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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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die Länder stehen vorläufig unter der Gewalt Preußens. In dem Frieden,
welchen, jetzt Preußen unter Frankreichs Vermittelung abzuschließen im Begriff
ist, wird Oestreich nicht umhin können, eine Restauration der ausgezogenen
Herrscher zu verlangen. Preußen wird dieselbe an die Bedingung knüpfen, daß
sie sich dem oben specisicirten Bedürfniß des neuen Bundesstaates fügen. Man
darf annehmen, daß Frankreich diese Minimalforderung Preußens unterstützen
wird, und eS ist nicht anzunehmen, daß Oestreich, welches für sich selbst eine
zweite Entscheidungsschlacht nicht begehrt, dieselbe wegen der Dynastien beginnen
wird, deren politisches Schicksal fortan doch von Oestreich geschieden ist. Wird in
einem Frieden mit Oestreich dieser Punkt durch Zugeständnisse Preußens erledigt,
so tritt an die Könige von Sachsen und Hannover und an den Großherzog
Von Hessen die Frage, ob sie unter diesen Beschränkungen die Regierung der
von ihnen verlassenen Länder wieder einnehmen wollen. Sie baben den Krieg
in der That begonnen, weil sie den Bundesstaat mit preußischer Militärhoheit
einer Abdication für gleichbedeutend erachteten. Es ist zweifelhaft, ob ihre An¬
sichten, wenigstens die der jetzt regierenden Herrn, sich nach den Schicksalen des
Kriegs so weit geändert haben, daß sie diese Demüthigung auf ihr Leben nehmen.
Im Fall sie zögern, würde Preußen die factisch vccupirten Länder übernehmen,
dieselben bis auf Weiteres mit allen Hoheitsrechten Mriz xosMentis behalten,
die Wahlen zum Parlament ausschreiben, Steuern erheben, das Herr organisiren
u. s. w., das Uebrige dem Zwang der Thatsachen überlassen.

So ungefähr erscheint der Plan der preußischen Regierung, wenn man die
einzelnen officiösen Aeußerungen zusammenhält. Dieser Plan erleidet Modi-
ficationen durch veränderte politische und militärische Sachlage, den Gang der
Verhandlungen, persönliche Einwirkungen. Es ist möglich, daß Preußen nicht
nur Ostfriesland und den Süden Hannovers, sondern das gesammte Landgebiet
zu erwerben durchsetzt; das erlauchte Haus von Hessen-Darmstadt, dessen Inter¬
essen sowohl durch Nußland als England Fürsprache finden werden, mag gegen
größere Gebietsabtretungen, welche ihm im Norden zugemuthet werden, im Süden
des Main eine Entschädigung erhalten. -- Ob die Sache Meiningens durch
einen Wechsel der regierenden Persönlichkeiten, oder durch Zuweisung des Ge¬
bietes an andere Linien der Ernestiner erledigt wird, ist für die deutschen In¬
teressen ohne Wichtigkeit; von allen Gegnern Preußens wird Neuß ältere Linie
in der glücklichsten Situation sein, es ist durch seine Harmlosigkeit geschützt.

Weit anders faßte Graf Bismarck in seinem Reformplan bis zum 14. Juni
die Stellung der Südstaaten zu dem neuen Bunde. Sein Plan war, ihnen
größere Selbständigkeit zu lassen, dem größten derselben, Bayern, eine mili¬
tärische Suprematie über die Nachbarn einzuräumen. Man durfte hoffen, da¬
durch nicht nur Bayerns guten Willen zu gewinnen, auch Frankreich mit der
neuen Ordnung zu versöhnen, welche wenigstens einigermaßen den französischen


die Länder stehen vorläufig unter der Gewalt Preußens. In dem Frieden,
welchen, jetzt Preußen unter Frankreichs Vermittelung abzuschließen im Begriff
ist, wird Oestreich nicht umhin können, eine Restauration der ausgezogenen
Herrscher zu verlangen. Preußen wird dieselbe an die Bedingung knüpfen, daß
sie sich dem oben specisicirten Bedürfniß des neuen Bundesstaates fügen. Man
darf annehmen, daß Frankreich diese Minimalforderung Preußens unterstützen
wird, und eS ist nicht anzunehmen, daß Oestreich, welches für sich selbst eine
zweite Entscheidungsschlacht nicht begehrt, dieselbe wegen der Dynastien beginnen
wird, deren politisches Schicksal fortan doch von Oestreich geschieden ist. Wird in
einem Frieden mit Oestreich dieser Punkt durch Zugeständnisse Preußens erledigt,
so tritt an die Könige von Sachsen und Hannover und an den Großherzog
Von Hessen die Frage, ob sie unter diesen Beschränkungen die Regierung der
von ihnen verlassenen Länder wieder einnehmen wollen. Sie baben den Krieg
in der That begonnen, weil sie den Bundesstaat mit preußischer Militärhoheit
einer Abdication für gleichbedeutend erachteten. Es ist zweifelhaft, ob ihre An¬
sichten, wenigstens die der jetzt regierenden Herrn, sich nach den Schicksalen des
Kriegs so weit geändert haben, daß sie diese Demüthigung auf ihr Leben nehmen.
Im Fall sie zögern, würde Preußen die factisch vccupirten Länder übernehmen,
dieselben bis auf Weiteres mit allen Hoheitsrechten Mriz xosMentis behalten,
die Wahlen zum Parlament ausschreiben, Steuern erheben, das Herr organisiren
u. s. w., das Uebrige dem Zwang der Thatsachen überlassen.

So ungefähr erscheint der Plan der preußischen Regierung, wenn man die
einzelnen officiösen Aeußerungen zusammenhält. Dieser Plan erleidet Modi-
ficationen durch veränderte politische und militärische Sachlage, den Gang der
Verhandlungen, persönliche Einwirkungen. Es ist möglich, daß Preußen nicht
nur Ostfriesland und den Süden Hannovers, sondern das gesammte Landgebiet
zu erwerben durchsetzt; das erlauchte Haus von Hessen-Darmstadt, dessen Inter¬
essen sowohl durch Nußland als England Fürsprache finden werden, mag gegen
größere Gebietsabtretungen, welche ihm im Norden zugemuthet werden, im Süden
des Main eine Entschädigung erhalten. — Ob die Sache Meiningens durch
einen Wechsel der regierenden Persönlichkeiten, oder durch Zuweisung des Ge¬
bietes an andere Linien der Ernestiner erledigt wird, ist für die deutschen In¬
teressen ohne Wichtigkeit; von allen Gegnern Preußens wird Neuß ältere Linie
in der glücklichsten Situation sein, es ist durch seine Harmlosigkeit geschützt.

Weit anders faßte Graf Bismarck in seinem Reformplan bis zum 14. Juni
die Stellung der Südstaaten zu dem neuen Bunde. Sein Plan war, ihnen
größere Selbständigkeit zu lassen, dem größten derselben, Bayern, eine mili¬
tärische Suprematie über die Nachbarn einzuräumen. Man durfte hoffen, da¬
durch nicht nur Bayerns guten Willen zu gewinnen, auch Frankreich mit der
neuen Ordnung zu versöhnen, welche wenigstens einigermaßen den französischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/185>, abgerufen am 22.07.2024.