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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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den Würtenbergern war das Musikcorps sammt Spielleuten stärker als die
Wachmannschaft, die Hinterherzog.

Da wir keine großen kriegerischen Ereignisse erlebten, so machten die kleinen
großes Aufsehn. Man hatte doch auch einen Erfolg über die Preußen. Am
13. Juli wurde ein Trupp preußischer Gefangener aus dem Nassauischen nach
Castell gebracht. Es waren 17 Mann Landwehr, die von einer Patrouille der hes¬
sischen Garde du Corps überfallen worden waren. Ein Premierlieutenant, Schenk
v. Schweinsberg, wegen seiner kolossalen Figur der "lange Schenk" genannt,
war mit 6 bis 7 Garde du Corps zum Patrouilliren entsendet worden. Aber
statt in einigen Stunden wiederzukommen, blieb er mehre Tage aus. Die Mei¬
sten gaben ihn verloren, andere, die ihn besser kannten, meinten, er komme
nicht eher zurück, bis er einen Coup ausgeführt, da er allgemein als kühn und
verwegen galt. So war es auch. Unterwegs traf er auf eine nassauische Jn-
santeriepatrouille, die er an sich zog. Er streifte herum, bis er plötzlich auf
eine feindliche Feldwache stieß, die sofort auf ihn und seine Reiter anlegte. Die
Jnfanteristen, die ihm folgten, waren noch in einem Gehölz zurück. Schenk
Wußte nicht, welche Stärke er vor sich hatte; er verlor aber die Contenance
nicht, sondern rief mit seiner Donnerstimme nach dem Walde hin: "Die In¬
fanterie soll vorrücken!" Zum Glück kamen auch gleich die paar Mann aus
dem Walde herausgetrottet und die Preußen, dadurch überrascht, streckten die
Waffen. Die Gefangenen kamen Nachmittags von Wiesbaden her unter einer
Würtembergischen Escorte, die ein Unteroffizier führte, in Castell an. Sofort
drängte sich beim Aussteigen ein Haufe Neugieriger, worunter viele Soldaten,
heran, der Haufe schwoll lawinenartig. Die guten Schwaben wußten nicht,
was sie anfangen, und der Unteroffizier nicht, wohin er die Gefangenen abgeben
sollte er wollte mit diesen hinüber nach Mainz. Bet der damals gereizten
Stimmung des Pöbels gegen Preußen war das eine mißliche Sache, denn die
Bedeckung war zu schwach, die Gefangenen vor etwaigen Insulten zu schützen.
Ein älterer meiningenschcr Offizier nahm sich beider Theile an und ließ die
befangenen so rasch als möglich in Castell unterbringen, sie einer bayrischen
Wache übergebend, während er den würtembergschen Unteroffizier mit zum Com¬
mandanten nahm. Die Gefangnen blieben auch in Castell und kamen gleich
darauf nach Ulm.

Die politische Bedeutung der Festung Mainz hatte sich unterdeß wesentlich
geändert, aus der Bundesfestung war jetzt ein Stützpunkt der gegen Preußen
Verbündeten Staaten geworden. Unter allen Umständen blieb Mainz für die
dort operirenven preußischen Truppen ein lästiger Nachbar. Bibrich war, wie
"wähnt, dem Geschützfeuer der Festung ausgesetzt und die dort stationirten
Preußen empfanden das auch, Vorräthe, die rheinaufwärts gebracht worden
waren und von Bibrich aus per Bahn nach Frankfurt geschafft werden sollten,


Grenzboten III. 18V6. 4S

den Würtenbergern war das Musikcorps sammt Spielleuten stärker als die
Wachmannschaft, die Hinterherzog.

Da wir keine großen kriegerischen Ereignisse erlebten, so machten die kleinen
großes Aufsehn. Man hatte doch auch einen Erfolg über die Preußen. Am
13. Juli wurde ein Trupp preußischer Gefangener aus dem Nassauischen nach
Castell gebracht. Es waren 17 Mann Landwehr, die von einer Patrouille der hes¬
sischen Garde du Corps überfallen worden waren. Ein Premierlieutenant, Schenk
v. Schweinsberg, wegen seiner kolossalen Figur der „lange Schenk" genannt,
war mit 6 bis 7 Garde du Corps zum Patrouilliren entsendet worden. Aber
statt in einigen Stunden wiederzukommen, blieb er mehre Tage aus. Die Mei¬
sten gaben ihn verloren, andere, die ihn besser kannten, meinten, er komme
nicht eher zurück, bis er einen Coup ausgeführt, da er allgemein als kühn und
verwegen galt. So war es auch. Unterwegs traf er auf eine nassauische Jn-
santeriepatrouille, die er an sich zog. Er streifte herum, bis er plötzlich auf
eine feindliche Feldwache stieß, die sofort auf ihn und seine Reiter anlegte. Die
Jnfanteristen, die ihm folgten, waren noch in einem Gehölz zurück. Schenk
Wußte nicht, welche Stärke er vor sich hatte; er verlor aber die Contenance
nicht, sondern rief mit seiner Donnerstimme nach dem Walde hin: „Die In¬
fanterie soll vorrücken!" Zum Glück kamen auch gleich die paar Mann aus
dem Walde herausgetrottet und die Preußen, dadurch überrascht, streckten die
Waffen. Die Gefangenen kamen Nachmittags von Wiesbaden her unter einer
Würtembergischen Escorte, die ein Unteroffizier führte, in Castell an. Sofort
drängte sich beim Aussteigen ein Haufe Neugieriger, worunter viele Soldaten,
heran, der Haufe schwoll lawinenartig. Die guten Schwaben wußten nicht,
was sie anfangen, und der Unteroffizier nicht, wohin er die Gefangenen abgeben
sollte er wollte mit diesen hinüber nach Mainz. Bet der damals gereizten
Stimmung des Pöbels gegen Preußen war das eine mißliche Sache, denn die
Bedeckung war zu schwach, die Gefangenen vor etwaigen Insulten zu schützen.
Ein älterer meiningenschcr Offizier nahm sich beider Theile an und ließ die
befangenen so rasch als möglich in Castell unterbringen, sie einer bayrischen
Wache übergebend, während er den würtembergschen Unteroffizier mit zum Com¬
mandanten nahm. Die Gefangnen blieben auch in Castell und kamen gleich
darauf nach Ulm.

Die politische Bedeutung der Festung Mainz hatte sich unterdeß wesentlich
geändert, aus der Bundesfestung war jetzt ein Stützpunkt der gegen Preußen
Verbündeten Staaten geworden. Unter allen Umständen blieb Mainz für die
dort operirenven preußischen Truppen ein lästiger Nachbar. Bibrich war, wie
«wähnt, dem Geschützfeuer der Festung ausgesetzt und die dort stationirten
Preußen empfanden das auch, Vorräthe, die rheinaufwärts gebracht worden
waren und von Bibrich aus per Bahn nach Frankfurt geschafft werden sollten,


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[0379] den Würtenbergern war das Musikcorps sammt Spielleuten stärker als die Wachmannschaft, die Hinterherzog. Da wir keine großen kriegerischen Ereignisse erlebten, so machten die kleinen großes Aufsehn. Man hatte doch auch einen Erfolg über die Preußen. Am 13. Juli wurde ein Trupp preußischer Gefangener aus dem Nassauischen nach Castell gebracht. Es waren 17 Mann Landwehr, die von einer Patrouille der hes¬ sischen Garde du Corps überfallen worden waren. Ein Premierlieutenant, Schenk v. Schweinsberg, wegen seiner kolossalen Figur der „lange Schenk" genannt, war mit 6 bis 7 Garde du Corps zum Patrouilliren entsendet worden. Aber statt in einigen Stunden wiederzukommen, blieb er mehre Tage aus. Die Mei¬ sten gaben ihn verloren, andere, die ihn besser kannten, meinten, er komme nicht eher zurück, bis er einen Coup ausgeführt, da er allgemein als kühn und verwegen galt. So war es auch. Unterwegs traf er auf eine nassauische Jn- santeriepatrouille, die er an sich zog. Er streifte herum, bis er plötzlich auf eine feindliche Feldwache stieß, die sofort auf ihn und seine Reiter anlegte. Die Jnfanteristen, die ihm folgten, waren noch in einem Gehölz zurück. Schenk Wußte nicht, welche Stärke er vor sich hatte; er verlor aber die Contenance nicht, sondern rief mit seiner Donnerstimme nach dem Walde hin: „Die In¬ fanterie soll vorrücken!" Zum Glück kamen auch gleich die paar Mann aus dem Walde herausgetrottet und die Preußen, dadurch überrascht, streckten die Waffen. Die Gefangenen kamen Nachmittags von Wiesbaden her unter einer Würtembergischen Escorte, die ein Unteroffizier führte, in Castell an. Sofort drängte sich beim Aussteigen ein Haufe Neugieriger, worunter viele Soldaten, heran, der Haufe schwoll lawinenartig. Die guten Schwaben wußten nicht, was sie anfangen, und der Unteroffizier nicht, wohin er die Gefangenen abgeben sollte er wollte mit diesen hinüber nach Mainz. Bet der damals gereizten Stimmung des Pöbels gegen Preußen war das eine mißliche Sache, denn die Bedeckung war zu schwach, die Gefangenen vor etwaigen Insulten zu schützen. Ein älterer meiningenschcr Offizier nahm sich beider Theile an und ließ die befangenen so rasch als möglich in Castell unterbringen, sie einer bayrischen Wache übergebend, während er den würtembergschen Unteroffizier mit zum Com¬ mandanten nahm. Die Gefangnen blieben auch in Castell und kamen gleich darauf nach Ulm. Die politische Bedeutung der Festung Mainz hatte sich unterdeß wesentlich geändert, aus der Bundesfestung war jetzt ein Stützpunkt der gegen Preußen Verbündeten Staaten geworden. Unter allen Umständen blieb Mainz für die dort operirenven preußischen Truppen ein lästiger Nachbar. Bibrich war, wie «wähnt, dem Geschützfeuer der Festung ausgesetzt und die dort stationirten Preußen empfanden das auch, Vorräthe, die rheinaufwärts gebracht worden waren und von Bibrich aus per Bahn nach Frankfurt geschafft werden sollten, Grenzboten III. 18V6. 4S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/379>, abgerufen am 22.07.2024.