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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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puppung des Verfassers als Preußenfeind von Fach hinterdrein auch an der
Loyalität jener Untersuchung irre gemacht haben.

Dem König Georg war die Stimmung Ostfneslands nicht unbekannt. Wäre
er auch nicht überhaupt so viel im Lande umhergefahren, zu dem ausdrücklichen
Zwecke sich populär zu machen und die Bande der Unterthanentreue zu verviel¬
fältigen. Ostfriesland hätte er doch schon deswegen näher kennen lernen müssen,
weil er jeden Sommer ins Seebad nach Norderney ging, und den Weg über Bre¬
men, dieweil er ihn auf ein bremer Dampfschiff führen mußte, mit charakteri¬
stischer Hoffart und Eifersucht für gewöhnlich verschmähte. Bei diesen Durch¬
zügen bot er seine ganze Kraft und alle ihm eigenthümliche Fähigkeit königlich
zu wirken, im Großen auf. um die trockene Zurückhaltung der Ostfriesen in
einen dem Welfenthume wohlgefälligen Fluß zu bringen. Ostfriesland war die
"Perle" seiner Krone. Treuere Unterthanen hatte er nirgends. Was er ver¬
mißte und wünschte, das sprach er auf diese Weise in gewohnheitsmäßiger
Selbstberückung als eine Thatsache aus; und da ihm niemals Einer wider¬
sprach, die gedruckte Wahrheit keinen sichern Zugang zu seiner Seele hatte, so
mußte er zuletzt wohl an das Echo seiner eigenen tendenziösen Versicherungen
glauben.

Seinen Höhepunkt erreichte dieser Welfenschwindel -- wie man es ohne
Uebertreibung charakterisiren darf -- zur Zeit des Jubiläums der funfzigjährigen
Vereinigung Ostfrieslands mit Hannover im letzten Winter. Der eigentliche
Urheber des Festes, Graf Edgard Knyphausen, wird sich jetzt gestehen müssen,
zu der Verblendung des gefallenen Fürsten über sein Verhältniß zum Lande
einen nicht unbedeutenden Beitrag geliefert zu haben. Da wurde die Vor¬
sehung gepriesen, daß sie dem Welsenhause unausbleiblich wieder zuführe, was
ihm einmal gehört habe oder zugedacht gewesen sei; ein Trost, dessen Stärke
und Nachhaltigkeit nun Gelegenheit haben wird, sich zu erproben! Die Be¬
völkerung Ostfrieslands aber darf kühnlich sagen, den Schmeichlern und Höf¬
lingen in ihrem elenden Gewerbe damals keinerlei Unterstützung gewährt zu
haben. Sie blieb kalt und stumm; und hat sich damit ein Recht erworben,
von welchem sie ehestens einen hoffentlich erfolgreichen Gebrauch machen wird,
das Recht, mit warmem Herzen und lauter Stimme zu verlangen, daß man sie
wieder mit Preußen vereinige.

Hannover als Landeshauptstadt lag, kann man sagen, im Gegensatz zu
Berlin, den Ostfriesen theils zu nahe und theils zu fern; das Land Hannover,
im Gegensatz zu Preußen, war ihnen entweder zu klein oder zu groß. Zu
nahe lag ihnen die Residenz, als daß sie sich ihr gegenüber in dem alten pro-
vinzialen Still- und Sonderleben, wie man es von den Vätern her hinter den
vom Reiche trennenden Mooren und Haiden gewohnt war. hätten ungestört
behaupten können; und doch wieder nicht nahe genug, insofern es sich darum


puppung des Verfassers als Preußenfeind von Fach hinterdrein auch an der
Loyalität jener Untersuchung irre gemacht haben.

Dem König Georg war die Stimmung Ostfneslands nicht unbekannt. Wäre
er auch nicht überhaupt so viel im Lande umhergefahren, zu dem ausdrücklichen
Zwecke sich populär zu machen und die Bande der Unterthanentreue zu verviel¬
fältigen. Ostfriesland hätte er doch schon deswegen näher kennen lernen müssen,
weil er jeden Sommer ins Seebad nach Norderney ging, und den Weg über Bre¬
men, dieweil er ihn auf ein bremer Dampfschiff führen mußte, mit charakteri¬
stischer Hoffart und Eifersucht für gewöhnlich verschmähte. Bei diesen Durch¬
zügen bot er seine ganze Kraft und alle ihm eigenthümliche Fähigkeit königlich
zu wirken, im Großen auf. um die trockene Zurückhaltung der Ostfriesen in
einen dem Welfenthume wohlgefälligen Fluß zu bringen. Ostfriesland war die
„Perle" seiner Krone. Treuere Unterthanen hatte er nirgends. Was er ver¬
mißte und wünschte, das sprach er auf diese Weise in gewohnheitsmäßiger
Selbstberückung als eine Thatsache aus; und da ihm niemals Einer wider¬
sprach, die gedruckte Wahrheit keinen sichern Zugang zu seiner Seele hatte, so
mußte er zuletzt wohl an das Echo seiner eigenen tendenziösen Versicherungen
glauben.

Seinen Höhepunkt erreichte dieser Welfenschwindel — wie man es ohne
Uebertreibung charakterisiren darf — zur Zeit des Jubiläums der funfzigjährigen
Vereinigung Ostfrieslands mit Hannover im letzten Winter. Der eigentliche
Urheber des Festes, Graf Edgard Knyphausen, wird sich jetzt gestehen müssen,
zu der Verblendung des gefallenen Fürsten über sein Verhältniß zum Lande
einen nicht unbedeutenden Beitrag geliefert zu haben. Da wurde die Vor¬
sehung gepriesen, daß sie dem Welsenhause unausbleiblich wieder zuführe, was
ihm einmal gehört habe oder zugedacht gewesen sei; ein Trost, dessen Stärke
und Nachhaltigkeit nun Gelegenheit haben wird, sich zu erproben! Die Be¬
völkerung Ostfrieslands aber darf kühnlich sagen, den Schmeichlern und Höf¬
lingen in ihrem elenden Gewerbe damals keinerlei Unterstützung gewährt zu
haben. Sie blieb kalt und stumm; und hat sich damit ein Recht erworben,
von welchem sie ehestens einen hoffentlich erfolgreichen Gebrauch machen wird,
das Recht, mit warmem Herzen und lauter Stimme zu verlangen, daß man sie
wieder mit Preußen vereinige.

Hannover als Landeshauptstadt lag, kann man sagen, im Gegensatz zu
Berlin, den Ostfriesen theils zu nahe und theils zu fern; das Land Hannover,
im Gegensatz zu Preußen, war ihnen entweder zu klein oder zu groß. Zu
nahe lag ihnen die Residenz, als daß sie sich ihr gegenüber in dem alten pro-
vinzialen Still- und Sonderleben, wie man es von den Vätern her hinter den
vom Reiche trennenden Mooren und Haiden gewohnt war. hätten ungestört
behaupten können; und doch wieder nicht nahe genug, insofern es sich darum


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[0215] puppung des Verfassers als Preußenfeind von Fach hinterdrein auch an der Loyalität jener Untersuchung irre gemacht haben. Dem König Georg war die Stimmung Ostfneslands nicht unbekannt. Wäre er auch nicht überhaupt so viel im Lande umhergefahren, zu dem ausdrücklichen Zwecke sich populär zu machen und die Bande der Unterthanentreue zu verviel¬ fältigen. Ostfriesland hätte er doch schon deswegen näher kennen lernen müssen, weil er jeden Sommer ins Seebad nach Norderney ging, und den Weg über Bre¬ men, dieweil er ihn auf ein bremer Dampfschiff führen mußte, mit charakteri¬ stischer Hoffart und Eifersucht für gewöhnlich verschmähte. Bei diesen Durch¬ zügen bot er seine ganze Kraft und alle ihm eigenthümliche Fähigkeit königlich zu wirken, im Großen auf. um die trockene Zurückhaltung der Ostfriesen in einen dem Welfenthume wohlgefälligen Fluß zu bringen. Ostfriesland war die „Perle" seiner Krone. Treuere Unterthanen hatte er nirgends. Was er ver¬ mißte und wünschte, das sprach er auf diese Weise in gewohnheitsmäßiger Selbstberückung als eine Thatsache aus; und da ihm niemals Einer wider¬ sprach, die gedruckte Wahrheit keinen sichern Zugang zu seiner Seele hatte, so mußte er zuletzt wohl an das Echo seiner eigenen tendenziösen Versicherungen glauben. Seinen Höhepunkt erreichte dieser Welfenschwindel — wie man es ohne Uebertreibung charakterisiren darf — zur Zeit des Jubiläums der funfzigjährigen Vereinigung Ostfrieslands mit Hannover im letzten Winter. Der eigentliche Urheber des Festes, Graf Edgard Knyphausen, wird sich jetzt gestehen müssen, zu der Verblendung des gefallenen Fürsten über sein Verhältniß zum Lande einen nicht unbedeutenden Beitrag geliefert zu haben. Da wurde die Vor¬ sehung gepriesen, daß sie dem Welsenhause unausbleiblich wieder zuführe, was ihm einmal gehört habe oder zugedacht gewesen sei; ein Trost, dessen Stärke und Nachhaltigkeit nun Gelegenheit haben wird, sich zu erproben! Die Be¬ völkerung Ostfrieslands aber darf kühnlich sagen, den Schmeichlern und Höf¬ lingen in ihrem elenden Gewerbe damals keinerlei Unterstützung gewährt zu haben. Sie blieb kalt und stumm; und hat sich damit ein Recht erworben, von welchem sie ehestens einen hoffentlich erfolgreichen Gebrauch machen wird, das Recht, mit warmem Herzen und lauter Stimme zu verlangen, daß man sie wieder mit Preußen vereinige. Hannover als Landeshauptstadt lag, kann man sagen, im Gegensatz zu Berlin, den Ostfriesen theils zu nahe und theils zu fern; das Land Hannover, im Gegensatz zu Preußen, war ihnen entweder zu klein oder zu groß. Zu nahe lag ihnen die Residenz, als daß sie sich ihr gegenüber in dem alten pro- vinzialen Still- und Sonderleben, wie man es von den Vätern her hinter den vom Reiche trennenden Mooren und Haiden gewohnt war. hätten ungestört behaupten können; und doch wieder nicht nahe genug, insofern es sich darum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/215>, abgerufen am 22.07.2024.