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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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jährige Uebergangsperiode bis zur Vollendung des die ökonomischen Verhältnisse
bestimmenden Acts, der IIgtg,vo^a Arailwta,, überließ, wurde durchschnittlich
wenig gedacht. Dafür trat eine neue Macht sehr energisch auf, dieses Friedens¬
richters. Diese neue Institution bewährt sich fast durchgehends vortrefflich, wenn
das Amt auch in manchen Fällen von sehr mittelmäßigen Köpfen bekleidet wird.
Man kennt einige Friedensrichter, die früher als Beamte im Rufe arger'Bestech¬
lichkeit standen, und andere, welche als Gutsbesitzer bis zur Grausamkeit ge^
waltthätig verfuhren. Jetzt trifft sie kein Vorwurf; es ist eben schwer/ als
Friedensrichter schlecht zu handeln. Zunächst steht das Amt hoch in der öffent¬
lichen Meinung, dann wird es von dieser controlirt, da der Friedensvermittler
zwischen zwei Parteien entscheidet, welche das Gesetz sich gleichgestellt hat,
endlich sind diese Beamten ziemlich gut besoldet, was für die Unbemittelten
unter ihnen von besonderer Wichtigkeit ist. Die Abschaffung der Leibeigenschaft
hat aber auch der ganzen russischen Beamtenwelt eine andere Physiognomie
gegeben, und brutales Auftreten, Erpressung und Bestechlichkeit sind weit seltener
geworden als früher -- kein Wunder, da mit der Leibeigenschaft eine der ver¬
derblichsten Schulen der Willkür und Gewalt verschwunden und andererseits die
Stellung des Tschinowniks einem freien Volke gegenüber, welches sich bereits
zu fühlen beginnt, eine ganz andere geworden ist, als einer tief in Knechtschaft
versunkenen Race gegenüber, welche in ihrer Berührung mit der Beamtenwelt
stets ihr Verhältniß zu ihrem Leibherren vor Augen hatte und niemals eine
Klage gegen einen Beamten wagte, der sie aussaugte und mißhandelte.

Der früher leibeigene Theil des russischen Bauernstandes, der jetzt persön¬
lich frei und unabhängig von seinen Herren ist, beträgt mehr als zwanzig
Millionen Köpfe. Den Bauern sind Haus und Hof als unantastbares Eigen¬
thum, mit einem kleinen und ablösbaren Zins belastet, überlassen worden. Auf
den Grund und Boden, den der Landmann bis jetzt persönlich oder als Ge¬
meindeglied zur Bebauung und Benutzung hatte, ist ihm ein Pacht- und even¬
tuell ein Erwerbsrecht eingeräumt worden. Pachtcontracte sollten das Verhält¬
niß vorläufig regeln, der Ankauf von Land sollte dann folgen können: Eigene
Behörden sollten die Pacht- und Kaufabschlüsse überwachen und bei dem Ankauf
von Grund und Boden war dem Bauer unter billigen ^Bedingungen die Hilfe
des Staates dargeboten. In den letzten vier Jahren ist die Regulirung dieser
Verhältnisse sehr beträchtlich fortgeschritten. 1865 schon waren" sämmtliche Pacht¬
contracte definitiv abgeschlossen und die Hälfte derselben hatte sich bereits in
Kaufkontrakte umgewandelt, wobei man für jeden Rubel der auf dem Ge¬
höfte lastenden Jahresleistung 16 Rubel 67 Kopeken zahlte. Es ist also jetzt
die Hälfte der "zeitweilig verpflichteten" Bauern "freie Bauergutsbesitzet" ge¬
worden. Die Uebrigen aber sind Erbpächter. " "

Bei dieser Reform ist den adeligen Herren kein Unrecht geschehen. Der


jährige Uebergangsperiode bis zur Vollendung des die ökonomischen Verhältnisse
bestimmenden Acts, der IIgtg,vo^a Arailwta,, überließ, wurde durchschnittlich
wenig gedacht. Dafür trat eine neue Macht sehr energisch auf, dieses Friedens¬
richters. Diese neue Institution bewährt sich fast durchgehends vortrefflich, wenn
das Amt auch in manchen Fällen von sehr mittelmäßigen Köpfen bekleidet wird.
Man kennt einige Friedensrichter, die früher als Beamte im Rufe arger'Bestech¬
lichkeit standen, und andere, welche als Gutsbesitzer bis zur Grausamkeit ge^
waltthätig verfuhren. Jetzt trifft sie kein Vorwurf; es ist eben schwer/ als
Friedensrichter schlecht zu handeln. Zunächst steht das Amt hoch in der öffent¬
lichen Meinung, dann wird es von dieser controlirt, da der Friedensvermittler
zwischen zwei Parteien entscheidet, welche das Gesetz sich gleichgestellt hat,
endlich sind diese Beamten ziemlich gut besoldet, was für die Unbemittelten
unter ihnen von besonderer Wichtigkeit ist. Die Abschaffung der Leibeigenschaft
hat aber auch der ganzen russischen Beamtenwelt eine andere Physiognomie
gegeben, und brutales Auftreten, Erpressung und Bestechlichkeit sind weit seltener
geworden als früher — kein Wunder, da mit der Leibeigenschaft eine der ver¬
derblichsten Schulen der Willkür und Gewalt verschwunden und andererseits die
Stellung des Tschinowniks einem freien Volke gegenüber, welches sich bereits
zu fühlen beginnt, eine ganz andere geworden ist, als einer tief in Knechtschaft
versunkenen Race gegenüber, welche in ihrer Berührung mit der Beamtenwelt
stets ihr Verhältniß zu ihrem Leibherren vor Augen hatte und niemals eine
Klage gegen einen Beamten wagte, der sie aussaugte und mißhandelte.

Der früher leibeigene Theil des russischen Bauernstandes, der jetzt persön¬
lich frei und unabhängig von seinen Herren ist, beträgt mehr als zwanzig
Millionen Köpfe. Den Bauern sind Haus und Hof als unantastbares Eigen¬
thum, mit einem kleinen und ablösbaren Zins belastet, überlassen worden. Auf
den Grund und Boden, den der Landmann bis jetzt persönlich oder als Ge¬
meindeglied zur Bebauung und Benutzung hatte, ist ihm ein Pacht- und even¬
tuell ein Erwerbsrecht eingeräumt worden. Pachtcontracte sollten das Verhält¬
niß vorläufig regeln, der Ankauf von Land sollte dann folgen können: Eigene
Behörden sollten die Pacht- und Kaufabschlüsse überwachen und bei dem Ankauf
von Grund und Boden war dem Bauer unter billigen ^Bedingungen die Hilfe
des Staates dargeboten. In den letzten vier Jahren ist die Regulirung dieser
Verhältnisse sehr beträchtlich fortgeschritten. 1865 schon waren« sämmtliche Pacht¬
contracte definitiv abgeschlossen und die Hälfte derselben hatte sich bereits in
Kaufkontrakte umgewandelt, wobei man für jeden Rubel der auf dem Ge¬
höfte lastenden Jahresleistung 16 Rubel 67 Kopeken zahlte. Es ist also jetzt
die Hälfte der „zeitweilig verpflichteten" Bauern „freie Bauergutsbesitzet" ge¬
worden. Die Uebrigen aber sind Erbpächter. " "

Bei dieser Reform ist den adeligen Herren kein Unrecht geschehen. Der


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[0278] jährige Uebergangsperiode bis zur Vollendung des die ökonomischen Verhältnisse bestimmenden Acts, der IIgtg,vo^a Arailwta,, überließ, wurde durchschnittlich wenig gedacht. Dafür trat eine neue Macht sehr energisch auf, dieses Friedens¬ richters. Diese neue Institution bewährt sich fast durchgehends vortrefflich, wenn das Amt auch in manchen Fällen von sehr mittelmäßigen Köpfen bekleidet wird. Man kennt einige Friedensrichter, die früher als Beamte im Rufe arger'Bestech¬ lichkeit standen, und andere, welche als Gutsbesitzer bis zur Grausamkeit ge^ waltthätig verfuhren. Jetzt trifft sie kein Vorwurf; es ist eben schwer/ als Friedensrichter schlecht zu handeln. Zunächst steht das Amt hoch in der öffent¬ lichen Meinung, dann wird es von dieser controlirt, da der Friedensvermittler zwischen zwei Parteien entscheidet, welche das Gesetz sich gleichgestellt hat, endlich sind diese Beamten ziemlich gut besoldet, was für die Unbemittelten unter ihnen von besonderer Wichtigkeit ist. Die Abschaffung der Leibeigenschaft hat aber auch der ganzen russischen Beamtenwelt eine andere Physiognomie gegeben, und brutales Auftreten, Erpressung und Bestechlichkeit sind weit seltener geworden als früher — kein Wunder, da mit der Leibeigenschaft eine der ver¬ derblichsten Schulen der Willkür und Gewalt verschwunden und andererseits die Stellung des Tschinowniks einem freien Volke gegenüber, welches sich bereits zu fühlen beginnt, eine ganz andere geworden ist, als einer tief in Knechtschaft versunkenen Race gegenüber, welche in ihrer Berührung mit der Beamtenwelt stets ihr Verhältniß zu ihrem Leibherren vor Augen hatte und niemals eine Klage gegen einen Beamten wagte, der sie aussaugte und mißhandelte. Der früher leibeigene Theil des russischen Bauernstandes, der jetzt persön¬ lich frei und unabhängig von seinen Herren ist, beträgt mehr als zwanzig Millionen Köpfe. Den Bauern sind Haus und Hof als unantastbares Eigen¬ thum, mit einem kleinen und ablösbaren Zins belastet, überlassen worden. Auf den Grund und Boden, den der Landmann bis jetzt persönlich oder als Ge¬ meindeglied zur Bebauung und Benutzung hatte, ist ihm ein Pacht- und even¬ tuell ein Erwerbsrecht eingeräumt worden. Pachtcontracte sollten das Verhält¬ niß vorläufig regeln, der Ankauf von Land sollte dann folgen können: Eigene Behörden sollten die Pacht- und Kaufabschlüsse überwachen und bei dem Ankauf von Grund und Boden war dem Bauer unter billigen ^Bedingungen die Hilfe des Staates dargeboten. In den letzten vier Jahren ist die Regulirung dieser Verhältnisse sehr beträchtlich fortgeschritten. 1865 schon waren« sämmtliche Pacht¬ contracte definitiv abgeschlossen und die Hälfte derselben hatte sich bereits in Kaufkontrakte umgewandelt, wobei man für jeden Rubel der auf dem Ge¬ höfte lastenden Jahresleistung 16 Rubel 67 Kopeken zahlte. Es ist also jetzt die Hälfte der „zeitweilig verpflichteten" Bauern „freie Bauergutsbesitzet" ge¬ worden. Die Uebrigen aber sind Erbpächter. " " Bei dieser Reform ist den adeligen Herren kein Unrecht geschehen. Der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/278>, abgerufen am 22.07.2024.