Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Petersburg ein. Es waren im Ganzen 48 solcher Conn6s, die zusammen
1377 Mitglieder zählten, thätig gewesen. Der Kaiser setzte nun am 17. Februar
18S9 zwei Redactionscommissionen unter dem Vorsitz Rostowzews ein. der die
Mitglieder theils aus den Beamten, theils aus sachverständigen Gutsbesitzern
wählen sollte. Die eine Commission sollte die allgemeinen, die andere die pro¬
vinziellen Beschlüsse beurtheilen. Außerdem wurde am 27. April noch eine
dritte Commission zur Bearbeitung der den Loskauf der Leibeigenen betreffenden
Fragen niedergesetzt. Die Sitzungen der beiden ersten Körperschaften wurden
am 4. März eröffnet und dauerten ein Jahr und sieben Monate. Ihre Arbeiten
übergab man durch den Druck der Kritik der öffentlichen Meinung. Die Ge¬
setze gewordenen Resultate dieser und der nach nochmaligem Zusammentritt der
Gouvernementscomites vorgenommenen Arbeiten wurden in 17 Reglements als
Beilagen zu dem kaiserlichen Manifest vom 19. Februar 1861 promulgirt.

Der Inhalt der neuen Gesetzgebung war folgender:

Die Leibeigenschaft sowohl der auf den Adelsländereien wohnenden, wie
der als Hausgesinde im Dienste der Edelleute stehenden Bauern ist für immer
ausgehoben. Beide Classen treten stufenweise und in gesetzlich bestimmten Ter¬
minen in die Rechte freier Landbauer ein. Sie sind befugt, ohne erst die Be¬
willigung der Gutsbesitzer eingeholt zu haben, Verträge zu schließen, Verpflich¬
tungen einzugehen, Handel und Gewerbe zu treiben, vor Gericht Recht zu suchen
und processualische Handlungen vorzunehmen. Sie haben ferner die Rechte der
freien Dorfbewohner in Bezug auf die Gemeinde, als das Recht der Theil¬
nahme an dem Gemeinderäthe, die active und passive Wahlfähigkeit zu öffent¬
lichen Aemtern, das Recht des Uebertriits in andere Gemeinden und Stände,
sowie des Aufenthalts außerhalb ihres Wohnorts. Hinsichtlich des Verlustes
oder der Beschränkung ihrer persönlichen Freiheit hängen sie wie die Mitglieder
anderer Stände nur von den Gerichten und von den noch zu bildenden Ge¬
meinden ab. Letzteren steht die Befugniß zu, Schulden der Bauern dadurch zu
tilgen, daß sie zahlungsunfähige Schuldner zu öffentlichen Arbeiten verwenden.

Mit Aushebung der Rechte der Grundherren an den Bauern fallen die
denselben entsprechenden Pflichten weg. Jene behalten indeß das Aufsichtsrecht
über die auf ihrem Grund und Boden wohnenden Bauern. Da letztere auch
noch serner des Beistandes ihrer bisherigen Herren in Civil- und selbst in
Kriminalsachen bedürfen werden, so können sie sich in solchen an dieselben
wenden, doch hängt die Erfüllung solcher Gesuche und die Uebernahme etwaiger
Vollmachten von deren Willen ab.

Aus der Emancipation der Bauern folgt, daß sie des Besitzes nicht blos
von beweglichem, sondern auch von unbeweglichem Vermögen fähig sind. In
Betreff der Erbordnung in den Bauerngütern besteht bis jetzt nur für einen
Theil der Kronbauern eine Regel, nach welcher die Wohn- und Wirthschafts-


Petersburg ein. Es waren im Ganzen 48 solcher Conn6s, die zusammen
1377 Mitglieder zählten, thätig gewesen. Der Kaiser setzte nun am 17. Februar
18S9 zwei Redactionscommissionen unter dem Vorsitz Rostowzews ein. der die
Mitglieder theils aus den Beamten, theils aus sachverständigen Gutsbesitzern
wählen sollte. Die eine Commission sollte die allgemeinen, die andere die pro¬
vinziellen Beschlüsse beurtheilen. Außerdem wurde am 27. April noch eine
dritte Commission zur Bearbeitung der den Loskauf der Leibeigenen betreffenden
Fragen niedergesetzt. Die Sitzungen der beiden ersten Körperschaften wurden
am 4. März eröffnet und dauerten ein Jahr und sieben Monate. Ihre Arbeiten
übergab man durch den Druck der Kritik der öffentlichen Meinung. Die Ge¬
setze gewordenen Resultate dieser und der nach nochmaligem Zusammentritt der
Gouvernementscomites vorgenommenen Arbeiten wurden in 17 Reglements als
Beilagen zu dem kaiserlichen Manifest vom 19. Februar 1861 promulgirt.

Der Inhalt der neuen Gesetzgebung war folgender:

Die Leibeigenschaft sowohl der auf den Adelsländereien wohnenden, wie
der als Hausgesinde im Dienste der Edelleute stehenden Bauern ist für immer
ausgehoben. Beide Classen treten stufenweise und in gesetzlich bestimmten Ter¬
minen in die Rechte freier Landbauer ein. Sie sind befugt, ohne erst die Be¬
willigung der Gutsbesitzer eingeholt zu haben, Verträge zu schließen, Verpflich¬
tungen einzugehen, Handel und Gewerbe zu treiben, vor Gericht Recht zu suchen
und processualische Handlungen vorzunehmen. Sie haben ferner die Rechte der
freien Dorfbewohner in Bezug auf die Gemeinde, als das Recht der Theil¬
nahme an dem Gemeinderäthe, die active und passive Wahlfähigkeit zu öffent¬
lichen Aemtern, das Recht des Uebertriits in andere Gemeinden und Stände,
sowie des Aufenthalts außerhalb ihres Wohnorts. Hinsichtlich des Verlustes
oder der Beschränkung ihrer persönlichen Freiheit hängen sie wie die Mitglieder
anderer Stände nur von den Gerichten und von den noch zu bildenden Ge¬
meinden ab. Letzteren steht die Befugniß zu, Schulden der Bauern dadurch zu
tilgen, daß sie zahlungsunfähige Schuldner zu öffentlichen Arbeiten verwenden.

Mit Aushebung der Rechte der Grundherren an den Bauern fallen die
denselben entsprechenden Pflichten weg. Jene behalten indeß das Aufsichtsrecht
über die auf ihrem Grund und Boden wohnenden Bauern. Da letztere auch
noch serner des Beistandes ihrer bisherigen Herren in Civil- und selbst in
Kriminalsachen bedürfen werden, so können sie sich in solchen an dieselben
wenden, doch hängt die Erfüllung solcher Gesuche und die Uebernahme etwaiger
Vollmachten von deren Willen ab.

Aus der Emancipation der Bauern folgt, daß sie des Besitzes nicht blos
von beweglichem, sondern auch von unbeweglichem Vermögen fähig sind. In
Betreff der Erbordnung in den Bauerngütern besteht bis jetzt nur für einen
Theil der Kronbauern eine Regel, nach welcher die Wohn- und Wirthschafts-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0254" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285842"/>
          <p xml:id="ID_765" prev="#ID_764"> Petersburg ein. Es waren im Ganzen 48 solcher Conn6s, die zusammen<lb/>
1377 Mitglieder zählten, thätig gewesen. Der Kaiser setzte nun am 17. Februar<lb/>
18S9 zwei Redactionscommissionen unter dem Vorsitz Rostowzews ein. der die<lb/>
Mitglieder theils aus den Beamten, theils aus sachverständigen Gutsbesitzern<lb/>
wählen sollte. Die eine Commission sollte die allgemeinen, die andere die pro¬<lb/>
vinziellen Beschlüsse beurtheilen. Außerdem wurde am 27. April noch eine<lb/>
dritte Commission zur Bearbeitung der den Loskauf der Leibeigenen betreffenden<lb/>
Fragen niedergesetzt. Die Sitzungen der beiden ersten Körperschaften wurden<lb/>
am 4. März eröffnet und dauerten ein Jahr und sieben Monate. Ihre Arbeiten<lb/>
übergab man durch den Druck der Kritik der öffentlichen Meinung. Die Ge¬<lb/>
setze gewordenen Resultate dieser und der nach nochmaligem Zusammentritt der<lb/>
Gouvernementscomites vorgenommenen Arbeiten wurden in 17 Reglements als<lb/>
Beilagen zu dem kaiserlichen Manifest vom 19. Februar 1861 promulgirt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_766"> Der Inhalt der neuen Gesetzgebung war folgender:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_767"> Die Leibeigenschaft sowohl der auf den Adelsländereien wohnenden, wie<lb/>
der als Hausgesinde im Dienste der Edelleute stehenden Bauern ist für immer<lb/>
ausgehoben. Beide Classen treten stufenweise und in gesetzlich bestimmten Ter¬<lb/>
minen in die Rechte freier Landbauer ein. Sie sind befugt, ohne erst die Be¬<lb/>
willigung der Gutsbesitzer eingeholt zu haben, Verträge zu schließen, Verpflich¬<lb/>
tungen einzugehen, Handel und Gewerbe zu treiben, vor Gericht Recht zu suchen<lb/>
und processualische Handlungen vorzunehmen. Sie haben ferner die Rechte der<lb/>
freien Dorfbewohner in Bezug auf die Gemeinde, als das Recht der Theil¬<lb/>
nahme an dem Gemeinderäthe, die active und passive Wahlfähigkeit zu öffent¬<lb/>
lichen Aemtern, das Recht des Uebertriits in andere Gemeinden und Stände,<lb/>
sowie des Aufenthalts außerhalb ihres Wohnorts. Hinsichtlich des Verlustes<lb/>
oder der Beschränkung ihrer persönlichen Freiheit hängen sie wie die Mitglieder<lb/>
anderer Stände nur von den Gerichten und von den noch zu bildenden Ge¬<lb/>
meinden ab. Letzteren steht die Befugniß zu, Schulden der Bauern dadurch zu<lb/>
tilgen, daß sie zahlungsunfähige Schuldner zu öffentlichen Arbeiten verwenden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_768"> Mit Aushebung der Rechte der Grundherren an den Bauern fallen die<lb/>
denselben entsprechenden Pflichten weg. Jene behalten indeß das Aufsichtsrecht<lb/>
über die auf ihrem Grund und Boden wohnenden Bauern. Da letztere auch<lb/>
noch serner des Beistandes ihrer bisherigen Herren in Civil- und selbst in<lb/>
Kriminalsachen bedürfen werden, so können sie sich in solchen an dieselben<lb/>
wenden, doch hängt die Erfüllung solcher Gesuche und die Uebernahme etwaiger<lb/>
Vollmachten von deren Willen ab.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_769" next="#ID_770"> Aus der Emancipation der Bauern folgt, daß sie des Besitzes nicht blos<lb/>
von beweglichem, sondern auch von unbeweglichem Vermögen fähig sind. In<lb/>
Betreff der Erbordnung in den Bauerngütern besteht bis jetzt nur für einen<lb/>
Theil der Kronbauern eine Regel, nach welcher die Wohn- und Wirthschafts-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0254] Petersburg ein. Es waren im Ganzen 48 solcher Conn6s, die zusammen 1377 Mitglieder zählten, thätig gewesen. Der Kaiser setzte nun am 17. Februar 18S9 zwei Redactionscommissionen unter dem Vorsitz Rostowzews ein. der die Mitglieder theils aus den Beamten, theils aus sachverständigen Gutsbesitzern wählen sollte. Die eine Commission sollte die allgemeinen, die andere die pro¬ vinziellen Beschlüsse beurtheilen. Außerdem wurde am 27. April noch eine dritte Commission zur Bearbeitung der den Loskauf der Leibeigenen betreffenden Fragen niedergesetzt. Die Sitzungen der beiden ersten Körperschaften wurden am 4. März eröffnet und dauerten ein Jahr und sieben Monate. Ihre Arbeiten übergab man durch den Druck der Kritik der öffentlichen Meinung. Die Ge¬ setze gewordenen Resultate dieser und der nach nochmaligem Zusammentritt der Gouvernementscomites vorgenommenen Arbeiten wurden in 17 Reglements als Beilagen zu dem kaiserlichen Manifest vom 19. Februar 1861 promulgirt. Der Inhalt der neuen Gesetzgebung war folgender: Die Leibeigenschaft sowohl der auf den Adelsländereien wohnenden, wie der als Hausgesinde im Dienste der Edelleute stehenden Bauern ist für immer ausgehoben. Beide Classen treten stufenweise und in gesetzlich bestimmten Ter¬ minen in die Rechte freier Landbauer ein. Sie sind befugt, ohne erst die Be¬ willigung der Gutsbesitzer eingeholt zu haben, Verträge zu schließen, Verpflich¬ tungen einzugehen, Handel und Gewerbe zu treiben, vor Gericht Recht zu suchen und processualische Handlungen vorzunehmen. Sie haben ferner die Rechte der freien Dorfbewohner in Bezug auf die Gemeinde, als das Recht der Theil¬ nahme an dem Gemeinderäthe, die active und passive Wahlfähigkeit zu öffent¬ lichen Aemtern, das Recht des Uebertriits in andere Gemeinden und Stände, sowie des Aufenthalts außerhalb ihres Wohnorts. Hinsichtlich des Verlustes oder der Beschränkung ihrer persönlichen Freiheit hängen sie wie die Mitglieder anderer Stände nur von den Gerichten und von den noch zu bildenden Ge¬ meinden ab. Letzteren steht die Befugniß zu, Schulden der Bauern dadurch zu tilgen, daß sie zahlungsunfähige Schuldner zu öffentlichen Arbeiten verwenden. Mit Aushebung der Rechte der Grundherren an den Bauern fallen die denselben entsprechenden Pflichten weg. Jene behalten indeß das Aufsichtsrecht über die auf ihrem Grund und Boden wohnenden Bauern. Da letztere auch noch serner des Beistandes ihrer bisherigen Herren in Civil- und selbst in Kriminalsachen bedürfen werden, so können sie sich in solchen an dieselben wenden, doch hängt die Erfüllung solcher Gesuche und die Uebernahme etwaiger Vollmachten von deren Willen ab. Aus der Emancipation der Bauern folgt, daß sie des Besitzes nicht blos von beweglichem, sondern auch von unbeweglichem Vermögen fähig sind. In Betreff der Erbordnung in den Bauerngütern besteht bis jetzt nur für einen Theil der Kronbauern eine Regel, nach welcher die Wohn- und Wirthschafts-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/254
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/254>, abgerufen am 22.07.2024.