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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Czar ernährte ihn dafür, indem er ihm auf Jahre, auf Lebenszeit, auf einge¬
schränkte Erbfolge Ländereien, die er durch seine Haussklaven bearbeiten ließ,
oder auch ganze Dörfer verlieh, welche dann die bisher dem Czaren geleisteten
Abgaben und Dienste dem Beliehenen zu leisten hatten, dadurch aber keines¬
wegs zu Leibeigenen des letzteren wurden, sondern freie Kinder des Czaren
blieben und zu jeder Zeit ihren Wohnplatz mit einem andern vertauschen
konnten.

Wenn der Enkel eines Adeligen nicht diente, so ging er seines Adels ver¬
lustig, und wenn der Adel in der Regel seinen Landbesitz auf seine Kinder über¬
gehen ließ, so war das nicht sein Recht, sondern nur ein geduldeter Brauch.
Erst Peter der Erste machte ein Recht daraus. Da häufig auch unbebaute
Ländereien als Dienstbelohnungen verliehen wurden, so mußten die damit Be¬
gabten entweder Bauern aufsuchen, welche dieses Land als Pächter bearbeiteten,
oder dasselbe durch ihre Haussklaven bebauen lassen, und da diese von ihnen
ernährt werden mußten, die Herren aber, an den Czaren gefesselt, meist nicht
auf dem ihnen verliehenen Grund und Boden wohnten, so bildete sich auch hier
mit der Zeit ein Pachtverhältniß aus.

Als die Theilfürstenthümer, welche sich im Mittelalter gebildet, unter Iwan
dem Schrecklichen beseitigt waren und Rußland ein einheitliches Reich wurde,
konnte sich die bis dahin durch die Grenzen jener kleinen Staaten beschränkte
Wanderlust der Russen noch mehr Genüge thun. Ganze Landstriche von nur
mittelmäßiger Fruchtbarkeit verödeten, und in fruchtbareren Gegenden trat fast
Uebervölkerung ein. Der Dienstadel litt darunter schwer, ein großer Theil der
ihm verliehenen Güter verlor seine Bebauer, und in andern Strichen wollten
diese nur ein Minimum an Pacht geben. Da erließ der Czar Boris Godunow,
um sich den Adel zu verpflichten, zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts den
berühmten Ukas, welcher bestimmte, daß alle Bauern an die Orte, in welchen
sie sich am Tage des Erlasses befanden, gefestet sein und sich fernerhin nicht
ohne specielle Erlaubniß der Herrn dieser Orte von da wegbegeben sollten, um
sich anderswo anzusiedeln. Die socialen Verhältnisse des Landvolks waren da¬
mit vollkommen andre geworden. Das russische Volk beklagt noch heute in
seinen Liedern jenen Georgstag als das Grab seiner Freiheit. Es war die
slebas aäsorixtio, die an demselben vollzogen wurde. Der Bauer behielt zwar
noch den größeren Theil seiner persönlichen Freiheit, aber, an die Scholle ge¬
fesselt, war er fortan fast gänzlich der Willkür der Ortsherren und der Beamten
des Czaren überl> > und es blieb ihm nichts übrig, als sich zu unterwerfen
oder heimlich zu e ism und sich in Wildnissen zu verstecken. Noch jetzt giebt
es in den nördlich Lenden ganze Colonien solcher Flüchtlinge.

Es stand nur r folgendermaßen: 1) alles unbebaute Land mit Einschluß
der unermeßlichen er und Steppen im Süden galt als Eigenthum des Czaren;


Czar ernährte ihn dafür, indem er ihm auf Jahre, auf Lebenszeit, auf einge¬
schränkte Erbfolge Ländereien, die er durch seine Haussklaven bearbeiten ließ,
oder auch ganze Dörfer verlieh, welche dann die bisher dem Czaren geleisteten
Abgaben und Dienste dem Beliehenen zu leisten hatten, dadurch aber keines¬
wegs zu Leibeigenen des letzteren wurden, sondern freie Kinder des Czaren
blieben und zu jeder Zeit ihren Wohnplatz mit einem andern vertauschen
konnten.

Wenn der Enkel eines Adeligen nicht diente, so ging er seines Adels ver¬
lustig, und wenn der Adel in der Regel seinen Landbesitz auf seine Kinder über¬
gehen ließ, so war das nicht sein Recht, sondern nur ein geduldeter Brauch.
Erst Peter der Erste machte ein Recht daraus. Da häufig auch unbebaute
Ländereien als Dienstbelohnungen verliehen wurden, so mußten die damit Be¬
gabten entweder Bauern aufsuchen, welche dieses Land als Pächter bearbeiteten,
oder dasselbe durch ihre Haussklaven bebauen lassen, und da diese von ihnen
ernährt werden mußten, die Herren aber, an den Czaren gefesselt, meist nicht
auf dem ihnen verliehenen Grund und Boden wohnten, so bildete sich auch hier
mit der Zeit ein Pachtverhältniß aus.

Als die Theilfürstenthümer, welche sich im Mittelalter gebildet, unter Iwan
dem Schrecklichen beseitigt waren und Rußland ein einheitliches Reich wurde,
konnte sich die bis dahin durch die Grenzen jener kleinen Staaten beschränkte
Wanderlust der Russen noch mehr Genüge thun. Ganze Landstriche von nur
mittelmäßiger Fruchtbarkeit verödeten, und in fruchtbareren Gegenden trat fast
Uebervölkerung ein. Der Dienstadel litt darunter schwer, ein großer Theil der
ihm verliehenen Güter verlor seine Bebauer, und in andern Strichen wollten
diese nur ein Minimum an Pacht geben. Da erließ der Czar Boris Godunow,
um sich den Adel zu verpflichten, zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts den
berühmten Ukas, welcher bestimmte, daß alle Bauern an die Orte, in welchen
sie sich am Tage des Erlasses befanden, gefestet sein und sich fernerhin nicht
ohne specielle Erlaubniß der Herrn dieser Orte von da wegbegeben sollten, um
sich anderswo anzusiedeln. Die socialen Verhältnisse des Landvolks waren da¬
mit vollkommen andre geworden. Das russische Volk beklagt noch heute in
seinen Liedern jenen Georgstag als das Grab seiner Freiheit. Es war die
slebas aäsorixtio, die an demselben vollzogen wurde. Der Bauer behielt zwar
noch den größeren Theil seiner persönlichen Freiheit, aber, an die Scholle ge¬
fesselt, war er fortan fast gänzlich der Willkür der Ortsherren und der Beamten
des Czaren überl> > und es blieb ihm nichts übrig, als sich zu unterwerfen
oder heimlich zu e ism und sich in Wildnissen zu verstecken. Noch jetzt giebt
es in den nördlich Lenden ganze Colonien solcher Flüchtlinge.

Es stand nur r folgendermaßen: 1) alles unbebaute Land mit Einschluß
der unermeßlichen er und Steppen im Süden galt als Eigenthum des Czaren;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/249>, abgerufen am 22.07.2024.