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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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das letzte Urtheil zu entziehen, ohne die Verfassung zu verletzen, gelang Theodor
auf das Beste. Er brachte einen Fall an das Richtercollegium, wobei er per¬
sönlich interessirt war, und fragte, was das Gesetzbuch bestimme. "Majestät,"
erwiederten die Herren demüthig, "der Kaiser ist das Gesetzbuch für uns."
"Nun denn, so werde ich von jetzt an als oberster Richter fungiren", sagte
Theodor, und seit der Zeit spricht er jeden Tag, umgeben von seinem Hofe,
einige Stunden dem Volke Recht, und die Abyssinier sind mit seinen Entschei¬
dungen außerordentlich zufrieden. Selbstverständlich ist das Verfahren dabei sehr
summarisch. So in folgendem Falle, der zugleich ein gutes Beispiel für den
blutigen Humor ist, welcher den halbwilden Fürsten beseelt.

Eines Tages führte man einen Soldaten vor ihn, der zwei Kaufleute
ermordet hatte. "Warum hast du sie erschlagen?" fragte der Negus. "Ich hatte
Hunger", lautete die Antwort des Burschen. "Aber da hättest du sie ja nur
auszuplündern brauchen?" -- "Hätte ich sie nicht umgebracht, so würden sie
ihr Eigenthum vertheidigt haben." Der Kaiser befahl, ihm beide Hände abzu¬
hauen und sie ihm dann aus einem Teller vorzusetzen. "Du hattest Hunger,"
sagte er, als dies geschehen, "wohlan, hier hast du zu essen."

Dieses drakonische Verfahren war barbarisch, aber sehr praktisch. Bald
konnte man wieder durch das ganze Land reisen, ohne Gefahr fürchten zu
müssen, während vor Theodor fast jeden Tag Beraubungen und Ermordungen
vorkamen. Und ebenso besserte es sich mit andern Zuständen. Am wenigsten
leicht waren die Harems abzuschaffen, welche die abyssinischen Großen trotz der
Kirchengesetze sich hielten, doch wirkte der Kaiser hier wenigstens dadurch, daß
er selbst nur eine Frau hatte, und daß er seinen Soldaten und Offizieren das
Halten von Concubinen untersagte, gegen die weitverbreitete Unsitte.

Am meisten machte dem Negus die Reform der Kirche zu schaffen, die sich
aber nur aus das Verhältniß der letzteren zum Staate bezog. Ein berühmter
Heiliger der abyssinischen Kirche hatte durchzusetzen gewußt, daß zwei Drittel
der öffentlichen Ländereien dem Klerus zugesprochen wurden, und die Folgen
dieser Schenkung lasteten seit Jahrhunderten auf Habesch mit ähnlicher Schwere,
wie einst aus Spanien. Theodor sah ein, daß hier rücksichtslos durchgegriffen
werden müsse, und er griff denn auch sehr energisch durch. In einer Proclama-
tion erklärte er die todte Hand für ein nicht mehr zu duldendes Uebel, dann .
zog er alle Kirchengüter ein und ließ nur der Geistlichkeit und den Klöstern
das zu ihrer Ernährung nöthige Land. Das Volk war damit zufrieden, aber
die Leser werden sich nicht wundern, wenn Theodor in allen den verschiedenen
kleinen Verschwörungen, die ihm in den letzten Jahren noch zu schaffen mach¬
ten, die Hand des Klerus entdeckte.

Mit dem Abuna Salama steht der Monarch Abyssiniens bald auf ziemlich
gutem, bald aus herzlich schlechtem Fuße, und in Zeiten der letzteren Stimmung


das letzte Urtheil zu entziehen, ohne die Verfassung zu verletzen, gelang Theodor
auf das Beste. Er brachte einen Fall an das Richtercollegium, wobei er per¬
sönlich interessirt war, und fragte, was das Gesetzbuch bestimme. „Majestät,"
erwiederten die Herren demüthig, „der Kaiser ist das Gesetzbuch für uns."
„Nun denn, so werde ich von jetzt an als oberster Richter fungiren", sagte
Theodor, und seit der Zeit spricht er jeden Tag, umgeben von seinem Hofe,
einige Stunden dem Volke Recht, und die Abyssinier sind mit seinen Entschei¬
dungen außerordentlich zufrieden. Selbstverständlich ist das Verfahren dabei sehr
summarisch. So in folgendem Falle, der zugleich ein gutes Beispiel für den
blutigen Humor ist, welcher den halbwilden Fürsten beseelt.

Eines Tages führte man einen Soldaten vor ihn, der zwei Kaufleute
ermordet hatte. „Warum hast du sie erschlagen?" fragte der Negus. „Ich hatte
Hunger", lautete die Antwort des Burschen. „Aber da hättest du sie ja nur
auszuplündern brauchen?" — „Hätte ich sie nicht umgebracht, so würden sie
ihr Eigenthum vertheidigt haben." Der Kaiser befahl, ihm beide Hände abzu¬
hauen und sie ihm dann aus einem Teller vorzusetzen. „Du hattest Hunger,"
sagte er, als dies geschehen, „wohlan, hier hast du zu essen."

Dieses drakonische Verfahren war barbarisch, aber sehr praktisch. Bald
konnte man wieder durch das ganze Land reisen, ohne Gefahr fürchten zu
müssen, während vor Theodor fast jeden Tag Beraubungen und Ermordungen
vorkamen. Und ebenso besserte es sich mit andern Zuständen. Am wenigsten
leicht waren die Harems abzuschaffen, welche die abyssinischen Großen trotz der
Kirchengesetze sich hielten, doch wirkte der Kaiser hier wenigstens dadurch, daß
er selbst nur eine Frau hatte, und daß er seinen Soldaten und Offizieren das
Halten von Concubinen untersagte, gegen die weitverbreitete Unsitte.

Am meisten machte dem Negus die Reform der Kirche zu schaffen, die sich
aber nur aus das Verhältniß der letzteren zum Staate bezog. Ein berühmter
Heiliger der abyssinischen Kirche hatte durchzusetzen gewußt, daß zwei Drittel
der öffentlichen Ländereien dem Klerus zugesprochen wurden, und die Folgen
dieser Schenkung lasteten seit Jahrhunderten auf Habesch mit ähnlicher Schwere,
wie einst aus Spanien. Theodor sah ein, daß hier rücksichtslos durchgegriffen
werden müsse, und er griff denn auch sehr energisch durch. In einer Proclama-
tion erklärte er die todte Hand für ein nicht mehr zu duldendes Uebel, dann .
zog er alle Kirchengüter ein und ließ nur der Geistlichkeit und den Klöstern
das zu ihrer Ernährung nöthige Land. Das Volk war damit zufrieden, aber
die Leser werden sich nicht wundern, wenn Theodor in allen den verschiedenen
kleinen Verschwörungen, die ihm in den letzten Jahren noch zu schaffen mach¬
ten, die Hand des Klerus entdeckte.

Mit dem Abuna Salama steht der Monarch Abyssiniens bald auf ziemlich
gutem, bald aus herzlich schlechtem Fuße, und in Zeiten der letzteren Stimmung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/152>, abgerufen am 22.07.2024.