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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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rität ihrer Bürger vor Spießbürgerei. einer kleinlichen Kirchthumspolitik zu be¬
wahren? Wahrlich, wer jetzt das Volk von Schwaben und Bayern, das schwäch¬
liche Geschrei der Bierbank. die hilflose Politik der Höfe schaut, der muß alle Schwä¬
chen und nicht allen Scharfsinn eines Doctrinärs haben, wenn er sie irgendwie für
geeignet halten will, eine bessere politische Zeit über Deutschland herauszubringen.
Und wenn wir die nationale Frage ins Auge fassen, so liegt es doch klar zu
Tage, daß jeder aufrichtige Versuch einer Einigung an dem Egoismus der
Mittelstaaten die eifrigsten Gegner gefunden hat, während Deutschland die ein¬
zige nationale Errungenschaft in der Periode der Reaction, den Zollverein,
Preußen verdankt, dessen Regierung, auch als sie in den rein politischen Fragen
gehorsam den Antrieben des wiener Hofes folgte, für die großen materiellen
Interessen sich ein Verständniß bewahrt hatte, --ein Verdienst, das Gervinus im
siebenten Bande übrigens auch gebührend anerkennt. Und wenn wir von der
Vergangenheit absehen, sollen wir vollends in der Allianz zwischen bureau¬
kratischer Reaction, dynastischem und Stammes-Particularismus, Ultramontanis¬
mus und staatlosen Radicalismus, Richtungen, die Gervinus, wo er ihnen be¬
gegnet, mit Recht aufs schärfste geißelt, plötzlich die Symptome politischer Reife
finden? Uns will es vielmehr scheinen, daß sich die Verderblichkeit der Klein¬
staaterei nie so grell offenbart hat als in dieser Verbindung, die nur das Gute
hat, daß sie den Zuständen, aus denen sie hervorgegangen ist, ein gradezu ver¬
nichtendes Urtheil spricht.

Wenn Deutschland sein Heil in einem Bundesstaate finden soll, so muß
vor allem der staatsfeindliche Particularismus der Kleinstaaterei gebrochen wer¬
den. Denn der Bundesstaat muß, wenn er mehr sein soll als eine bloße
Fortsetzung des bisherigen Bundes, im Stande sein, alle nothwendigen Funktio¬
nen des Staates zu erfüllen: er muß vor allem dem Auslande gegenüber als
Staat, d. h. als Einheit auftreten; denn die Einheit ist ein wesentliches Attri¬
but des Staates; er bedarf also vor allem einer einheitlichen und starken
Centralgewalt, die wohl durch ein den Einhcitsgedanken rcpräsentirendes Par¬
lament, nicht aber durch einen Ausschuß der verbündeten Regierungen ver¬
fassungsmäßig und thatsächlich beschränkt sein darf. Eine andere Art der Bun¬
desverfassung kann in Deutschland auf den Namen eines "strengen" Bundes¬
verfassung keinen Anspruch machen. Eine derartige Bundesverfassung hat auch
seit Jahren den Vertretern des Nationalgedankens als Ideal vorgeschwebt.
Nun ist es aber augenscheinlich, daß die Stärke einer derartigen Verfassung
ganz von der Stärke der Centralgewalt d. h. des leitenden Staates abhängig
sein würde. -- Es war lange vorauszusehen, daß die Bundestagspolitik in der
Schleswig-holsteinischen Frage nur zur Sprengung des bisherigen Bundes, nicht
zu einer Stärkung der Bundesgewalt führen mußte, nicht weil der Bund be¬
sonders ungeschickt operirt hat, sondern weil er zu schwach war, Preußen sei-


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rität ihrer Bürger vor Spießbürgerei. einer kleinlichen Kirchthumspolitik zu be¬
wahren? Wahrlich, wer jetzt das Volk von Schwaben und Bayern, das schwäch¬
liche Geschrei der Bierbank. die hilflose Politik der Höfe schaut, der muß alle Schwä¬
chen und nicht allen Scharfsinn eines Doctrinärs haben, wenn er sie irgendwie für
geeignet halten will, eine bessere politische Zeit über Deutschland herauszubringen.
Und wenn wir die nationale Frage ins Auge fassen, so liegt es doch klar zu
Tage, daß jeder aufrichtige Versuch einer Einigung an dem Egoismus der
Mittelstaaten die eifrigsten Gegner gefunden hat, während Deutschland die ein¬
zige nationale Errungenschaft in der Periode der Reaction, den Zollverein,
Preußen verdankt, dessen Regierung, auch als sie in den rein politischen Fragen
gehorsam den Antrieben des wiener Hofes folgte, für die großen materiellen
Interessen sich ein Verständniß bewahrt hatte, —ein Verdienst, das Gervinus im
siebenten Bande übrigens auch gebührend anerkennt. Und wenn wir von der
Vergangenheit absehen, sollen wir vollends in der Allianz zwischen bureau¬
kratischer Reaction, dynastischem und Stammes-Particularismus, Ultramontanis¬
mus und staatlosen Radicalismus, Richtungen, die Gervinus, wo er ihnen be¬
gegnet, mit Recht aufs schärfste geißelt, plötzlich die Symptome politischer Reife
finden? Uns will es vielmehr scheinen, daß sich die Verderblichkeit der Klein¬
staaterei nie so grell offenbart hat als in dieser Verbindung, die nur das Gute
hat, daß sie den Zuständen, aus denen sie hervorgegangen ist, ein gradezu ver¬
nichtendes Urtheil spricht.

Wenn Deutschland sein Heil in einem Bundesstaate finden soll, so muß
vor allem der staatsfeindliche Particularismus der Kleinstaaterei gebrochen wer¬
den. Denn der Bundesstaat muß, wenn er mehr sein soll als eine bloße
Fortsetzung des bisherigen Bundes, im Stande sein, alle nothwendigen Funktio¬
nen des Staates zu erfüllen: er muß vor allem dem Auslande gegenüber als
Staat, d. h. als Einheit auftreten; denn die Einheit ist ein wesentliches Attri¬
but des Staates; er bedarf also vor allem einer einheitlichen und starken
Centralgewalt, die wohl durch ein den Einhcitsgedanken rcpräsentirendes Par¬
lament, nicht aber durch einen Ausschuß der verbündeten Regierungen ver¬
fassungsmäßig und thatsächlich beschränkt sein darf. Eine andere Art der Bun¬
desverfassung kann in Deutschland auf den Namen eines „strengen" Bundes¬
verfassung keinen Anspruch machen. Eine derartige Bundesverfassung hat auch
seit Jahren den Vertretern des Nationalgedankens als Ideal vorgeschwebt.
Nun ist es aber augenscheinlich, daß die Stärke einer derartigen Verfassung
ganz von der Stärke der Centralgewalt d. h. des leitenden Staates abhängig
sein würde. — Es war lange vorauszusehen, daß die Bundestagspolitik in der
Schleswig-holsteinischen Frage nur zur Sprengung des bisherigen Bundes, nicht
zu einer Stärkung der Bundesgewalt führen mußte, nicht weil der Bund be¬
sonders ungeschickt operirt hat, sondern weil er zu schwach war, Preußen sei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/315>, abgerufen am 22.07.2024.