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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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und China, welche sein Auge ängstlich suchte, jetzt ist dem deutschen Zeitungs¬
leser stolze Befriedigung, daß in den nächsten Wochen von Paris bis Neu-
holland tausend Pinsel in den Farbenmuscheln rühren müssen, um die neuen
Grenzlinien zu illuminiren. Die Karte von Deutschland war bisher für alle Völ¬
ker der civilisirten Welt ein unverständliches Problem, es erhielt nach Aufwand
aller Farben dasselbe bunte Aussehen, welches unsere Großmütter den Bettdecken
ihres ehrbaren Lagers durch Zusammennähen verschiedenfarbiger Seitenlappen
zu geben wußten; es machte das Studium deutscher Geographie zu einer ver¬
zweifelten Ausgabe für fremde Kulturvölker, die Franzosen verzichteten gänzlich
darauf, das Geheimniß unserer Landesnähte zu erforschen, die Engländer halfen
sich über das Unfaßbare durch die ironische Generalbezeichnung t-Merlanä
weg. Nun, die ironische Stimmung hat dort gänzlich aufgehört, und der viel¬
hundertjährige Uebelstand soll jetzt in der Hauptsache auf einmal getilgt sein.
Nicht ganz; einige Buntscheckigkeit wird uns verstattet, aber der Tuschkasten,
den man von jetzt an braucht, wird unvergleichlich kleiner sein, sast nur Schat-
tirungen derselben Farbe, und im Süden einiges, was wir noch nicht zu colo-
riren wissen.

Kein Wunder, wenn die Landsleute unserer Partei sich freuen wie Kinder,
sie sind auch wie die Kinder behandelt worden. Man hat sie wenig gefragt;
in den böhmischen Bergen ist das Schicksal Deutschlands von zwei großen
Herren ausgefochten worden, und ein guter Theil dessen, was das deutsche Volk
in langen Jahrhunderten seiner geschichtlichen Existenz nickt durchzusetzen ver¬
mochte, ist in den acht Tagen vom 23. Juni bis 3. Juli möglich geworden.

Es war Heldenarbeit. Aber sie wurde gethan nach dem großen Plane
Einzelner, welche kalt oder feindlich der öffentlichen Meinung gegenüberstanden,
sie wurde ausgeführt durch den Gehorsam und die tüchtige Kraft des preußi¬
schen Heeres, nicht nach Wunsch und Willen des preußischen Volkes. Die
Deutschen außerhalb Preußen, das gesammte übrige Europa blickten besorgt
oder mißtrauisch, mit Kummer' oder Abneigung auf die ersten Schritte der
kühnen und rücksichtslosen Politik, deren Erfolge wir jetzt als den größten
Fortschritt empfinden, welchen die deutsche Sache seit 1813 gemacht hat. Ja
in vieler Beziehung als einen weit größeren. -- Denn wie urtheilte das deutsche
Volk darüber vor der Ausführung? Die Schützen sahen besorgt auf ihre Fest¬
stutzen, die Tenöre schrien gellende Klagen und die Bässe murmelten Fluch, die
Turner dachten zornig ihrer Urkraft, wenn sie die Riesenwelle schlugen. Aber
es war nicht nur der Strom der Tagesstimmungen, welcher gegen die preußische
Regierung aufrauschte. Auch wer die Bedeutung und Macht Preußens warm
im Herzen trug, hatte nur zu guten Grund, die waglustige und rücksichtslose
Politik der letzten Jahre ungünstig zu beurtheilen, wenn er die innern Zustände
Preußens betrachtete, das System der Regierung, den erbitterten Kampf der


und China, welche sein Auge ängstlich suchte, jetzt ist dem deutschen Zeitungs¬
leser stolze Befriedigung, daß in den nächsten Wochen von Paris bis Neu-
holland tausend Pinsel in den Farbenmuscheln rühren müssen, um die neuen
Grenzlinien zu illuminiren. Die Karte von Deutschland war bisher für alle Völ¬
ker der civilisirten Welt ein unverständliches Problem, es erhielt nach Aufwand
aller Farben dasselbe bunte Aussehen, welches unsere Großmütter den Bettdecken
ihres ehrbaren Lagers durch Zusammennähen verschiedenfarbiger Seitenlappen
zu geben wußten; es machte das Studium deutscher Geographie zu einer ver¬
zweifelten Ausgabe für fremde Kulturvölker, die Franzosen verzichteten gänzlich
darauf, das Geheimniß unserer Landesnähte zu erforschen, die Engländer halfen
sich über das Unfaßbare durch die ironische Generalbezeichnung t-Merlanä
weg. Nun, die ironische Stimmung hat dort gänzlich aufgehört, und der viel¬
hundertjährige Uebelstand soll jetzt in der Hauptsache auf einmal getilgt sein.
Nicht ganz; einige Buntscheckigkeit wird uns verstattet, aber der Tuschkasten,
den man von jetzt an braucht, wird unvergleichlich kleiner sein, sast nur Schat-
tirungen derselben Farbe, und im Süden einiges, was wir noch nicht zu colo-
riren wissen.

Kein Wunder, wenn die Landsleute unserer Partei sich freuen wie Kinder,
sie sind auch wie die Kinder behandelt worden. Man hat sie wenig gefragt;
in den böhmischen Bergen ist das Schicksal Deutschlands von zwei großen
Herren ausgefochten worden, und ein guter Theil dessen, was das deutsche Volk
in langen Jahrhunderten seiner geschichtlichen Existenz nickt durchzusetzen ver¬
mochte, ist in den acht Tagen vom 23. Juni bis 3. Juli möglich geworden.

Es war Heldenarbeit. Aber sie wurde gethan nach dem großen Plane
Einzelner, welche kalt oder feindlich der öffentlichen Meinung gegenüberstanden,
sie wurde ausgeführt durch den Gehorsam und die tüchtige Kraft des preußi¬
schen Heeres, nicht nach Wunsch und Willen des preußischen Volkes. Die
Deutschen außerhalb Preußen, das gesammte übrige Europa blickten besorgt
oder mißtrauisch, mit Kummer' oder Abneigung auf die ersten Schritte der
kühnen und rücksichtslosen Politik, deren Erfolge wir jetzt als den größten
Fortschritt empfinden, welchen die deutsche Sache seit 1813 gemacht hat. Ja
in vieler Beziehung als einen weit größeren. — Denn wie urtheilte das deutsche
Volk darüber vor der Ausführung? Die Schützen sahen besorgt auf ihre Fest¬
stutzen, die Tenöre schrien gellende Klagen und die Bässe murmelten Fluch, die
Turner dachten zornig ihrer Urkraft, wenn sie die Riesenwelle schlugen. Aber
es war nicht nur der Strom der Tagesstimmungen, welcher gegen die preußische
Regierung aufrauschte. Auch wer die Bedeutung und Macht Preußens warm
im Herzen trug, hatte nur zu guten Grund, die waglustige und rücksichtslose
Politik der letzten Jahre ungünstig zu beurtheilen, wenn er die innern Zustände
Preußens betrachtete, das System der Regierung, den erbitterten Kampf der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/222>, abgerufen am 22.07.2024.