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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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der bekannte treffliche Pölitz, ans Kadettenhaus nach Dresden berufen. Er sollte
unter anderem auch Staats- und Völkerrecht lehren. Zuvor hatte er eine Dar¬
legung der Grundsätze, nach welchen er seine Disciplinen tractiren wollte, beim
geheimen Cabinet einzureichen. Dieses Expose ging der damalige Cabinets-
minister v. Gutschmid aufs gewissenhafteste mit dem Aspiranten durch, und
machte dabei nur die eine Ausstellung, daß das Natur- und Staatsrecht darin
zu kurz behandelt sei. Es war damals -- erzählt Pölitz -- die Zeit, wo in
Frankreich der Nationalconvent herrschte. Ich erwiederte daher dem ehrwürdigen
Greise, es habe mir geschienen, daß die bedenklichen Zeitverhältnisse für jetzt
blos eine kurze und allgemeine Uebersicht dieser Wissenschaften verstatteten. Allein
der Minister antwortete mir: "Lehren Sie nach Ihrer Ueberzeugung; die Politik
des Kurfürsten ist die Politik des ehrlichen Mannes!" -- Dieses große Wort,
sagt der Professor, ist das einfache Thema, zu welchem die Geschichte der acht-
undfünfzigjahrigen Regierung Friedrich Augusts den fruchtbaren Commentar
enthält.

Wir haben seitdem anders denken gelernt über den Gerechten von 1813;
aber der trostlose Begriff dieser äquivoquen Ehrlichkeit, der an die Stelle poli¬
tischer Gesinnung gesetzt wird, ist noch nicht überwunden. Noch immer ist er
die Formel der Täuschung, der wir begegnen, wenn wir den Particularismus
auf nationale Pflicht anreden. Und nicht blos bei den Fürsten, auch bei den
Völkern der Kleinstaaten ist dies in überraschendem Grade der Fall. Betrachten
wir die politischen Kundgebungen in Sachsen während der Krisis von 1814
und 1815 mit denen von heute, wir finden allenthalben Aehnlichkeiten. Was
wird in Zukunft Treffliches und Tüchtiges erreicht werden können, wenn erst
diese zähe Loyalität der deutschen Stämme einen würdigen Inhalt bekommt.
Andererseits soll aber nicht vergessen sein, daß schon bei der ersten Krisis Sach'
sens nationale Anschauungen heraustraten.

Beim Beginn der Erhebung Preußens von 1813 war allerdings ein
frischer Hauch deutscher Empfindungen auch durch die sächsischen Herzen ge¬
gangen. Als das Manifest von Kalisch die Abtrünnigen der deutschen Sache
mit verdienter Vernichtung durch die Kraft der öffentlichen Meinung und durch
die Macht gerechter Waffen bedrohte, trübte noch kein kleinlicher Vorbehalt den
Sinn der Wackerer, die vor Begierde brannten, die ehernen Würfel der Ent¬
scheidung mit werfen zu helfen. Da kam am 27. März von Plauen aus der
Erlaß des Königs, daß die Erhaltung der Selbständigkeit seiner Krone und der
Unabhängigkeit seiner zum Besten seines Volkes zu fassenden Entschließungen
ihm zur Pflicht mache, sich aus dem Lande zu begeben, Worte, deren bittere
Ironie wir seit Mitte Juni 1866, wo König Johann von dannen zog, aufs
neue nachempfinden. Es folgte Schritt für Schritt Enttäuschung auf Ent¬
täuschung über des Königs deutschen Sinn; Monate lang tobte infolge dessen


der bekannte treffliche Pölitz, ans Kadettenhaus nach Dresden berufen. Er sollte
unter anderem auch Staats- und Völkerrecht lehren. Zuvor hatte er eine Dar¬
legung der Grundsätze, nach welchen er seine Disciplinen tractiren wollte, beim
geheimen Cabinet einzureichen. Dieses Expose ging der damalige Cabinets-
minister v. Gutschmid aufs gewissenhafteste mit dem Aspiranten durch, und
machte dabei nur die eine Ausstellung, daß das Natur- und Staatsrecht darin
zu kurz behandelt sei. Es war damals — erzählt Pölitz — die Zeit, wo in
Frankreich der Nationalconvent herrschte. Ich erwiederte daher dem ehrwürdigen
Greise, es habe mir geschienen, daß die bedenklichen Zeitverhältnisse für jetzt
blos eine kurze und allgemeine Uebersicht dieser Wissenschaften verstatteten. Allein
der Minister antwortete mir: „Lehren Sie nach Ihrer Ueberzeugung; die Politik
des Kurfürsten ist die Politik des ehrlichen Mannes!" — Dieses große Wort,
sagt der Professor, ist das einfache Thema, zu welchem die Geschichte der acht-
undfünfzigjahrigen Regierung Friedrich Augusts den fruchtbaren Commentar
enthält.

Wir haben seitdem anders denken gelernt über den Gerechten von 1813;
aber der trostlose Begriff dieser äquivoquen Ehrlichkeit, der an die Stelle poli¬
tischer Gesinnung gesetzt wird, ist noch nicht überwunden. Noch immer ist er
die Formel der Täuschung, der wir begegnen, wenn wir den Particularismus
auf nationale Pflicht anreden. Und nicht blos bei den Fürsten, auch bei den
Völkern der Kleinstaaten ist dies in überraschendem Grade der Fall. Betrachten
wir die politischen Kundgebungen in Sachsen während der Krisis von 1814
und 1815 mit denen von heute, wir finden allenthalben Aehnlichkeiten. Was
wird in Zukunft Treffliches und Tüchtiges erreicht werden können, wenn erst
diese zähe Loyalität der deutschen Stämme einen würdigen Inhalt bekommt.
Andererseits soll aber nicht vergessen sein, daß schon bei der ersten Krisis Sach'
sens nationale Anschauungen heraustraten.

Beim Beginn der Erhebung Preußens von 1813 war allerdings ein
frischer Hauch deutscher Empfindungen auch durch die sächsischen Herzen ge¬
gangen. Als das Manifest von Kalisch die Abtrünnigen der deutschen Sache
mit verdienter Vernichtung durch die Kraft der öffentlichen Meinung und durch
die Macht gerechter Waffen bedrohte, trübte noch kein kleinlicher Vorbehalt den
Sinn der Wackerer, die vor Begierde brannten, die ehernen Würfel der Ent¬
scheidung mit werfen zu helfen. Da kam am 27. März von Plauen aus der
Erlaß des Königs, daß die Erhaltung der Selbständigkeit seiner Krone und der
Unabhängigkeit seiner zum Besten seines Volkes zu fassenden Entschließungen
ihm zur Pflicht mache, sich aus dem Lande zu begeben, Worte, deren bittere
Ironie wir seit Mitte Juni 1866, wo König Johann von dannen zog, aufs
neue nachempfinden. Es folgte Schritt für Schritt Enttäuschung auf Ent¬
täuschung über des Königs deutschen Sinn; Monate lang tobte infolge dessen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/392>, abgerufen am 22.07.2024.