Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Handlung, für die der fromme Herr sich dadurch zu rächen wußte, daß er heim¬
gekehrt die Güter der Abyssinier beim heiligen Grabe in Jerusalem confiscirte
und deren dortiges Kloster um 60,000 Thaler an die Russen verkaufte, welche
Summe er in seine Privatkasse strich.

Unterdeß hatte Negussie in Tigre sich weiter ausgebreitet, sich durch Ver¬
ständigung mit dem inzwischen vom Papst zum Patriarchen von Abyssinien er¬
nannten de Jacobis zu befestigen gesucht und durch Abtretung einiger Inseln
im rothen Meer an Frankreich das Wohlwollen des pariser Cabinets gewon¬
nen, welches ihn dann als selbständigen Herrscher in Tigre anerkannte. Es
verbreitete sich sogar das Gerücht, demnächst würde eine französische Flotte mit
zwölftausend Mann Hilfstruppen für ihn erscheinen. Endlich errang Negussie auch
noch einen Sieg über die von Dedschas Hallo geführten Anhänger Theodors
in Seraue. Damit hatte er aber auch seinen letzten Triumph erlebt.

Die zwölftausend Franzosen blieben aus, und statt ihrer erschien der Kaiser
Theodor mit großer Heeresmacht. Negussie wich in die Wildnisse westlich von
Ätna zurück, wo er sich verschanzte, so daß ihm sein Gegner für jetzt nichts
anhaben konnte und nach Gondar umkehrte. Hier war mittlerweile unter einem
gewissen Garet eine Empörung ausgebrochen, bei welcher der englische Consul
Plowden ermordet wurde. Bei Theodors Erscheinen flohen die Aufständischen
nach Woggara. Der Kaiser holte sie hier ein, und es kam zum Treffen, in
welchem Garet Theodor durch einen Pistolenschuß verwundete. Der Engländer
Bell, seit Jahren der unzertrennliche Begleiter des Kaisers auf seinen Kriegs¬
zügen, jagte dafür dem Rebellen eine Kugel durch den Kopf, wurde aber dafür
wieder von jenem, bevor er sank, mit der Lanze durchbohrt. In seiner Wuth
über diesen Verlust ließ darauf der Negus alle Gefangenen, 1700 an Zahl,
unbarmherzig niederhauen.

Dies geschah 1860. Im folgenden Jahr, wendete sich der Kaiser- von
Neuem gegen Negussie. Die feindlichen Heere standen sich in Schlachtordnung
gegenüber, als das der Tigriner plötzlich von einem nahen Hügel die Stimme
eines Heroldes vernahm, welcher folgende Ansprache hielt:

"Hört, was der Dschanhoi (die Majestät) spricht: Allen verzeihe ich, welche
in nächster Nacht das Lager Negusstes verlassen. Drei Zufluchtsorte nenne ich
ihnen, die Kirche zu Axum, die zu Ätna und mein eigenes Lager. Alle, welche
morgen früh noch unter den Waffen stehen, werden unfehlbar niedergehauen."

Der Morgen brach an, und siehe da, Negussie war fast von allen seinen
Leuten verlassen. Er mußte sich mit seinem Bruder Tehama ergeben, und beide
wurden hingerichtet, und zwar auf die hier gewöhnliche grausame Weise. Der
Kaiser ließ ihnen die rechte Hand und den linken Fuß abhauen und verbot, den
langsam Verblutenden und während ihres Sterbens von furchtbarem Durst Ge¬
peinigten Wasser zu reichen. Tehama starb nach einigen Stunden, Negussie


Handlung, für die der fromme Herr sich dadurch zu rächen wußte, daß er heim¬
gekehrt die Güter der Abyssinier beim heiligen Grabe in Jerusalem confiscirte
und deren dortiges Kloster um 60,000 Thaler an die Russen verkaufte, welche
Summe er in seine Privatkasse strich.

Unterdeß hatte Negussie in Tigre sich weiter ausgebreitet, sich durch Ver¬
ständigung mit dem inzwischen vom Papst zum Patriarchen von Abyssinien er¬
nannten de Jacobis zu befestigen gesucht und durch Abtretung einiger Inseln
im rothen Meer an Frankreich das Wohlwollen des pariser Cabinets gewon¬
nen, welches ihn dann als selbständigen Herrscher in Tigre anerkannte. Es
verbreitete sich sogar das Gerücht, demnächst würde eine französische Flotte mit
zwölftausend Mann Hilfstruppen für ihn erscheinen. Endlich errang Negussie auch
noch einen Sieg über die von Dedschas Hallo geführten Anhänger Theodors
in Seraue. Damit hatte er aber auch seinen letzten Triumph erlebt.

Die zwölftausend Franzosen blieben aus, und statt ihrer erschien der Kaiser
Theodor mit großer Heeresmacht. Negussie wich in die Wildnisse westlich von
Ätna zurück, wo er sich verschanzte, so daß ihm sein Gegner für jetzt nichts
anhaben konnte und nach Gondar umkehrte. Hier war mittlerweile unter einem
gewissen Garet eine Empörung ausgebrochen, bei welcher der englische Consul
Plowden ermordet wurde. Bei Theodors Erscheinen flohen die Aufständischen
nach Woggara. Der Kaiser holte sie hier ein, und es kam zum Treffen, in
welchem Garet Theodor durch einen Pistolenschuß verwundete. Der Engländer
Bell, seit Jahren der unzertrennliche Begleiter des Kaisers auf seinen Kriegs¬
zügen, jagte dafür dem Rebellen eine Kugel durch den Kopf, wurde aber dafür
wieder von jenem, bevor er sank, mit der Lanze durchbohrt. In seiner Wuth
über diesen Verlust ließ darauf der Negus alle Gefangenen, 1700 an Zahl,
unbarmherzig niederhauen.

Dies geschah 1860. Im folgenden Jahr, wendete sich der Kaiser- von
Neuem gegen Negussie. Die feindlichen Heere standen sich in Schlachtordnung
gegenüber, als das der Tigriner plötzlich von einem nahen Hügel die Stimme
eines Heroldes vernahm, welcher folgende Ansprache hielt:

„Hört, was der Dschanhoi (die Majestät) spricht: Allen verzeihe ich, welche
in nächster Nacht das Lager Negusstes verlassen. Drei Zufluchtsorte nenne ich
ihnen, die Kirche zu Axum, die zu Ätna und mein eigenes Lager. Alle, welche
morgen früh noch unter den Waffen stehen, werden unfehlbar niedergehauen."

Der Morgen brach an, und siehe da, Negussie war fast von allen seinen
Leuten verlassen. Er mußte sich mit seinem Bruder Tehama ergeben, und beide
wurden hingerichtet, und zwar auf die hier gewöhnliche grausame Weise. Der
Kaiser ließ ihnen die rechte Hand und den linken Fuß abhauen und verbot, den
langsam Verblutenden und während ihres Sterbens von furchtbarem Durst Ge¬
peinigten Wasser zu reichen. Tehama starb nach einigen Stunden, Negussie


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0150" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285738"/>
          <p xml:id="ID_435" prev="#ID_434"> Handlung, für die der fromme Herr sich dadurch zu rächen wußte, daß er heim¬<lb/>
gekehrt die Güter der Abyssinier beim heiligen Grabe in Jerusalem confiscirte<lb/>
und deren dortiges Kloster um 60,000 Thaler an die Russen verkaufte, welche<lb/>
Summe er in seine Privatkasse strich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_436"> Unterdeß hatte Negussie in Tigre sich weiter ausgebreitet, sich durch Ver¬<lb/>
ständigung mit dem inzwischen vom Papst zum Patriarchen von Abyssinien er¬<lb/>
nannten de Jacobis zu befestigen gesucht und durch Abtretung einiger Inseln<lb/>
im rothen Meer an Frankreich das Wohlwollen des pariser Cabinets gewon¬<lb/>
nen, welches ihn dann als selbständigen Herrscher in Tigre anerkannte. Es<lb/>
verbreitete sich sogar das Gerücht, demnächst würde eine französische Flotte mit<lb/>
zwölftausend Mann Hilfstruppen für ihn erscheinen. Endlich errang Negussie auch<lb/>
noch einen Sieg über die von Dedschas Hallo geführten Anhänger Theodors<lb/>
in Seraue. Damit hatte er aber auch seinen letzten Triumph erlebt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_437"> Die zwölftausend Franzosen blieben aus, und statt ihrer erschien der Kaiser<lb/>
Theodor mit großer Heeresmacht. Negussie wich in die Wildnisse westlich von<lb/>
Ätna zurück, wo er sich verschanzte, so daß ihm sein Gegner für jetzt nichts<lb/>
anhaben konnte und nach Gondar umkehrte. Hier war mittlerweile unter einem<lb/>
gewissen Garet eine Empörung ausgebrochen, bei welcher der englische Consul<lb/>
Plowden ermordet wurde. Bei Theodors Erscheinen flohen die Aufständischen<lb/>
nach Woggara. Der Kaiser holte sie hier ein, und es kam zum Treffen, in<lb/>
welchem Garet Theodor durch einen Pistolenschuß verwundete. Der Engländer<lb/>
Bell, seit Jahren der unzertrennliche Begleiter des Kaisers auf seinen Kriegs¬<lb/>
zügen, jagte dafür dem Rebellen eine Kugel durch den Kopf, wurde aber dafür<lb/>
wieder von jenem, bevor er sank, mit der Lanze durchbohrt. In seiner Wuth<lb/>
über diesen Verlust ließ darauf der Negus alle Gefangenen, 1700 an Zahl,<lb/>
unbarmherzig niederhauen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_438"> Dies geschah 1860. Im folgenden Jahr, wendete sich der Kaiser- von<lb/>
Neuem gegen Negussie. Die feindlichen Heere standen sich in Schlachtordnung<lb/>
gegenüber, als das der Tigriner plötzlich von einem nahen Hügel die Stimme<lb/>
eines Heroldes vernahm, welcher folgende Ansprache hielt:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_439"> &#x201E;Hört, was der Dschanhoi (die Majestät) spricht: Allen verzeihe ich, welche<lb/>
in nächster Nacht das Lager Negusstes verlassen. Drei Zufluchtsorte nenne ich<lb/>
ihnen, die Kirche zu Axum, die zu Ätna und mein eigenes Lager. Alle, welche<lb/>
morgen früh noch unter den Waffen stehen, werden unfehlbar niedergehauen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_440" next="#ID_441"> Der Morgen brach an, und siehe da, Negussie war fast von allen seinen<lb/>
Leuten verlassen. Er mußte sich mit seinem Bruder Tehama ergeben, und beide<lb/>
wurden hingerichtet, und zwar auf die hier gewöhnliche grausame Weise. Der<lb/>
Kaiser ließ ihnen die rechte Hand und den linken Fuß abhauen und verbot, den<lb/>
langsam Verblutenden und während ihres Sterbens von furchtbarem Durst Ge¬<lb/>
peinigten Wasser zu reichen.  Tehama starb nach einigen Stunden, Negussie</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0150] Handlung, für die der fromme Herr sich dadurch zu rächen wußte, daß er heim¬ gekehrt die Güter der Abyssinier beim heiligen Grabe in Jerusalem confiscirte und deren dortiges Kloster um 60,000 Thaler an die Russen verkaufte, welche Summe er in seine Privatkasse strich. Unterdeß hatte Negussie in Tigre sich weiter ausgebreitet, sich durch Ver¬ ständigung mit dem inzwischen vom Papst zum Patriarchen von Abyssinien er¬ nannten de Jacobis zu befestigen gesucht und durch Abtretung einiger Inseln im rothen Meer an Frankreich das Wohlwollen des pariser Cabinets gewon¬ nen, welches ihn dann als selbständigen Herrscher in Tigre anerkannte. Es verbreitete sich sogar das Gerücht, demnächst würde eine französische Flotte mit zwölftausend Mann Hilfstruppen für ihn erscheinen. Endlich errang Negussie auch noch einen Sieg über die von Dedschas Hallo geführten Anhänger Theodors in Seraue. Damit hatte er aber auch seinen letzten Triumph erlebt. Die zwölftausend Franzosen blieben aus, und statt ihrer erschien der Kaiser Theodor mit großer Heeresmacht. Negussie wich in die Wildnisse westlich von Ätna zurück, wo er sich verschanzte, so daß ihm sein Gegner für jetzt nichts anhaben konnte und nach Gondar umkehrte. Hier war mittlerweile unter einem gewissen Garet eine Empörung ausgebrochen, bei welcher der englische Consul Plowden ermordet wurde. Bei Theodors Erscheinen flohen die Aufständischen nach Woggara. Der Kaiser holte sie hier ein, und es kam zum Treffen, in welchem Garet Theodor durch einen Pistolenschuß verwundete. Der Engländer Bell, seit Jahren der unzertrennliche Begleiter des Kaisers auf seinen Kriegs¬ zügen, jagte dafür dem Rebellen eine Kugel durch den Kopf, wurde aber dafür wieder von jenem, bevor er sank, mit der Lanze durchbohrt. In seiner Wuth über diesen Verlust ließ darauf der Negus alle Gefangenen, 1700 an Zahl, unbarmherzig niederhauen. Dies geschah 1860. Im folgenden Jahr, wendete sich der Kaiser- von Neuem gegen Negussie. Die feindlichen Heere standen sich in Schlachtordnung gegenüber, als das der Tigriner plötzlich von einem nahen Hügel die Stimme eines Heroldes vernahm, welcher folgende Ansprache hielt: „Hört, was der Dschanhoi (die Majestät) spricht: Allen verzeihe ich, welche in nächster Nacht das Lager Negusstes verlassen. Drei Zufluchtsorte nenne ich ihnen, die Kirche zu Axum, die zu Ätna und mein eigenes Lager. Alle, welche morgen früh noch unter den Waffen stehen, werden unfehlbar niedergehauen." Der Morgen brach an, und siehe da, Negussie war fast von allen seinen Leuten verlassen. Er mußte sich mit seinem Bruder Tehama ergeben, und beide wurden hingerichtet, und zwar auf die hier gewöhnliche grausame Weise. Der Kaiser ließ ihnen die rechte Hand und den linken Fuß abhauen und verbot, den langsam Verblutenden und während ihres Sterbens von furchtbarem Durst Ge¬ peinigten Wasser zu reichen. Tehama starb nach einigen Stunden, Negussie

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/150
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/150>, abgerufen am 22.07.2024.