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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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des moralischen Zustandes Europas, daß die Geister nicht besser gelenkt werden
können als durch eine auf dauerhaften Grundlagen basirte Gewalt. Das
moralische Fieber, welches die Völker wieder in den Abgrund der Revolution
reißt, kann nicht anders beruhigt werden als durch Einrichtungen, die im Ein¬
klang mit der modernen Civilisation stehen und den Bedürfnissen und besonde¬
ren Verhältnissen der Nationen angemessen sind. Dies ist der einzige Weg,
den geheimen Gesellschaften ihre Stärke zu nehmen und die Throne zu befesti¬
gen. Solche Einrichtungen sind nicht blos ein Mittel, die Staaten vor der
Geißel der Revolutionen zu bewahren, sondern auch ein wirksames Mittel, die
Macht der Regierungen zu verstärken durch die Entwickelung und die ersprie߬
liche Richtung, welche sie dem menschlichen Geist geben können." Von diesem
Gesichtspunkt kommt Brusasco zu dem Schluß, daß Neapel eine Verfassung
mindestens wie die französische hätte erhalten sollen.

Ueber Rom heißt es in diesem Bericht: "Beinahe aller Elemente baar,
welche ehemals seine Macht bildeten, und woher er seinen Glanz zog, ist der
römische Hof in einen Zustand der Schwäche und des Verfalls gerathen, der
beinahe anzukündigen scheint, daß die weltliche Souveränetät der Päpste an
ihrer letzten Periode angelangt ist." Namentlich wird auf die Schwierigkeit auf¬
merksam gemacht, die weltliche Gewalt zu reformiren und moderne Einrichtun¬
gen in sie einzuführen. Der Papst werde sich nie mit dem bloßen Schein der
Souveränetät begnügen, das Volk werde, zu einiger Freiheit gelangt, die
weltliche Gewalt überhaupt aufheben; darum bleibe dem Papste, so oft es in
seinen Staaten unruhig werde, nichts übrig, als sich auf die Hilfe Oestreichs
zu stützen. -- Dann ergeht sich der Bericht über den Zustand der Lombardei:
"Der östreichische Hof hätte vielleicht die Herzen gewinnen und den neuen Besitz
auf dauernde Grundlagen gründen können, wenn er gleich nach dem wiener
Kongreß eine Verfassung wie etwa Alexander den Polen ertheilt hätte. Jetzt
ist der günstige Moment vorbei, die Würfel sind gefallen. Seine Politik wird
unveränderlich die sein, jeden Aufschwung in der Bevölkerung niederzuhalten,
alles, was die Geister der Unabhängigkeit aufwecken könnte, zu vernichten und
sie in einen Zustand völliger moralischer Nullität zu bringen, um sie desto
leichter zu. beherrschen. Die östreichische Regierung hat schon bisher in dieser
Richtung nichts versäumt und wird es in Zukunft sicher noch weniger thun.
Die Einrichtungen, welche man den lombardisch-venetianischen Provinzen zu¬
gestehen wird, werden keineswegs den Zweck haben, die moralischen Anlagen
der Nation zu entwickeln, sie werden kaum dazu dienen, der Provinzialvcrwal-
tung irgendeine dürftige Gestaltung zu geben. Aber Oestreich hat noch ein
anderes wichtiges Interesse in Italien: es muß verhindern, daß die andern
italienischen Staaten die moralische Kraft erlangen, welche es selbst in Lombards.
Venetien sich nicht schaffen kann. Die Vergrößerung der königlichen Macht der


des moralischen Zustandes Europas, daß die Geister nicht besser gelenkt werden
können als durch eine auf dauerhaften Grundlagen basirte Gewalt. Das
moralische Fieber, welches die Völker wieder in den Abgrund der Revolution
reißt, kann nicht anders beruhigt werden als durch Einrichtungen, die im Ein¬
klang mit der modernen Civilisation stehen und den Bedürfnissen und besonde¬
ren Verhältnissen der Nationen angemessen sind. Dies ist der einzige Weg,
den geheimen Gesellschaften ihre Stärke zu nehmen und die Throne zu befesti¬
gen. Solche Einrichtungen sind nicht blos ein Mittel, die Staaten vor der
Geißel der Revolutionen zu bewahren, sondern auch ein wirksames Mittel, die
Macht der Regierungen zu verstärken durch die Entwickelung und die ersprie߬
liche Richtung, welche sie dem menschlichen Geist geben können." Von diesem
Gesichtspunkt kommt Brusasco zu dem Schluß, daß Neapel eine Verfassung
mindestens wie die französische hätte erhalten sollen.

Ueber Rom heißt es in diesem Bericht: „Beinahe aller Elemente baar,
welche ehemals seine Macht bildeten, und woher er seinen Glanz zog, ist der
römische Hof in einen Zustand der Schwäche und des Verfalls gerathen, der
beinahe anzukündigen scheint, daß die weltliche Souveränetät der Päpste an
ihrer letzten Periode angelangt ist." Namentlich wird auf die Schwierigkeit auf¬
merksam gemacht, die weltliche Gewalt zu reformiren und moderne Einrichtun¬
gen in sie einzuführen. Der Papst werde sich nie mit dem bloßen Schein der
Souveränetät begnügen, das Volk werde, zu einiger Freiheit gelangt, die
weltliche Gewalt überhaupt aufheben; darum bleibe dem Papste, so oft es in
seinen Staaten unruhig werde, nichts übrig, als sich auf die Hilfe Oestreichs
zu stützen. — Dann ergeht sich der Bericht über den Zustand der Lombardei:
„Der östreichische Hof hätte vielleicht die Herzen gewinnen und den neuen Besitz
auf dauernde Grundlagen gründen können, wenn er gleich nach dem wiener
Kongreß eine Verfassung wie etwa Alexander den Polen ertheilt hätte. Jetzt
ist der günstige Moment vorbei, die Würfel sind gefallen. Seine Politik wird
unveränderlich die sein, jeden Aufschwung in der Bevölkerung niederzuhalten,
alles, was die Geister der Unabhängigkeit aufwecken könnte, zu vernichten und
sie in einen Zustand völliger moralischer Nullität zu bringen, um sie desto
leichter zu. beherrschen. Die östreichische Regierung hat schon bisher in dieser
Richtung nichts versäumt und wird es in Zukunft sicher noch weniger thun.
Die Einrichtungen, welche man den lombardisch-venetianischen Provinzen zu¬
gestehen wird, werden keineswegs den Zweck haben, die moralischen Anlagen
der Nation zu entwickeln, sie werden kaum dazu dienen, der Provinzialvcrwal-
tung irgendeine dürftige Gestaltung zu geben. Aber Oestreich hat noch ein
anderes wichtiges Interesse in Italien: es muß verhindern, daß die andern
italienischen Staaten die moralische Kraft erlangen, welche es selbst in Lombards.
Venetien sich nicht schaffen kann. Die Vergrößerung der königlichen Macht der


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[0356] des moralischen Zustandes Europas, daß die Geister nicht besser gelenkt werden können als durch eine auf dauerhaften Grundlagen basirte Gewalt. Das moralische Fieber, welches die Völker wieder in den Abgrund der Revolution reißt, kann nicht anders beruhigt werden als durch Einrichtungen, die im Ein¬ klang mit der modernen Civilisation stehen und den Bedürfnissen und besonde¬ ren Verhältnissen der Nationen angemessen sind. Dies ist der einzige Weg, den geheimen Gesellschaften ihre Stärke zu nehmen und die Throne zu befesti¬ gen. Solche Einrichtungen sind nicht blos ein Mittel, die Staaten vor der Geißel der Revolutionen zu bewahren, sondern auch ein wirksames Mittel, die Macht der Regierungen zu verstärken durch die Entwickelung und die ersprie߬ liche Richtung, welche sie dem menschlichen Geist geben können." Von diesem Gesichtspunkt kommt Brusasco zu dem Schluß, daß Neapel eine Verfassung mindestens wie die französische hätte erhalten sollen. Ueber Rom heißt es in diesem Bericht: „Beinahe aller Elemente baar, welche ehemals seine Macht bildeten, und woher er seinen Glanz zog, ist der römische Hof in einen Zustand der Schwäche und des Verfalls gerathen, der beinahe anzukündigen scheint, daß die weltliche Souveränetät der Päpste an ihrer letzten Periode angelangt ist." Namentlich wird auf die Schwierigkeit auf¬ merksam gemacht, die weltliche Gewalt zu reformiren und moderne Einrichtun¬ gen in sie einzuführen. Der Papst werde sich nie mit dem bloßen Schein der Souveränetät begnügen, das Volk werde, zu einiger Freiheit gelangt, die weltliche Gewalt überhaupt aufheben; darum bleibe dem Papste, so oft es in seinen Staaten unruhig werde, nichts übrig, als sich auf die Hilfe Oestreichs zu stützen. — Dann ergeht sich der Bericht über den Zustand der Lombardei: „Der östreichische Hof hätte vielleicht die Herzen gewinnen und den neuen Besitz auf dauernde Grundlagen gründen können, wenn er gleich nach dem wiener Kongreß eine Verfassung wie etwa Alexander den Polen ertheilt hätte. Jetzt ist der günstige Moment vorbei, die Würfel sind gefallen. Seine Politik wird unveränderlich die sein, jeden Aufschwung in der Bevölkerung niederzuhalten, alles, was die Geister der Unabhängigkeit aufwecken könnte, zu vernichten und sie in einen Zustand völliger moralischer Nullität zu bringen, um sie desto leichter zu. beherrschen. Die östreichische Regierung hat schon bisher in dieser Richtung nichts versäumt und wird es in Zukunft sicher noch weniger thun. Die Einrichtungen, welche man den lombardisch-venetianischen Provinzen zu¬ gestehen wird, werden keineswegs den Zweck haben, die moralischen Anlagen der Nation zu entwickeln, sie werden kaum dazu dienen, der Provinzialvcrwal- tung irgendeine dürftige Gestaltung zu geben. Aber Oestreich hat noch ein anderes wichtiges Interesse in Italien: es muß verhindern, daß die andern italienischen Staaten die moralische Kraft erlangen, welche es selbst in Lombards. Venetien sich nicht schaffen kann. Die Vergrößerung der königlichen Macht der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/356>, abgerufen am 22.07.2024.