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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Genau wie vor fünfzig Jahren sehen wir'heute die nationale und die
dynastische Auffassung der sächsischen Frage in den Köpfen und Gemüthern der
Betheiligten mit einander streiten. Bezeichnend genug, daß bei uns in Sachsen
auch in dem sittlichen Antheil an dem Gedachtnisse der großen Befreiungszeit dieser
Unterschied grell hervortrat. Während sich Leipzig'anschickte das Fest der denk¬
würdigsten und segensreichsten Schlacht zu feiern, gingen Mahnungen durchs
Land, das Herz des Monarchen zu schonen, dem der nationale Freudentag den
Schmerz der Demüthigung seines Hauses erneute. Und als der feierliche Jubel
des Anzuges der Veteranen die Menge hinriß, standen die Nachfolger der Truppen,
welche zum großen Theil in dem Gcwitterswrm der leipziger Schlacht den Muth
ihrer besseren Empfindungen gewonnen und sich zum deutschen Heere gewendet
hatten, abseits in ordonnanzmäßiger Teilnahmlosigkeit und ostensibler Alltags¬
haltung. Die loyale Correctheit folgte einem andern Festkalender. Ihr Tag
kam erst am 7. Juni 1865, da im Hoflager zu Pillnitz des freudenthränen-
reichen Morgens gedacht wurde, der den Sachsen einst ihren Landesvater, den
Gefangenen von Leipzig, den Helden der Napoleonstreue, zurückgab, welchen
gereimte und ungereimte Denksprüche als den Märtyrer der Gerechtigkeit feierten.

Das politische Capital, das von den Liebedienern des Hofes -- wie wir
gern glauben ohne Ermunterung von oben her -- aus jenem Gedächtnißfest
gemacht wurde, war und bleibt Scheidemünze; denn es trennte die heiligsten
Empfindungen des Landes von denen des Thrones. Niemand wunderte sich
darüber, daß die Königsfamilie in Dresden damals die Selbstüberwindung nicht
fand, die dazu gehört hätte, das nationale Fest ihres Volkes mit zu begehen.
Das hätte größere Seelen verlangt, als sie den Großen eigen zu sein Pflegen.
Aber wenn bei einer Gelegenheit, wo es galt, Amen zu sagen zu den Erinne-
rungen an die Erlösung des großen Vaterlandes aus der Fremdherrschaft, nur
die privaten Empfindungen des Hauses sprachen, kann da zweifelhaft sein, ob
der Monarch die bittren Fragen, die jetzt an ihn gestellt sind, dynastisch oder
national beantworten werde? Billig zwar erkennen wir an, daß er es über
sich gewonnen hat, den italienischen Handelsvertrag zu genehmigen, welcher
Preisgebung naher fürstlicher Verwandten einschloß. Aber wie stand es, als
an die sächsische Politik die große Anforderung gestellt war. welche die Zu¬
sammenfassung und principielle Beglaubigung aller verständigen Einzelconccssionen
bildete, die ebenso viel Förderungen des Landesglückes waren? Vor der Zu-
muthung des Bündnisses mit demselben'Preußen. das Hort und Hüter dieser
Segnungen ist. ja selbst vor dem Angebot der Neutralität im Riesenkampse der
Gewaltigen, entwich der König von Sachsen in den unseligsten Krieg, sein
Land dem Feinde überlassend, der keiner ist, sein braves Heer dem Freunde
opfernd, der keiner ist, alles nur um seiner Krone eine Selbständigkeit zu retten,
die keine sein darf, wenn das große Vaterland gedeihen soll.


Genau wie vor fünfzig Jahren sehen wir'heute die nationale und die
dynastische Auffassung der sächsischen Frage in den Köpfen und Gemüthern der
Betheiligten mit einander streiten. Bezeichnend genug, daß bei uns in Sachsen
auch in dem sittlichen Antheil an dem Gedachtnisse der großen Befreiungszeit dieser
Unterschied grell hervortrat. Während sich Leipzig'anschickte das Fest der denk¬
würdigsten und segensreichsten Schlacht zu feiern, gingen Mahnungen durchs
Land, das Herz des Monarchen zu schonen, dem der nationale Freudentag den
Schmerz der Demüthigung seines Hauses erneute. Und als der feierliche Jubel
des Anzuges der Veteranen die Menge hinriß, standen die Nachfolger der Truppen,
welche zum großen Theil in dem Gcwitterswrm der leipziger Schlacht den Muth
ihrer besseren Empfindungen gewonnen und sich zum deutschen Heere gewendet
hatten, abseits in ordonnanzmäßiger Teilnahmlosigkeit und ostensibler Alltags¬
haltung. Die loyale Correctheit folgte einem andern Festkalender. Ihr Tag
kam erst am 7. Juni 1865, da im Hoflager zu Pillnitz des freudenthränen-
reichen Morgens gedacht wurde, der den Sachsen einst ihren Landesvater, den
Gefangenen von Leipzig, den Helden der Napoleonstreue, zurückgab, welchen
gereimte und ungereimte Denksprüche als den Märtyrer der Gerechtigkeit feierten.

Das politische Capital, das von den Liebedienern des Hofes — wie wir
gern glauben ohne Ermunterung von oben her — aus jenem Gedächtnißfest
gemacht wurde, war und bleibt Scheidemünze; denn es trennte die heiligsten
Empfindungen des Landes von denen des Thrones. Niemand wunderte sich
darüber, daß die Königsfamilie in Dresden damals die Selbstüberwindung nicht
fand, die dazu gehört hätte, das nationale Fest ihres Volkes mit zu begehen.
Das hätte größere Seelen verlangt, als sie den Großen eigen zu sein Pflegen.
Aber wenn bei einer Gelegenheit, wo es galt, Amen zu sagen zu den Erinne-
rungen an die Erlösung des großen Vaterlandes aus der Fremdherrschaft, nur
die privaten Empfindungen des Hauses sprachen, kann da zweifelhaft sein, ob
der Monarch die bittren Fragen, die jetzt an ihn gestellt sind, dynastisch oder
national beantworten werde? Billig zwar erkennen wir an, daß er es über
sich gewonnen hat, den italienischen Handelsvertrag zu genehmigen, welcher
Preisgebung naher fürstlicher Verwandten einschloß. Aber wie stand es, als
an die sächsische Politik die große Anforderung gestellt war. welche die Zu¬
sammenfassung und principielle Beglaubigung aller verständigen Einzelconccssionen
bildete, die ebenso viel Förderungen des Landesglückes waren? Vor der Zu-
muthung des Bündnisses mit demselben'Preußen. das Hort und Hüter dieser
Segnungen ist. ja selbst vor dem Angebot der Neutralität im Riesenkampse der
Gewaltigen, entwich der König von Sachsen in den unseligsten Krieg, sein
Land dem Feinde überlassend, der keiner ist, sein braves Heer dem Freunde
opfernd, der keiner ist, alles nur um seiner Krone eine Selbständigkeit zu retten,
die keine sein darf, wenn das große Vaterland gedeihen soll.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/390>, abgerufen am 22.07.2024.