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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Frage: verdient ein Volk frei zu sein, das andern Völkern die Freiheit mi߬
gönnt?

Daß zu Billafranca die Lombardei- an Frankreich abgetreten wurde, hatte
einen Sinn, denn Frankreich war Mitkämpfer und Sieger. Daß Venetien den
Italienern vorenthalten wurde, konnte vom Standpunkt des alten Rechts be¬
griffen werden, und wenn man mit dem Entschluß nicht sympathisirte, durfte
man ihn doch nicht mißachten. Daß man jetzt Frankreichs Einmischung in die
deutschen Händel begehrt, selbst das soll einem so innerlich undeutschen Staat
wie Oestreich nicht allzu streng angerechnet werden. Daß aber die wiener Presse
-- und voran stehen die liberalen Blätter -- höhnisch sich freut, wie hohe
Compensationen Italien an Frankreich werde bezahlen müssen, und laut froh¬
lockt, daß der ehemals östreichische Vasall nun doch "französischer Vasall" werde,
mindestens also nicht frei geworden sei, -- das ist so namenlos unwürdig, daß
diese wiener Liberalen niemals frei zu werden verdienen und , wer ihnen zu¬
stimmt in Süddeutschland, gleichfalls niemals; schmähte er sonst auch noch so
tapfer auf das sreiheitsmörderischc Regiment Bismarcks.

Das Einzige, was solcher Nichtswürdigkeit gleichkommt, ist die unsagbare
Thorheit: aus Theilnahme für die Italiener wollen wir hoffen, daß die Oest¬
reicher nie die Probe darauf machen mögen, wieviel gefahrdrohender ihnen, als
ein italienisches Reich bis zur Adria. französische Präponderanz in Italien sein
würde. Aber der Haß verblendet.

Was uns betrifft, wir haben dem Schachzug der Hofburg ohne Besorgniß
zugesehen. Hätte die östreichische Allianz den Interessen Frankreichs entsprochen,
so wäre sie schon früher zu haben gewesen; die verlorenen Schlachten und die
Auflösung seiner Nordarmee machen Oestreich heut nicht zu einem erwünschteren
Miirten als vor einigen Wochen; die Cession des italienischen (nicht dauernd
einzuheimsenden) Vcnetiens endlich kann kein Grund für Napoleon sein, seine
gesammte Politik zu ändern. Vermuthlich wird also der in Wien gewünschte
Sinncswechsel des französischen Kaisers nicht eintreten.

Der Hauptgrund aber, weshalb wir beruhigt sind, ist der: Preußen hat
lange Jahre hindurch jeder activen Politik sich enthalten, hat theils unselbständig
im Schlepptau anderer Großmächte sich bewegt, theils in passiver Neutralität
allen Conflicten sich ferngehalten. Das ist vorbei. Graf Bismarck hat Preußen
vorerst in die diplomatische Action zurückgeführt, und die preußischen Truppen
haben jetzt dieser diplomatischen Initiative kraftvollen Nachdruck gegeben. Hinfort
ist die Lage eine andere. Preußen ist wieder ein Factor, mit dem jede euro¬
päische Großmacht rechnen muß, und keine europäische Frage kann aufgeworfen
werden, ohne daß auch Preußen gefragt würde; seine Allianz ist werthvoll, seine
Gegnerschaft gefährlich geworden. Nun aber liegen glücklicherweise die Inter¬
essen der verschiedenen Großmächte in den verschiedenen europäischen Streit-


Frage: verdient ein Volk frei zu sein, das andern Völkern die Freiheit mi߬
gönnt?

Daß zu Billafranca die Lombardei- an Frankreich abgetreten wurde, hatte
einen Sinn, denn Frankreich war Mitkämpfer und Sieger. Daß Venetien den
Italienern vorenthalten wurde, konnte vom Standpunkt des alten Rechts be¬
griffen werden, und wenn man mit dem Entschluß nicht sympathisirte, durfte
man ihn doch nicht mißachten. Daß man jetzt Frankreichs Einmischung in die
deutschen Händel begehrt, selbst das soll einem so innerlich undeutschen Staat
wie Oestreich nicht allzu streng angerechnet werden. Daß aber die wiener Presse
— und voran stehen die liberalen Blätter — höhnisch sich freut, wie hohe
Compensationen Italien an Frankreich werde bezahlen müssen, und laut froh¬
lockt, daß der ehemals östreichische Vasall nun doch „französischer Vasall" werde,
mindestens also nicht frei geworden sei, — das ist so namenlos unwürdig, daß
diese wiener Liberalen niemals frei zu werden verdienen und , wer ihnen zu¬
stimmt in Süddeutschland, gleichfalls niemals; schmähte er sonst auch noch so
tapfer auf das sreiheitsmörderischc Regiment Bismarcks.

Das Einzige, was solcher Nichtswürdigkeit gleichkommt, ist die unsagbare
Thorheit: aus Theilnahme für die Italiener wollen wir hoffen, daß die Oest¬
reicher nie die Probe darauf machen mögen, wieviel gefahrdrohender ihnen, als
ein italienisches Reich bis zur Adria. französische Präponderanz in Italien sein
würde. Aber der Haß verblendet.

Was uns betrifft, wir haben dem Schachzug der Hofburg ohne Besorgniß
zugesehen. Hätte die östreichische Allianz den Interessen Frankreichs entsprochen,
so wäre sie schon früher zu haben gewesen; die verlorenen Schlachten und die
Auflösung seiner Nordarmee machen Oestreich heut nicht zu einem erwünschteren
Miirten als vor einigen Wochen; die Cession des italienischen (nicht dauernd
einzuheimsenden) Vcnetiens endlich kann kein Grund für Napoleon sein, seine
gesammte Politik zu ändern. Vermuthlich wird also der in Wien gewünschte
Sinncswechsel des französischen Kaisers nicht eintreten.

Der Hauptgrund aber, weshalb wir beruhigt sind, ist der: Preußen hat
lange Jahre hindurch jeder activen Politik sich enthalten, hat theils unselbständig
im Schlepptau anderer Großmächte sich bewegt, theils in passiver Neutralität
allen Conflicten sich ferngehalten. Das ist vorbei. Graf Bismarck hat Preußen
vorerst in die diplomatische Action zurückgeführt, und die preußischen Truppen
haben jetzt dieser diplomatischen Initiative kraftvollen Nachdruck gegeben. Hinfort
ist die Lage eine andere. Preußen ist wieder ein Factor, mit dem jede euro¬
päische Großmacht rechnen muß, und keine europäische Frage kann aufgeworfen
werden, ohne daß auch Preußen gefragt würde; seine Allianz ist werthvoll, seine
Gegnerschaft gefährlich geworden. Nun aber liegen glücklicherweise die Inter¬
essen der verschiedenen Großmächte in den verschiedenen europäischen Streit-


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[0174] Frage: verdient ein Volk frei zu sein, das andern Völkern die Freiheit mi߬ gönnt? Daß zu Billafranca die Lombardei- an Frankreich abgetreten wurde, hatte einen Sinn, denn Frankreich war Mitkämpfer und Sieger. Daß Venetien den Italienern vorenthalten wurde, konnte vom Standpunkt des alten Rechts be¬ griffen werden, und wenn man mit dem Entschluß nicht sympathisirte, durfte man ihn doch nicht mißachten. Daß man jetzt Frankreichs Einmischung in die deutschen Händel begehrt, selbst das soll einem so innerlich undeutschen Staat wie Oestreich nicht allzu streng angerechnet werden. Daß aber die wiener Presse — und voran stehen die liberalen Blätter — höhnisch sich freut, wie hohe Compensationen Italien an Frankreich werde bezahlen müssen, und laut froh¬ lockt, daß der ehemals östreichische Vasall nun doch „französischer Vasall" werde, mindestens also nicht frei geworden sei, — das ist so namenlos unwürdig, daß diese wiener Liberalen niemals frei zu werden verdienen und , wer ihnen zu¬ stimmt in Süddeutschland, gleichfalls niemals; schmähte er sonst auch noch so tapfer auf das sreiheitsmörderischc Regiment Bismarcks. Das Einzige, was solcher Nichtswürdigkeit gleichkommt, ist die unsagbare Thorheit: aus Theilnahme für die Italiener wollen wir hoffen, daß die Oest¬ reicher nie die Probe darauf machen mögen, wieviel gefahrdrohender ihnen, als ein italienisches Reich bis zur Adria. französische Präponderanz in Italien sein würde. Aber der Haß verblendet. Was uns betrifft, wir haben dem Schachzug der Hofburg ohne Besorgniß zugesehen. Hätte die östreichische Allianz den Interessen Frankreichs entsprochen, so wäre sie schon früher zu haben gewesen; die verlorenen Schlachten und die Auflösung seiner Nordarmee machen Oestreich heut nicht zu einem erwünschteren Miirten als vor einigen Wochen; die Cession des italienischen (nicht dauernd einzuheimsenden) Vcnetiens endlich kann kein Grund für Napoleon sein, seine gesammte Politik zu ändern. Vermuthlich wird also der in Wien gewünschte Sinncswechsel des französischen Kaisers nicht eintreten. Der Hauptgrund aber, weshalb wir beruhigt sind, ist der: Preußen hat lange Jahre hindurch jeder activen Politik sich enthalten, hat theils unselbständig im Schlepptau anderer Großmächte sich bewegt, theils in passiver Neutralität allen Conflicten sich ferngehalten. Das ist vorbei. Graf Bismarck hat Preußen vorerst in die diplomatische Action zurückgeführt, und die preußischen Truppen haben jetzt dieser diplomatischen Initiative kraftvollen Nachdruck gegeben. Hinfort ist die Lage eine andere. Preußen ist wieder ein Factor, mit dem jede euro¬ päische Großmacht rechnen muß, und keine europäische Frage kann aufgeworfen werden, ohne daß auch Preußen gefragt würde; seine Allianz ist werthvoll, seine Gegnerschaft gefährlich geworden. Nun aber liegen glücklicherweise die Inter¬ essen der verschiedenen Großmächte in den verschiedenen europäischen Streit-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/174>, abgerufen am 22.07.2024.