Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.Gefechten, gefochten von unseren eigenen Truppen. Sie schwirrten durch die Bald zeigte der Krieg uns ein ander Bild: feindliche Truppen durchzogen Das ist ja unzweifelhaft: der Kampf auf den Schlachtfeldern vertilgt die Gefechten, gefochten von unseren eigenen Truppen. Sie schwirrten durch die Bald zeigte der Krieg uns ein ander Bild: feindliche Truppen durchzogen Das ist ja unzweifelhaft: der Kampf auf den Schlachtfeldern vertilgt die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0188" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285776"/> <p xml:id="ID_562" prev="#ID_561"> Gefechten, gefochten von unseren eigenen Truppen. Sie schwirrten durch die<lb/> erschreckte Stadt, sie wuchsen von Haus zu Haus. Immer unförmiger gestaltete<lb/> sie die Sorge, der Mangel jeder zuverlässigen Kunde. Alle heitere Rede ver¬<lb/> stummte, und spät Abends standen dichte Schaaren vor dem Postgebäude, der<lb/> Post entgegenharrend. Schwerfällig rollte sie heran, ein Reisender stieg aus;<lb/> man bestürmt ihn mit Fragen, athemlos lauscht man. Es war so wenig, was<lb/> er wußte, und das Wenige so traurig. Von den Offizieren der und jener ge¬<lb/> fallen oder verwundet, wer aber von der Mannschaft? Auf so viel Lippen<lb/> schmerzliche Fragen nach Söhnen. Brüdern, Freunden. Und die nächste Ant¬<lb/> wort war nicht vor der nächsten Post, nicht vor vierundzwanzig Stunden zu<lb/> erwarten; und die erbarmungslose Zeit schlich so träg dahin. Zum Glück er¬<lb/> wiesen sich die Ereignisse selbst weit milder als die ersten Gerüchte; aber in<lb/> der Sorge jener Tage kräftigte sich die Gesinnung, der Ernst des Krieges zog<lb/> in die Gemüther, und die Barmherzigkeit wurde lebendig, zupfte Charpie und<lb/> opferte ihr Scherflein.</p><lb/> <p xml:id="ID_563"> Bald zeigte der Krieg uns ein ander Bild: feindliche Truppen durchzogen<lb/> die Stadt. In früheren Jahrhunderten wären sie hereingestürmt, hätten ge¬<lb/> brandschatzt und verheert; zu schaden, auch ohne eigenen Nutzen, wäre natürlich<lb/> erschienen. Jetzt kamen sie in guter Ordnung, wurden freundlich aufgenommen<lb/> und gehörig verpflegt, und als sie abmarschirten, um anderen Platz zu machen,<lb/> war trotz der beträchtlichen Requisitionen fast schon ein anhängliches Verhältniß<lb/> zwischen Wirthen und Gästen entstanden. So ists geziemend zwischen Deut¬<lb/> schen, und das Unglück des Bruderkriegs ward einigermaßen dadurch gemildert.<lb/> Hatte es einmal sein müssen, so mochte man auf dem Schlachtfeld sich gegen¬<lb/> überstehen, das Elend der Parteiung aber nicht nutzlos erweitern. Wie schwer<lb/> es auch halten wird, bei der lebenden Generation die Kluft dieser deutschen<lb/> Kämpfe zu überbrücken — der beste Mörtel dazu, die Achtung vor den Ein¬<lb/> zelnen und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, ist noch unverloren.</p><lb/> <p xml:id="ID_564" next="#ID_565"> Das ist ja unzweifelhaft: der Kampf auf den Schlachtfeldern vertilgt die<lb/> Menschen grimmiger und massenhafter als früher. Ungeheure Massen werden<lb/> gegenübergestellt, und unablässig sinnt der menschliche Geist, immer mörderischere<lb/> Waffen, immer verheerendere Geschosse zu erfinden; ein einziger Schlachttag<lb/> streckt heut mehr Opfer darnieder als ehemals ein ganzer Feldzug. Aber alles,<lb/> was neben dem Kriege hergeht und mit ihm zusammenhängt, ist doch mensch¬<lb/> licher geworden. Entwickelter ist die Heilkunst, fürsorglicher die Pflege, das<lb/> thätige Mitleid fragt nicht, ob aus Verbündeten oder gegnerischen Lager. Und<lb/> überall bekundet sich gewissenhafte Achtung vor dem Eigenthum; man fordert<lb/> meist nur das Nothwendige und nicht mehr. Die weise Schonung für Handel<lb/> und Gewerbe sucht die Wunden zu heilen, die eben der Krieg schlug, ehe er<lb/> noch eine Stunde Wegs weiter gezogen. Der Einzelne gilt mehr als sonst, und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0188]
Gefechten, gefochten von unseren eigenen Truppen. Sie schwirrten durch die
erschreckte Stadt, sie wuchsen von Haus zu Haus. Immer unförmiger gestaltete
sie die Sorge, der Mangel jeder zuverlässigen Kunde. Alle heitere Rede ver¬
stummte, und spät Abends standen dichte Schaaren vor dem Postgebäude, der
Post entgegenharrend. Schwerfällig rollte sie heran, ein Reisender stieg aus;
man bestürmt ihn mit Fragen, athemlos lauscht man. Es war so wenig, was
er wußte, und das Wenige so traurig. Von den Offizieren der und jener ge¬
fallen oder verwundet, wer aber von der Mannschaft? Auf so viel Lippen
schmerzliche Fragen nach Söhnen. Brüdern, Freunden. Und die nächste Ant¬
wort war nicht vor der nächsten Post, nicht vor vierundzwanzig Stunden zu
erwarten; und die erbarmungslose Zeit schlich so träg dahin. Zum Glück er¬
wiesen sich die Ereignisse selbst weit milder als die ersten Gerüchte; aber in
der Sorge jener Tage kräftigte sich die Gesinnung, der Ernst des Krieges zog
in die Gemüther, und die Barmherzigkeit wurde lebendig, zupfte Charpie und
opferte ihr Scherflein.
Bald zeigte der Krieg uns ein ander Bild: feindliche Truppen durchzogen
die Stadt. In früheren Jahrhunderten wären sie hereingestürmt, hätten ge¬
brandschatzt und verheert; zu schaden, auch ohne eigenen Nutzen, wäre natürlich
erschienen. Jetzt kamen sie in guter Ordnung, wurden freundlich aufgenommen
und gehörig verpflegt, und als sie abmarschirten, um anderen Platz zu machen,
war trotz der beträchtlichen Requisitionen fast schon ein anhängliches Verhältniß
zwischen Wirthen und Gästen entstanden. So ists geziemend zwischen Deut¬
schen, und das Unglück des Bruderkriegs ward einigermaßen dadurch gemildert.
Hatte es einmal sein müssen, so mochte man auf dem Schlachtfeld sich gegen¬
überstehen, das Elend der Parteiung aber nicht nutzlos erweitern. Wie schwer
es auch halten wird, bei der lebenden Generation die Kluft dieser deutschen
Kämpfe zu überbrücken — der beste Mörtel dazu, die Achtung vor den Ein¬
zelnen und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, ist noch unverloren.
Das ist ja unzweifelhaft: der Kampf auf den Schlachtfeldern vertilgt die
Menschen grimmiger und massenhafter als früher. Ungeheure Massen werden
gegenübergestellt, und unablässig sinnt der menschliche Geist, immer mörderischere
Waffen, immer verheerendere Geschosse zu erfinden; ein einziger Schlachttag
streckt heut mehr Opfer darnieder als ehemals ein ganzer Feldzug. Aber alles,
was neben dem Kriege hergeht und mit ihm zusammenhängt, ist doch mensch¬
licher geworden. Entwickelter ist die Heilkunst, fürsorglicher die Pflege, das
thätige Mitleid fragt nicht, ob aus Verbündeten oder gegnerischen Lager. Und
überall bekundet sich gewissenhafte Achtung vor dem Eigenthum; man fordert
meist nur das Nothwendige und nicht mehr. Die weise Schonung für Handel
und Gewerbe sucht die Wunden zu heilen, die eben der Krieg schlug, ehe er
noch eine Stunde Wegs weiter gezogen. Der Einzelne gilt mehr als sonst, und
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