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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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entweder eine Abgabe in Geld entrichteten oder gewisse Dienste leisteten. Die
Nutznießung ist hier keine individuelle, sondern eine gemeinheitliche, d.h. das
Bauernland (oackol) ohne Inbegriff des Gehöfts gehört der Gemeinde, die es
in der herkömmlichen Weise unter die Einzelnen vertheilt und diese Vertheilung
wie bisher von Zeit zu Zeit neu vornimmt, für welches letztere Verfahren die
Zustimmung von zwei Dritttheilen der Famtlienhäupter erforderlich ist. Indeß
ist jede Gemeinde befugt, das gemeinheitliche Nutzungsrecht durch das individu¬
elle zu ersetzen, die Zulässigkeit neuer Vertheilung für immer aufzuheben und
das Gemeindeland ein für all" Mal in so viele Loose zu theilen, als es Feuer¬
stellen giebt, und diese unter die Familienhäupter zu erblichem Nießbrauch zu
vergeben. Doch müssen sich hierfür wenigstens zwei Dritttheile aller stimm¬
berechtigten Bauern erklären, auch hat während der ersten neun Jahre der Guts¬
besitzer darein zu willigen, falls das Arrangement gelten soll.

Es beruht also die neue Ordnung der Dinge in diesen Theilen des russi¬
schen Reiches auf der im vorigen Abschnitt geschilderten großrussischen Gemeinde-
einnichtung, nach welcher bisher schon gemeinheitliche Nutznießung in Betreff der
Dvrfflursn stattfand. Dabei hat besonders die Beibehaltung der von Zeit zu
Zeit wiederkehrenden Neuvertheilung (psreäsly) starken Widerspruch erfahren,
da sie den nachlässigen Bauer dem fleißigen gleichstellt und insbesondere auf die
Düngung nachtheiligen Einfluß übt. Aber andererseits hat man hervorgehoben,
daß man dieses Verfahren nicht ohne weiteres verbieten könne, weil es eine
natürliche Folge des gemeinheitlichen Besitzes sei und in den fruchtbaren
Gegenden, wo der Boden sorgfältiger Bearbeitung nicht bedarf, die tief ein¬
gewurzelte Sitte für sich habe. Erschwert aber ist es durch die neue Gesetz¬
gebung, und die allmälige Abschaffung ist von dem Fortschreiten der Aufklärung
im Volke Mit Bestimmtheit zu erwarten.

Was die Bestimmung der Größe des den Bauern zu verleihenden Lande"
betrifft, so sind die genannten Provinzen in drei Zonen getheilt. Der ersten
Zone gehören die Bezirke an, die weder in der schwarzen Erde> noch in der
Steppe liegen, der zweiten die der schwarzen Erde, der dritten die der Steppe.
Jede Zone zerfällt wieder in Regionen, die erste in neun, die zweite in acht,
die dritte in zwölf solche Regionen. Das Gesetz nennt für jede Region der
beiden ersten Zonen das Maximum der Verleihung für die "Seele"" welches
z. B. in der Region Witebsk vier Desjatinen und 1200 Taschen, in der Re¬
gion Bjelosersk und Kirilew sieben, in der von Moskau drei, in der von
Saratow vier Desjatinen betragen soll. In der dritten Zone ist als die feste
allgemeine Größe die gesetzliche Portion für die Seelein der Region Rostow
zu drei" in der von Nikolajewsk zu acht Desjatinen normirt. Das Minimum
in der ersten und zweiten Zone ist ein Drittel des Maximums. An Gehöft-
grund, Ackerland, Wiesen und Weiden muß den Bauern dieselbe Fläche ver-


entweder eine Abgabe in Geld entrichteten oder gewisse Dienste leisteten. Die
Nutznießung ist hier keine individuelle, sondern eine gemeinheitliche, d.h. das
Bauernland (oackol) ohne Inbegriff des Gehöfts gehört der Gemeinde, die es
in der herkömmlichen Weise unter die Einzelnen vertheilt und diese Vertheilung
wie bisher von Zeit zu Zeit neu vornimmt, für welches letztere Verfahren die
Zustimmung von zwei Dritttheilen der Famtlienhäupter erforderlich ist. Indeß
ist jede Gemeinde befugt, das gemeinheitliche Nutzungsrecht durch das individu¬
elle zu ersetzen, die Zulässigkeit neuer Vertheilung für immer aufzuheben und
das Gemeindeland ein für all« Mal in so viele Loose zu theilen, als es Feuer¬
stellen giebt, und diese unter die Familienhäupter zu erblichem Nießbrauch zu
vergeben. Doch müssen sich hierfür wenigstens zwei Dritttheile aller stimm¬
berechtigten Bauern erklären, auch hat während der ersten neun Jahre der Guts¬
besitzer darein zu willigen, falls das Arrangement gelten soll.

Es beruht also die neue Ordnung der Dinge in diesen Theilen des russi¬
schen Reiches auf der im vorigen Abschnitt geschilderten großrussischen Gemeinde-
einnichtung, nach welcher bisher schon gemeinheitliche Nutznießung in Betreff der
Dvrfflursn stattfand. Dabei hat besonders die Beibehaltung der von Zeit zu
Zeit wiederkehrenden Neuvertheilung (psreäsly) starken Widerspruch erfahren,
da sie den nachlässigen Bauer dem fleißigen gleichstellt und insbesondere auf die
Düngung nachtheiligen Einfluß übt. Aber andererseits hat man hervorgehoben,
daß man dieses Verfahren nicht ohne weiteres verbieten könne, weil es eine
natürliche Folge des gemeinheitlichen Besitzes sei und in den fruchtbaren
Gegenden, wo der Boden sorgfältiger Bearbeitung nicht bedarf, die tief ein¬
gewurzelte Sitte für sich habe. Erschwert aber ist es durch die neue Gesetz¬
gebung, und die allmälige Abschaffung ist von dem Fortschreiten der Aufklärung
im Volke Mit Bestimmtheit zu erwarten.

Was die Bestimmung der Größe des den Bauern zu verleihenden Lande»
betrifft, so sind die genannten Provinzen in drei Zonen getheilt. Der ersten
Zone gehören die Bezirke an, die weder in der schwarzen Erde> noch in der
Steppe liegen, der zweiten die der schwarzen Erde, der dritten die der Steppe.
Jede Zone zerfällt wieder in Regionen, die erste in neun, die zweite in acht,
die dritte in zwölf solche Regionen. Das Gesetz nennt für jede Region der
beiden ersten Zonen das Maximum der Verleihung für die „Seele"» welches
z. B. in der Region Witebsk vier Desjatinen und 1200 Taschen, in der Re¬
gion Bjelosersk und Kirilew sieben, in der von Moskau drei, in der von
Saratow vier Desjatinen betragen soll. In der dritten Zone ist als die feste
allgemeine Größe die gesetzliche Portion für die Seelein der Region Rostow
zu drei» in der von Nikolajewsk zu acht Desjatinen normirt. Das Minimum
in der ersten und zweiten Zone ist ein Drittel des Maximums. An Gehöft-
grund, Ackerland, Wiesen und Weiden muß den Bauern dieselbe Fläche ver-


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[0274] entweder eine Abgabe in Geld entrichteten oder gewisse Dienste leisteten. Die Nutznießung ist hier keine individuelle, sondern eine gemeinheitliche, d.h. das Bauernland (oackol) ohne Inbegriff des Gehöfts gehört der Gemeinde, die es in der herkömmlichen Weise unter die Einzelnen vertheilt und diese Vertheilung wie bisher von Zeit zu Zeit neu vornimmt, für welches letztere Verfahren die Zustimmung von zwei Dritttheilen der Famtlienhäupter erforderlich ist. Indeß ist jede Gemeinde befugt, das gemeinheitliche Nutzungsrecht durch das individu¬ elle zu ersetzen, die Zulässigkeit neuer Vertheilung für immer aufzuheben und das Gemeindeland ein für all« Mal in so viele Loose zu theilen, als es Feuer¬ stellen giebt, und diese unter die Familienhäupter zu erblichem Nießbrauch zu vergeben. Doch müssen sich hierfür wenigstens zwei Dritttheile aller stimm¬ berechtigten Bauern erklären, auch hat während der ersten neun Jahre der Guts¬ besitzer darein zu willigen, falls das Arrangement gelten soll. Es beruht also die neue Ordnung der Dinge in diesen Theilen des russi¬ schen Reiches auf der im vorigen Abschnitt geschilderten großrussischen Gemeinde- einnichtung, nach welcher bisher schon gemeinheitliche Nutznießung in Betreff der Dvrfflursn stattfand. Dabei hat besonders die Beibehaltung der von Zeit zu Zeit wiederkehrenden Neuvertheilung (psreäsly) starken Widerspruch erfahren, da sie den nachlässigen Bauer dem fleißigen gleichstellt und insbesondere auf die Düngung nachtheiligen Einfluß übt. Aber andererseits hat man hervorgehoben, daß man dieses Verfahren nicht ohne weiteres verbieten könne, weil es eine natürliche Folge des gemeinheitlichen Besitzes sei und in den fruchtbaren Gegenden, wo der Boden sorgfältiger Bearbeitung nicht bedarf, die tief ein¬ gewurzelte Sitte für sich habe. Erschwert aber ist es durch die neue Gesetz¬ gebung, und die allmälige Abschaffung ist von dem Fortschreiten der Aufklärung im Volke Mit Bestimmtheit zu erwarten. Was die Bestimmung der Größe des den Bauern zu verleihenden Lande» betrifft, so sind die genannten Provinzen in drei Zonen getheilt. Der ersten Zone gehören die Bezirke an, die weder in der schwarzen Erde> noch in der Steppe liegen, der zweiten die der schwarzen Erde, der dritten die der Steppe. Jede Zone zerfällt wieder in Regionen, die erste in neun, die zweite in acht, die dritte in zwölf solche Regionen. Das Gesetz nennt für jede Region der beiden ersten Zonen das Maximum der Verleihung für die „Seele"» welches z. B. in der Region Witebsk vier Desjatinen und 1200 Taschen, in der Re¬ gion Bjelosersk und Kirilew sieben, in der von Moskau drei, in der von Saratow vier Desjatinen betragen soll. In der dritten Zone ist als die feste allgemeine Größe die gesetzliche Portion für die Seelein der Region Rostow zu drei» in der von Nikolajewsk zu acht Desjatinen normirt. Das Minimum in der ersten und zweiten Zone ist ein Drittel des Maximums. An Gehöft- grund, Ackerland, Wiesen und Weiden muß den Bauern dieselbe Fläche ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/274>, abgerufen am 22.07.2024.