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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Stellung des Marktes möglicherweise nur schwer und langsam zu ersetzen wären,
-- und dasjenige, von der bedrängten Lage der Arbeiter Nutzen zu ziehen, in-
dem er sie zu so niederen Löhnen arbeiten ließe, daß ihm selbst bei augenblick¬
lich stockendem Absatz noch ein reichlicher Gewinn in Aussicht bliebe. Wer
möchte behaupten, daß sich das eine, legitime Interesse in der Brust des Fabrik-
Herren allemal scharf und klar von dem andern, illegitimen Interesse, oder daß
beide sich stets entschieden von Empfindungen der Sympathie, Berechnungen
allgemeinerer und gleichsam politischer Natur abheben müßten? Man wird aber
bei näherer Untersuchung wohl finden, daß der Regel nach ein rein geschäft¬
liches Verfahren, ohne Einmischung von unzeitigem Mitleid, aber auch ohne
Einmischung von brutaler und zweischneidiger Selbstsucht, zu den besten Ergeb¬
nissen führt. Allgemeine Grundsätze bindend aufzustellen hindert schon die tief¬
gehende Verschiedenartigkeit der Fälle. Vor einiger Zeit zum Beispiel, ehe der
deutsch-französische Handelsvertrag ins Leben trat, hatte die barmer Band-- und
Litzenproduction üble Tage zu bestehen. Wollten sie nicht gradezu der Armen¬
pflege ins Gehege fallen, so mußten die Fabrikanten zwischen massenhafter Ent¬
lassung und beträchtlicher Lohnherabsetzung wählen. Die Einen griffen zu jenem,
die Andern zu diesem Auskunftsmittel. Man konnte aber weder von den Einen
noch von den Andern sagen, daß sie durch falsche Lösung der Aufgabe ihre Ar¬
beiter in eine verzweifelte Lage brachten-, denn während die Einen es mit bloßen
einfachen Handarbeitern zu thun hatten, die ohne Beschwer zu irgendeinem
besser lohnenden Arbeitszweige übergehen konnten, waren die Arbeiter der An¬
deren zugleich Kapitalisten, Besitzer eines oder mehrer Riementische, deren jeder
etwa tausend Thaler kostet, und hatten also ein weit stärkeres Interesse daran,
daß ihr Capital nicht völlig unverzinst dastehe, als an einer bestimmten Höhe
des Lohnes. Unter diesen Arbeitern mit eignem Riementisch soll es, beiläufig
bemerkt. Leute geben, die ein Vermögen von 30--40.000 Thlr. haben. Es
sind kleine Landwirthe der Umgegend, die der frühere Flor der Band- und
Litzenindustrie vermocht hat. sich dieser einträglichen Nebenbeschäftigung zu widmen.
Für ihre capitallosen Genossen, die Arbeiter an den Riementischen der großen
Fabriken, hat der Uebergang zu anderen Beschäftigungen im Falle einer Absatz¬
stockung allerdings auch seine Grenzen; denn als im vorletzten Winter die Stadt
Barmer Straßenarbeiten anordnete, um den feiernden Riemendrehern Brod zu
verschaffen, stellte sich heraus, daß ihre Hände dafür zu zart und schwach ge¬
worden waren. Allgemeine Einführung unbeschnittener Freizügigkeit, die An¬
ordnung besondrer billiger Arbeiterzüge auf den Eisenbahnen wie in England,
und eine stets sich steigernde Bildung der Individuen werden die richtigen
Mittel sein, den Schwankungen des Welthandels ihre gefährlichen Einflüsse auf
den Arbeiterstand zu nehmen, und die Fabrikbesitzer allgemein davon zu überzeugen,
daß sich in die Bestimmung der Löhne keine fremdartige Rücksicht einmischen darf.


Stellung des Marktes möglicherweise nur schwer und langsam zu ersetzen wären,
— und dasjenige, von der bedrängten Lage der Arbeiter Nutzen zu ziehen, in-
dem er sie zu so niederen Löhnen arbeiten ließe, daß ihm selbst bei augenblick¬
lich stockendem Absatz noch ein reichlicher Gewinn in Aussicht bliebe. Wer
möchte behaupten, daß sich das eine, legitime Interesse in der Brust des Fabrik-
Herren allemal scharf und klar von dem andern, illegitimen Interesse, oder daß
beide sich stets entschieden von Empfindungen der Sympathie, Berechnungen
allgemeinerer und gleichsam politischer Natur abheben müßten? Man wird aber
bei näherer Untersuchung wohl finden, daß der Regel nach ein rein geschäft¬
liches Verfahren, ohne Einmischung von unzeitigem Mitleid, aber auch ohne
Einmischung von brutaler und zweischneidiger Selbstsucht, zu den besten Ergeb¬
nissen führt. Allgemeine Grundsätze bindend aufzustellen hindert schon die tief¬
gehende Verschiedenartigkeit der Fälle. Vor einiger Zeit zum Beispiel, ehe der
deutsch-französische Handelsvertrag ins Leben trat, hatte die barmer Band-- und
Litzenproduction üble Tage zu bestehen. Wollten sie nicht gradezu der Armen¬
pflege ins Gehege fallen, so mußten die Fabrikanten zwischen massenhafter Ent¬
lassung und beträchtlicher Lohnherabsetzung wählen. Die Einen griffen zu jenem,
die Andern zu diesem Auskunftsmittel. Man konnte aber weder von den Einen
noch von den Andern sagen, daß sie durch falsche Lösung der Aufgabe ihre Ar¬
beiter in eine verzweifelte Lage brachten-, denn während die Einen es mit bloßen
einfachen Handarbeitern zu thun hatten, die ohne Beschwer zu irgendeinem
besser lohnenden Arbeitszweige übergehen konnten, waren die Arbeiter der An¬
deren zugleich Kapitalisten, Besitzer eines oder mehrer Riementische, deren jeder
etwa tausend Thaler kostet, und hatten also ein weit stärkeres Interesse daran,
daß ihr Capital nicht völlig unverzinst dastehe, als an einer bestimmten Höhe
des Lohnes. Unter diesen Arbeitern mit eignem Riementisch soll es, beiläufig
bemerkt. Leute geben, die ein Vermögen von 30—40.000 Thlr. haben. Es
sind kleine Landwirthe der Umgegend, die der frühere Flor der Band- und
Litzenindustrie vermocht hat. sich dieser einträglichen Nebenbeschäftigung zu widmen.
Für ihre capitallosen Genossen, die Arbeiter an den Riementischen der großen
Fabriken, hat der Uebergang zu anderen Beschäftigungen im Falle einer Absatz¬
stockung allerdings auch seine Grenzen; denn als im vorletzten Winter die Stadt
Barmer Straßenarbeiten anordnete, um den feiernden Riemendrehern Brod zu
verschaffen, stellte sich heraus, daß ihre Hände dafür zu zart und schwach ge¬
worden waren. Allgemeine Einführung unbeschnittener Freizügigkeit, die An¬
ordnung besondrer billiger Arbeiterzüge auf den Eisenbahnen wie in England,
und eine stets sich steigernde Bildung der Individuen werden die richtigen
Mittel sein, den Schwankungen des Welthandels ihre gefährlichen Einflüsse auf
den Arbeiterstand zu nehmen, und die Fabrikbesitzer allgemein davon zu überzeugen,
daß sich in die Bestimmung der Löhne keine fremdartige Rücksicht einmischen darf.


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[0324] Stellung des Marktes möglicherweise nur schwer und langsam zu ersetzen wären, — und dasjenige, von der bedrängten Lage der Arbeiter Nutzen zu ziehen, in- dem er sie zu so niederen Löhnen arbeiten ließe, daß ihm selbst bei augenblick¬ lich stockendem Absatz noch ein reichlicher Gewinn in Aussicht bliebe. Wer möchte behaupten, daß sich das eine, legitime Interesse in der Brust des Fabrik- Herren allemal scharf und klar von dem andern, illegitimen Interesse, oder daß beide sich stets entschieden von Empfindungen der Sympathie, Berechnungen allgemeinerer und gleichsam politischer Natur abheben müßten? Man wird aber bei näherer Untersuchung wohl finden, daß der Regel nach ein rein geschäft¬ liches Verfahren, ohne Einmischung von unzeitigem Mitleid, aber auch ohne Einmischung von brutaler und zweischneidiger Selbstsucht, zu den besten Ergeb¬ nissen führt. Allgemeine Grundsätze bindend aufzustellen hindert schon die tief¬ gehende Verschiedenartigkeit der Fälle. Vor einiger Zeit zum Beispiel, ehe der deutsch-französische Handelsvertrag ins Leben trat, hatte die barmer Band-- und Litzenproduction üble Tage zu bestehen. Wollten sie nicht gradezu der Armen¬ pflege ins Gehege fallen, so mußten die Fabrikanten zwischen massenhafter Ent¬ lassung und beträchtlicher Lohnherabsetzung wählen. Die Einen griffen zu jenem, die Andern zu diesem Auskunftsmittel. Man konnte aber weder von den Einen noch von den Andern sagen, daß sie durch falsche Lösung der Aufgabe ihre Ar¬ beiter in eine verzweifelte Lage brachten-, denn während die Einen es mit bloßen einfachen Handarbeitern zu thun hatten, die ohne Beschwer zu irgendeinem besser lohnenden Arbeitszweige übergehen konnten, waren die Arbeiter der An¬ deren zugleich Kapitalisten, Besitzer eines oder mehrer Riementische, deren jeder etwa tausend Thaler kostet, und hatten also ein weit stärkeres Interesse daran, daß ihr Capital nicht völlig unverzinst dastehe, als an einer bestimmten Höhe des Lohnes. Unter diesen Arbeitern mit eignem Riementisch soll es, beiläufig bemerkt. Leute geben, die ein Vermögen von 30—40.000 Thlr. haben. Es sind kleine Landwirthe der Umgegend, die der frühere Flor der Band- und Litzenindustrie vermocht hat. sich dieser einträglichen Nebenbeschäftigung zu widmen. Für ihre capitallosen Genossen, die Arbeiter an den Riementischen der großen Fabriken, hat der Uebergang zu anderen Beschäftigungen im Falle einer Absatz¬ stockung allerdings auch seine Grenzen; denn als im vorletzten Winter die Stadt Barmer Straßenarbeiten anordnete, um den feiernden Riemendrehern Brod zu verschaffen, stellte sich heraus, daß ihre Hände dafür zu zart und schwach ge¬ worden waren. Allgemeine Einführung unbeschnittener Freizügigkeit, die An¬ ordnung besondrer billiger Arbeiterzüge auf den Eisenbahnen wie in England, und eine stets sich steigernde Bildung der Individuen werden die richtigen Mittel sein, den Schwankungen des Welthandels ihre gefährlichen Einflüsse auf den Arbeiterstand zu nehmen, und die Fabrikbesitzer allgemein davon zu überzeugen, daß sich in die Bestimmung der Löhne keine fremdartige Rücksicht einmischen darf.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/324>, abgerufen am 22.07.2024.