Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Wiederherstellung der alten Republik brächte. Ausschließlich See- und Handels¬
staat wäre Genua durch Dankbarkeit und Interessen dauernd an Großbritannien
gefesselt; die Häfen von Genua, Spezia und Vado stünden ihm offen, und
gewissermaßen eine englische Stadt geworden, würde Genua in Friedenszeiten
der Mittelpunkt des britischen Handels im Mittelmeer, in Kriegszeiten die sichere
Zuflucht der britischen Fahrzeuge sein.

Mündlich entwickelte Pareto dem Lord Castlereagh die Gründe der Ab¬
neigung gegen die Annexion noch weiter in folgender Weise. DaS einzige
Mittel der Subsistenz für Genua sei der wohlfeile Handel; um diesen zu er¬
halten, sei eS bei der Concurrenz der Nachbarn nothwendig, ihn nicht mit
schweren Auflagen zu belasten, was allein bei einer freien und unentgeltlichen
Regierung möglich sei; während bei der Vereinigung mit Piemont die Kosten
eines HofS und eines Militärstaats mehr Geld erforderten und damit Ver¬
minderung, wo nicht Vernichtung des Handels nach sich zögen. Ferner seien
die einzig maritimen Interessen Genuas gänzlich verschieden von denen eines
ackerbautreibenden Landes, dem man bei jeder Gelegenheit aufgeopfert würde,
zu schweigen von den endlosen Streitigkeiten und Antipathien beider Völker.
Castlereaghs stehende Antwort war, daß die Entscheidung nicht von England
allein, sondern von allen Verbündeten abhänge, und daß diese auf die Grün¬
dung starker Staaten, insbesondere auf die Schaffung eines starken Alpen¬
wächters gegen Frankreich bedacht sein müssen. Als Pareto. dieselben Gründe
in einer Unterredung mit dem Fürsten Metternich entwickelte, sagte dieser: ich
weiß, daß man in Genua Vorurtheile in Betreff Piemonts hat. Nicht Vor
urtheile, entgegnete Pareto, und wenn es Vorurtheile sind, so sind es solche,
die sich unmöglich ausrotten lassen, da sie von zwei Jahrhunderten ununter¬
brochenen Streits zwischen beiden Völkern genährt sind. Mag sein, fuhr
Metternich fort, aber man muß streben sie zu überwinden. . . . Man kann
nicht immer einzig die Linie seiner eigenen Interessen befolgen, man muß zu¬
weilen in gewisse Anordnungen zum allgemeinen Besten willigen. Den Vor¬
schlag, den genuesischen Staat unter die specielle Protection Oestreichs zu stellen,
hatte Metternich damit abgelehnt, daß die geographische Lage dies nicht erlaube.
Kaiser Franz hatte dem Gesandten, der an die alten freundschaftlichen Be¬
ziehungen Genuas zum Kaiserhaus erinnerte, lakonisch geantwortet: andere
Zeiten, andere Umstände; Sie sehen, daß Republiken nicht mehr in der Mode sind.

Mehr als die Zusage,- daß der Stadt Genua besondere Handelsprivilegien
erhalten bleiben sollten, war von den Verbündeten nicht zu erlangen. Ein ge¬
heimer Artikel im pariser Vertrag vom 30. Mai entschied über das Loos der
alten Republik. Zwei Tage zuvor hatte Pareto seinen Auftraggebern berichtet,
bei allen verbündeten Herrschern und ihren ersten Ministern habe er den ent¬
schiedensten Widerstand gegen die Aufrichtung republikanischer Staaten in der


Wiederherstellung der alten Republik brächte. Ausschließlich See- und Handels¬
staat wäre Genua durch Dankbarkeit und Interessen dauernd an Großbritannien
gefesselt; die Häfen von Genua, Spezia und Vado stünden ihm offen, und
gewissermaßen eine englische Stadt geworden, würde Genua in Friedenszeiten
der Mittelpunkt des britischen Handels im Mittelmeer, in Kriegszeiten die sichere
Zuflucht der britischen Fahrzeuge sein.

Mündlich entwickelte Pareto dem Lord Castlereagh die Gründe der Ab¬
neigung gegen die Annexion noch weiter in folgender Weise. DaS einzige
Mittel der Subsistenz für Genua sei der wohlfeile Handel; um diesen zu er¬
halten, sei eS bei der Concurrenz der Nachbarn nothwendig, ihn nicht mit
schweren Auflagen zu belasten, was allein bei einer freien und unentgeltlichen
Regierung möglich sei; während bei der Vereinigung mit Piemont die Kosten
eines HofS und eines Militärstaats mehr Geld erforderten und damit Ver¬
minderung, wo nicht Vernichtung des Handels nach sich zögen. Ferner seien
die einzig maritimen Interessen Genuas gänzlich verschieden von denen eines
ackerbautreibenden Landes, dem man bei jeder Gelegenheit aufgeopfert würde,
zu schweigen von den endlosen Streitigkeiten und Antipathien beider Völker.
Castlereaghs stehende Antwort war, daß die Entscheidung nicht von England
allein, sondern von allen Verbündeten abhänge, und daß diese auf die Grün¬
dung starker Staaten, insbesondere auf die Schaffung eines starken Alpen¬
wächters gegen Frankreich bedacht sein müssen. Als Pareto. dieselben Gründe
in einer Unterredung mit dem Fürsten Metternich entwickelte, sagte dieser: ich
weiß, daß man in Genua Vorurtheile in Betreff Piemonts hat. Nicht Vor
urtheile, entgegnete Pareto, und wenn es Vorurtheile sind, so sind es solche,
die sich unmöglich ausrotten lassen, da sie von zwei Jahrhunderten ununter¬
brochenen Streits zwischen beiden Völkern genährt sind. Mag sein, fuhr
Metternich fort, aber man muß streben sie zu überwinden. . . . Man kann
nicht immer einzig die Linie seiner eigenen Interessen befolgen, man muß zu¬
weilen in gewisse Anordnungen zum allgemeinen Besten willigen. Den Vor¬
schlag, den genuesischen Staat unter die specielle Protection Oestreichs zu stellen,
hatte Metternich damit abgelehnt, daß die geographische Lage dies nicht erlaube.
Kaiser Franz hatte dem Gesandten, der an die alten freundschaftlichen Be¬
ziehungen Genuas zum Kaiserhaus erinnerte, lakonisch geantwortet: andere
Zeiten, andere Umstände; Sie sehen, daß Republiken nicht mehr in der Mode sind.

Mehr als die Zusage,- daß der Stadt Genua besondere Handelsprivilegien
erhalten bleiben sollten, war von den Verbündeten nicht zu erlangen. Ein ge¬
heimer Artikel im pariser Vertrag vom 30. Mai entschied über das Loos der
alten Republik. Zwei Tage zuvor hatte Pareto seinen Auftraggebern berichtet,
bei allen verbündeten Herrschern und ihren ersten Ministern habe er den ent¬
schiedensten Widerstand gegen die Aufrichtung republikanischer Staaten in der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0020" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285608"/>
          <p xml:id="ID_38" prev="#ID_37"> Wiederherstellung der alten Republik brächte. Ausschließlich See- und Handels¬<lb/>
staat wäre Genua durch Dankbarkeit und Interessen dauernd an Großbritannien<lb/>
gefesselt; die Häfen von Genua, Spezia und Vado stünden ihm offen, und<lb/>
gewissermaßen eine englische Stadt geworden, würde Genua in Friedenszeiten<lb/>
der Mittelpunkt des britischen Handels im Mittelmeer, in Kriegszeiten die sichere<lb/>
Zuflucht der britischen Fahrzeuge sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_39"> Mündlich entwickelte Pareto dem Lord Castlereagh die Gründe der Ab¬<lb/>
neigung gegen die Annexion noch weiter in folgender Weise. DaS einzige<lb/>
Mittel der Subsistenz für Genua sei der wohlfeile Handel; um diesen zu er¬<lb/>
halten, sei eS bei der Concurrenz der Nachbarn nothwendig, ihn nicht mit<lb/>
schweren Auflagen zu belasten, was allein bei einer freien und unentgeltlichen<lb/>
Regierung möglich sei; während bei der Vereinigung mit Piemont die Kosten<lb/>
eines HofS und eines Militärstaats mehr Geld erforderten und damit Ver¬<lb/>
minderung, wo nicht Vernichtung des Handels nach sich zögen. Ferner seien<lb/>
die einzig maritimen Interessen Genuas gänzlich verschieden von denen eines<lb/>
ackerbautreibenden Landes, dem man bei jeder Gelegenheit aufgeopfert würde,<lb/>
zu schweigen von den endlosen Streitigkeiten und Antipathien beider Völker.<lb/>
Castlereaghs stehende Antwort war, daß die Entscheidung nicht von England<lb/>
allein, sondern von allen Verbündeten abhänge, und daß diese auf die Grün¬<lb/>
dung starker Staaten, insbesondere auf die Schaffung eines starken Alpen¬<lb/>
wächters gegen Frankreich bedacht sein müssen. Als Pareto. dieselben Gründe<lb/>
in einer Unterredung mit dem Fürsten Metternich entwickelte, sagte dieser: ich<lb/>
weiß, daß man in Genua Vorurtheile in Betreff Piemonts hat. Nicht Vor<lb/>
urtheile, entgegnete Pareto, und wenn es Vorurtheile sind, so sind es solche,<lb/>
die sich unmöglich ausrotten lassen, da sie von zwei Jahrhunderten ununter¬<lb/>
brochenen Streits zwischen beiden Völkern genährt sind. Mag sein, fuhr<lb/>
Metternich fort, aber man muß streben sie zu überwinden. . . . Man kann<lb/>
nicht immer einzig die Linie seiner eigenen Interessen befolgen, man muß zu¬<lb/>
weilen in gewisse Anordnungen zum allgemeinen Besten willigen. Den Vor¬<lb/>
schlag, den genuesischen Staat unter die specielle Protection Oestreichs zu stellen,<lb/>
hatte Metternich damit abgelehnt, daß die geographische Lage dies nicht erlaube.<lb/>
Kaiser Franz hatte dem Gesandten, der an die alten freundschaftlichen Be¬<lb/>
ziehungen Genuas zum Kaiserhaus erinnerte, lakonisch geantwortet: andere<lb/>
Zeiten, andere Umstände; Sie sehen, daß Republiken nicht mehr in der Mode sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_40" next="#ID_41"> Mehr als die Zusage,- daß der Stadt Genua besondere Handelsprivilegien<lb/>
erhalten bleiben sollten, war von den Verbündeten nicht zu erlangen. Ein ge¬<lb/>
heimer Artikel im pariser Vertrag vom 30. Mai entschied über das Loos der<lb/>
alten Republik. Zwei Tage zuvor hatte Pareto seinen Auftraggebern berichtet,<lb/>
bei allen verbündeten Herrschern und ihren ersten Ministern habe er den ent¬<lb/>
schiedensten Widerstand gegen die Aufrichtung republikanischer Staaten in der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0020] Wiederherstellung der alten Republik brächte. Ausschließlich See- und Handels¬ staat wäre Genua durch Dankbarkeit und Interessen dauernd an Großbritannien gefesselt; die Häfen von Genua, Spezia und Vado stünden ihm offen, und gewissermaßen eine englische Stadt geworden, würde Genua in Friedenszeiten der Mittelpunkt des britischen Handels im Mittelmeer, in Kriegszeiten die sichere Zuflucht der britischen Fahrzeuge sein. Mündlich entwickelte Pareto dem Lord Castlereagh die Gründe der Ab¬ neigung gegen die Annexion noch weiter in folgender Weise. DaS einzige Mittel der Subsistenz für Genua sei der wohlfeile Handel; um diesen zu er¬ halten, sei eS bei der Concurrenz der Nachbarn nothwendig, ihn nicht mit schweren Auflagen zu belasten, was allein bei einer freien und unentgeltlichen Regierung möglich sei; während bei der Vereinigung mit Piemont die Kosten eines HofS und eines Militärstaats mehr Geld erforderten und damit Ver¬ minderung, wo nicht Vernichtung des Handels nach sich zögen. Ferner seien die einzig maritimen Interessen Genuas gänzlich verschieden von denen eines ackerbautreibenden Landes, dem man bei jeder Gelegenheit aufgeopfert würde, zu schweigen von den endlosen Streitigkeiten und Antipathien beider Völker. Castlereaghs stehende Antwort war, daß die Entscheidung nicht von England allein, sondern von allen Verbündeten abhänge, und daß diese auf die Grün¬ dung starker Staaten, insbesondere auf die Schaffung eines starken Alpen¬ wächters gegen Frankreich bedacht sein müssen. Als Pareto. dieselben Gründe in einer Unterredung mit dem Fürsten Metternich entwickelte, sagte dieser: ich weiß, daß man in Genua Vorurtheile in Betreff Piemonts hat. Nicht Vor urtheile, entgegnete Pareto, und wenn es Vorurtheile sind, so sind es solche, die sich unmöglich ausrotten lassen, da sie von zwei Jahrhunderten ununter¬ brochenen Streits zwischen beiden Völkern genährt sind. Mag sein, fuhr Metternich fort, aber man muß streben sie zu überwinden. . . . Man kann nicht immer einzig die Linie seiner eigenen Interessen befolgen, man muß zu¬ weilen in gewisse Anordnungen zum allgemeinen Besten willigen. Den Vor¬ schlag, den genuesischen Staat unter die specielle Protection Oestreichs zu stellen, hatte Metternich damit abgelehnt, daß die geographische Lage dies nicht erlaube. Kaiser Franz hatte dem Gesandten, der an die alten freundschaftlichen Be¬ ziehungen Genuas zum Kaiserhaus erinnerte, lakonisch geantwortet: andere Zeiten, andere Umstände; Sie sehen, daß Republiken nicht mehr in der Mode sind. Mehr als die Zusage,- daß der Stadt Genua besondere Handelsprivilegien erhalten bleiben sollten, war von den Verbündeten nicht zu erlangen. Ein ge¬ heimer Artikel im pariser Vertrag vom 30. Mai entschied über das Loos der alten Republik. Zwei Tage zuvor hatte Pareto seinen Auftraggebern berichtet, bei allen verbündeten Herrschern und ihren ersten Ministern habe er den ent¬ schiedensten Widerstand gegen die Aufrichtung republikanischer Staaten in der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/20
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/20>, abgerufen am 25.08.2024.