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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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man sich, daß diese flüchtigen Besuche Folge eines Kriegszustandes seien, für
den die Schuld zum Theil uns selber traf. Nur mit den ausgehobenen Hohen-
zollern, die seiner Zeit durch das Land marschirten, machte man eine Ausnahme.
Wenn auch nicht feurigen Wein und Cigarren, so gab man ihnen doch feurige
Verwünschungen auf Bismarck mit auf den Weg. und es bedürfte zuweilen des
ganzen Tacts der begleitenden preußischen Offiziere, um sich durch die Zudring¬
lichkeiten einer aufgeregten Menge durchzuschlagen.

Weit vom Schusse ließ sich die heroische Phrase: den Friedensbrecher nieder"
zuwerfen, gemüthlich tausendfach wiederholen und variiren. Selbst die Regie¬
rung war vielleicht, die Kammer gewiß bei ihren kriegerischen Entschlüssen von
dem geheimen Gedanken beeinflußt, daß der Krieg, wenn er nicht durch eine
berliner Revolution verhindert würde, wie man in hohen Kreisen hoffte, weit
weg, dahinten in Schlesien seine Schrecknisse entfalten werde. In der That
wies die Lässigkeit, mit welcher die Rüstungen hier und in den andern bundes¬
treuen Staaten betrieben wurden, während man gleichzeitig vor Begierde zu
brennen schien, am Krieg theilzunehmen, darauf hin, daß man entfernt nicht
daran dachte, schon im ersten Theil des Dramas mit in die Action gezogen zu
werden. Ohne Zweifel war die Absicht die, nachdem Oestreich die ersten Schläge
in Böhmen-Schlesien geführt -- die ja nicht anders als vernichtend für Preußen
ausfallen konnten, vollends viribus unitis über den hingestreckten Friedens¬
brecher herzufallen.

Die unerwartet raschen Stöße, welche Preußen auf Sachsen und Hannover
führte, und noch mehr die Gefahr, welche gleichzeitig der Bundesstadt von
Wetzlar her zu drohen schien, durchkreuzten diesen gemüthlichen Feldzugsplan.
Mit einem Mal erschien die Gefahr nahe gerückt. Die Thatkraft, welche Preußen
anstatt der so oft verhöhnten Entschlußlosigkeit entwickelte, machte >n lebhaf¬
testen Eindruck. Die Bewegung wuchs, als am Abend des 16. Juni Tele¬
gramme über Telegramme aus Darmstadt eintrafen, die um schleunigsten Succurs
für die bedrohte Bundesstadt baten. Bald erfuhr man, daß noch in der Nacht
eine erste Abtheilung Würtenberger nach Frankfurt entsendet werde. Zwar
nicht "zusammengeraffte Milizen", wie die norddeutsche Allgemeine freundlich
bemerkte, aber allerdings in wenig streitfähiger Verfassung zogen diese ersten
Bundestruppen ab; kaum das Nothwendigste war ihnen mitgegeben, von einem
Verpflegungs- oder Sanitätstrain noch keine Spur. Es war bald kein Ge¬
heimniß in der Stadt, in welchem Zustand die Truppen ausgezogen waren.
Der Gedanke durchzuckte die Bevölkerung: wie, wenn die Truppen in solcher
Verfassung ins Gefecht kämen? Und kaum war der Gedanke entstanden, so
wurde ein Gerücht daraus. Man wollte wissen, gleich bei der Ankunft seien
sie ins Treffen gekommen. Frankfurt, hieß es, sei bereits von den Preußen
besetzt. "In drei Tagen stehen sie in Stuttgart", rief einer dem andern auf


man sich, daß diese flüchtigen Besuche Folge eines Kriegszustandes seien, für
den die Schuld zum Theil uns selber traf. Nur mit den ausgehobenen Hohen-
zollern, die seiner Zeit durch das Land marschirten, machte man eine Ausnahme.
Wenn auch nicht feurigen Wein und Cigarren, so gab man ihnen doch feurige
Verwünschungen auf Bismarck mit auf den Weg. und es bedürfte zuweilen des
ganzen Tacts der begleitenden preußischen Offiziere, um sich durch die Zudring¬
lichkeiten einer aufgeregten Menge durchzuschlagen.

Weit vom Schusse ließ sich die heroische Phrase: den Friedensbrecher nieder«
zuwerfen, gemüthlich tausendfach wiederholen und variiren. Selbst die Regie¬
rung war vielleicht, die Kammer gewiß bei ihren kriegerischen Entschlüssen von
dem geheimen Gedanken beeinflußt, daß der Krieg, wenn er nicht durch eine
berliner Revolution verhindert würde, wie man in hohen Kreisen hoffte, weit
weg, dahinten in Schlesien seine Schrecknisse entfalten werde. In der That
wies die Lässigkeit, mit welcher die Rüstungen hier und in den andern bundes¬
treuen Staaten betrieben wurden, während man gleichzeitig vor Begierde zu
brennen schien, am Krieg theilzunehmen, darauf hin, daß man entfernt nicht
daran dachte, schon im ersten Theil des Dramas mit in die Action gezogen zu
werden. Ohne Zweifel war die Absicht die, nachdem Oestreich die ersten Schläge
in Böhmen-Schlesien geführt — die ja nicht anders als vernichtend für Preußen
ausfallen konnten, vollends viribus unitis über den hingestreckten Friedens¬
brecher herzufallen.

Die unerwartet raschen Stöße, welche Preußen auf Sachsen und Hannover
führte, und noch mehr die Gefahr, welche gleichzeitig der Bundesstadt von
Wetzlar her zu drohen schien, durchkreuzten diesen gemüthlichen Feldzugsplan.
Mit einem Mal erschien die Gefahr nahe gerückt. Die Thatkraft, welche Preußen
anstatt der so oft verhöhnten Entschlußlosigkeit entwickelte, machte >n lebhaf¬
testen Eindruck. Die Bewegung wuchs, als am Abend des 16. Juni Tele¬
gramme über Telegramme aus Darmstadt eintrafen, die um schleunigsten Succurs
für die bedrohte Bundesstadt baten. Bald erfuhr man, daß noch in der Nacht
eine erste Abtheilung Würtenberger nach Frankfurt entsendet werde. Zwar
nicht „zusammengeraffte Milizen", wie die norddeutsche Allgemeine freundlich
bemerkte, aber allerdings in wenig streitfähiger Verfassung zogen diese ersten
Bundestruppen ab; kaum das Nothwendigste war ihnen mitgegeben, von einem
Verpflegungs- oder Sanitätstrain noch keine Spur. Es war bald kein Ge¬
heimniß in der Stadt, in welchem Zustand die Truppen ausgezogen waren.
Der Gedanke durchzuckte die Bevölkerung: wie, wenn die Truppen in solcher
Verfassung ins Gefecht kämen? Und kaum war der Gedanke entstanden, so
wurde ein Gerücht daraus. Man wollte wissen, gleich bei der Ankunft seien
sie ins Treffen gekommen. Frankfurt, hieß es, sei bereits von den Preußen
besetzt. „In drei Tagen stehen sie in Stuttgart", rief einer dem andern auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/166>, abgerufen am 22.07.2024.