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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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die Unteroffiziers- und Soldatenfrauen, deren Männer bei den Fahnen waren,
und die sich hier eine Kundschaft gemacht hatten und ihren Unterhalt mühsam
und spärlich erwarben, Witwen, Kinder, alles mußte hinaus. Die meisten
wußten nicht wohin, hatten keine Mittel und geriethen in die jämmerlichste
und bedauernswertheste Lage. Ein mainzer Frauenverein und andere Menschen¬
freunde nahmen sich der Verzweifelnden an, um nur das Nöthigste zu beschaffen.
Den pensionirten alten Offizieren, die hier Jahre lang in Ruhe und Frieden
gelebt hatten, erging es nicht besser.

Eine andere Manie war die des unnützen Schießens. Man feuerte, so
schien es, mit mehr Gleichmuth und Vergnügen auf Menschen als auf Hasen
oder Spatzen. Jede Patrouille schien in dem Wahne zu stehen, sie müßte so
viel als möglich puffen. Wo sich eine Pickelhaube sehen ließ, wurde los¬
gebrannt. Auch die Artillerie blieb in diesem löblichen Wetteifer nicht zurück.
Man feuerte mit Vollkugeln und Sprenggeschossen auf gegnerische Patrouillen,
ja einzelne Leute, was das Zeug hielt. Es wurde zwar derlei Unfug streng
untersagt, aber gesteuert konnte ihm nicht werden.

So war am 22. Juli, einem Sonntage, vom Morgen bis Abends gegen
halb sechs Uhr eine nur wenig unterbrochene Kanonade. Vom Fort Hartmühl
und vom Thurm der Petersau (auf einer Insel) wurde der obere Theil von
Bibrich, namentlich die Glasfabrik, wo sich Preußen eingenistet hatten, beschossen.
Eine halbe Batterie (man sagt Oldenburger) war dagegen oberhalb Bibrich aus¬
gefahren, demontirte gleich mit dem zweiten Schusse ein gezogenes Geschütz auf
der Plattform des Petersthurms und mochte sonst noch 40 Schüsse abgeben,
von denen mehre aber nur das Mauerwerk trafen. Dann zog sich die feind¬
liche Batterie zurück und eine Weile war Ruhe. Aber gegen halb fünf Uhr
ging das Schießen wieder los. Da es Sonntag war, so hatten sich viele
Einwohner und Soldaten auf den höheren Punkten versammelt, wo man das
Terrain übersehen konnte, namentlich von einem Platz in der Nähe der Cita¬
delle. Auch Referent hatte sich dahin begeben. Aus zwei casteller Werken
wurde nach einer Höhe jenseits des Rheins gefeuert, die zum Theil mit einem
Obstwäldchen bedeckt war. Man konnte auch mit dem bewaffneten Auge nichts
gewahren, was ein Ziel hätte abgeben können. Auf Befragen wurde die Ant¬
wort: es hätten sich einige Reiter sehen lassen. Man sah die Spreng¬
geschosse deutlich aufschlagen, denn vyn dem trockenen Boden wirbelte eine
mächtige Staubwolke auf. Auch den Zuschauern schien das zu langweilig zu
werden, denn sie verliefen sich allmälig. Was war schließlich des Pudels Kern?
Vor einigen Stunden hatte sich eine schwache Reiterpatrouille gezeigt, die längst
wieder hinter der Höhe verschwunden war. -- Und eine Entschuldigung konnte
man allenfalls für diese Munitionsverschwendung anführen: daß die noch zum
Theil ungeübten Artilleristen und Bedienungsmannschaft die Gelegenheit als


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die Unteroffiziers- und Soldatenfrauen, deren Männer bei den Fahnen waren,
und die sich hier eine Kundschaft gemacht hatten und ihren Unterhalt mühsam
und spärlich erwarben, Witwen, Kinder, alles mußte hinaus. Die meisten
wußten nicht wohin, hatten keine Mittel und geriethen in die jämmerlichste
und bedauernswertheste Lage. Ein mainzer Frauenverein und andere Menschen¬
freunde nahmen sich der Verzweifelnden an, um nur das Nöthigste zu beschaffen.
Den pensionirten alten Offizieren, die hier Jahre lang in Ruhe und Frieden
gelebt hatten, erging es nicht besser.

Eine andere Manie war die des unnützen Schießens. Man feuerte, so
schien es, mit mehr Gleichmuth und Vergnügen auf Menschen als auf Hasen
oder Spatzen. Jede Patrouille schien in dem Wahne zu stehen, sie müßte so
viel als möglich puffen. Wo sich eine Pickelhaube sehen ließ, wurde los¬
gebrannt. Auch die Artillerie blieb in diesem löblichen Wetteifer nicht zurück.
Man feuerte mit Vollkugeln und Sprenggeschossen auf gegnerische Patrouillen,
ja einzelne Leute, was das Zeug hielt. Es wurde zwar derlei Unfug streng
untersagt, aber gesteuert konnte ihm nicht werden.

So war am 22. Juli, einem Sonntage, vom Morgen bis Abends gegen
halb sechs Uhr eine nur wenig unterbrochene Kanonade. Vom Fort Hartmühl
und vom Thurm der Petersau (auf einer Insel) wurde der obere Theil von
Bibrich, namentlich die Glasfabrik, wo sich Preußen eingenistet hatten, beschossen.
Eine halbe Batterie (man sagt Oldenburger) war dagegen oberhalb Bibrich aus¬
gefahren, demontirte gleich mit dem zweiten Schusse ein gezogenes Geschütz auf
der Plattform des Petersthurms und mochte sonst noch 40 Schüsse abgeben,
von denen mehre aber nur das Mauerwerk trafen. Dann zog sich die feind¬
liche Batterie zurück und eine Weile war Ruhe. Aber gegen halb fünf Uhr
ging das Schießen wieder los. Da es Sonntag war, so hatten sich viele
Einwohner und Soldaten auf den höheren Punkten versammelt, wo man das
Terrain übersehen konnte, namentlich von einem Platz in der Nähe der Cita¬
delle. Auch Referent hatte sich dahin begeben. Aus zwei casteller Werken
wurde nach einer Höhe jenseits des Rheins gefeuert, die zum Theil mit einem
Obstwäldchen bedeckt war. Man konnte auch mit dem bewaffneten Auge nichts
gewahren, was ein Ziel hätte abgeben können. Auf Befragen wurde die Ant¬
wort: es hätten sich einige Reiter sehen lassen. Man sah die Spreng¬
geschosse deutlich aufschlagen, denn vyn dem trockenen Boden wirbelte eine
mächtige Staubwolke auf. Auch den Zuschauern schien das zu langweilig zu
werden, denn sie verliefen sich allmälig. Was war schließlich des Pudels Kern?
Vor einigen Stunden hatte sich eine schwache Reiterpatrouille gezeigt, die längst
wieder hinter der Höhe verschwunden war. — Und eine Entschuldigung konnte
man allenfalls für diese Munitionsverschwendung anführen: daß die noch zum
Theil ungeübten Artilleristen und Bedienungsmannschaft die Gelegenheit als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/373>, abgerufen am 22.07.2024.