Es ist natür¬ lich, daß ihm die Vorliebe dafür geblieben ist, und es begegnet ihm wohl noch einmal, daß er dieser Freude an schnurrigen Geschichten nicht widerstehen kann, auch da, wo sie Charaktere und Handlung nicht fordern. Dann springt seine wohlgehaltene, sichere und merkwürdig wahr empfundene Charakteristik sogar in die Caricatur über. Um alles zu sagen, was ein ehrlicher Kritiker ihm gegenüber auf dem Herzen hat, in der vorliegenden Novelle sind, außer un Schluß, anch im Anfange

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/420>, abgerufen am 22.07.2024.