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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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und dann einen solchen Grad von Gewissensbissen durchzumachen, ist' nur
scheinbar, weil das Weib in ganz natürlicher Weise bei ihrem angeborenen
Oppositionsgeist gegen den Mann die unmännlicher Regungen desselben durch
das eigene Annehmen der Manncsrolle bekämpft, nachher aber, wo der Moment
sie nicht mehr in diese gegensätzliche Stellung bringt, wohl wieder in der bei ihr
stetigen weiblichen Schwäche zusammenbrechen kann. Ebenso ist Macbeths
Fortwaten im Blut, statt eines Versuchs der Sühnung seiner Verbrechen durch
eine verdienstliche Regierung, daraus zu erklären, daß der Ehrgeiz nicht blos,
wie der Verfasser meint, mit dem Machtbesitz, sondern nur erst mit dem einzig
in diesem Besitze Sein zufrieden gestellt ist, Macbeth -es also nicht einmal in
der Idee dulden kann, daß hinter ihm Banquos Nachkommen auch zur Herr¬
schaft kommen, sie gleichsam mit ihm theilen sollen.

Unter den Einwürfen gegen Hamlet, S. 74--97. kommt der Wider¬
spruch des zartfühlenden Prinzen mit sich selber vor, daß er nur so nebenher
drei Unschuldige ums Leben bringen konnte. Vielleicht aus derselben Instanz,
wie der andere Einwurf der Nichtmotivirung seiner Verstellung als eines Wahn¬
sinnigen zu erklären! Hamlet ist so sehr mit seiner ganzen Person von der
sittlichen, feierlichst übertragenen und ebenso übernommenen Rächeraufgabe,-die
nach unserer Ansicht s, priori ihre moralische, ihn schlechthin überwältigende
Schwierigkeit hat, hingenommen, daß er mit seiner Verstellung sich nur so giebt,
wie es ihm zu Sinne ist, sich damit, da er so zu sagen nimmer weiß, wo ihm
der Kopf steht, nur auf das natürlichste gehen läßt und bei der Fortdauer seiner
ganzen sittlichen Rathlosigkeit bei dem für seine Lebensaufgabe geschärftesten
Gewissen schuldhafte Zwischenfälle wie gar nichts gegen seine Urschuld achtet.
Von diesem Gesichtspunkte aus können wir überhaupt mit dem Verfasser nicht
nach "Hamlets Planen" fragen oder mit ihm, weil wir über diese nicht ins Klare
gesetzt werden, seine Handlungsweise von Anfang bis zu Ende unerklärlich finden;
er hat grade keine Plane, sondern ist von einer sittlichen Aufgabe, von einem
Pathos so sehr erfüllt, daß sich einzig nur von hier aus mittelst eines ethisch¬
psychologischen Schlüssels all sein Thun und Gebühren uns erschließen muß.
Auch andere, mehr Nebensächliches betreffende Scrupel glauben wir dem Ver¬
fasser lösen zu können. Die Widersprüche, die in der Zeichnung des Polonius
sein sollen, entwirren sich uns sammt und sonders, wenn wir über ihn dem
glauben, der ihn besser als wir kennen mußte; Hamlet heißt ihn einen schel¬
mischen alten Schwätzer. Die von unserm Kritiker unbegreiflich gefundene
Einwilligung des Laertes in den Schurkenstreich des Königs ist nur die Dar¬
stellung der gegen die hamletsche grade umgekehrten moralischen Situation; hier
bei Laertes die Uebung der natürlichen, dort bei Hamlet die der erst zu ethi-
sirenden Blutrache; hier unentzweites, dort entzweites Bewußtsein; hier rasche
Stoßkraft, aber in sittlich ungebildeter Weise, dort alle sittliche Bildung, aber


und dann einen solchen Grad von Gewissensbissen durchzumachen, ist' nur
scheinbar, weil das Weib in ganz natürlicher Weise bei ihrem angeborenen
Oppositionsgeist gegen den Mann die unmännlicher Regungen desselben durch
das eigene Annehmen der Manncsrolle bekämpft, nachher aber, wo der Moment
sie nicht mehr in diese gegensätzliche Stellung bringt, wohl wieder in der bei ihr
stetigen weiblichen Schwäche zusammenbrechen kann. Ebenso ist Macbeths
Fortwaten im Blut, statt eines Versuchs der Sühnung seiner Verbrechen durch
eine verdienstliche Regierung, daraus zu erklären, daß der Ehrgeiz nicht blos,
wie der Verfasser meint, mit dem Machtbesitz, sondern nur erst mit dem einzig
in diesem Besitze Sein zufrieden gestellt ist, Macbeth -es also nicht einmal in
der Idee dulden kann, daß hinter ihm Banquos Nachkommen auch zur Herr¬
schaft kommen, sie gleichsam mit ihm theilen sollen.

Unter den Einwürfen gegen Hamlet, S. 74—97. kommt der Wider¬
spruch des zartfühlenden Prinzen mit sich selber vor, daß er nur so nebenher
drei Unschuldige ums Leben bringen konnte. Vielleicht aus derselben Instanz,
wie der andere Einwurf der Nichtmotivirung seiner Verstellung als eines Wahn¬
sinnigen zu erklären! Hamlet ist so sehr mit seiner ganzen Person von der
sittlichen, feierlichst übertragenen und ebenso übernommenen Rächeraufgabe,-die
nach unserer Ansicht s, priori ihre moralische, ihn schlechthin überwältigende
Schwierigkeit hat, hingenommen, daß er mit seiner Verstellung sich nur so giebt,
wie es ihm zu Sinne ist, sich damit, da er so zu sagen nimmer weiß, wo ihm
der Kopf steht, nur auf das natürlichste gehen läßt und bei der Fortdauer seiner
ganzen sittlichen Rathlosigkeit bei dem für seine Lebensaufgabe geschärftesten
Gewissen schuldhafte Zwischenfälle wie gar nichts gegen seine Urschuld achtet.
Von diesem Gesichtspunkte aus können wir überhaupt mit dem Verfasser nicht
nach „Hamlets Planen" fragen oder mit ihm, weil wir über diese nicht ins Klare
gesetzt werden, seine Handlungsweise von Anfang bis zu Ende unerklärlich finden;
er hat grade keine Plane, sondern ist von einer sittlichen Aufgabe, von einem
Pathos so sehr erfüllt, daß sich einzig nur von hier aus mittelst eines ethisch¬
psychologischen Schlüssels all sein Thun und Gebühren uns erschließen muß.
Auch andere, mehr Nebensächliches betreffende Scrupel glauben wir dem Ver¬
fasser lösen zu können. Die Widersprüche, die in der Zeichnung des Polonius
sein sollen, entwirren sich uns sammt und sonders, wenn wir über ihn dem
glauben, der ihn besser als wir kennen mußte; Hamlet heißt ihn einen schel¬
mischen alten Schwätzer. Die von unserm Kritiker unbegreiflich gefundene
Einwilligung des Laertes in den Schurkenstreich des Königs ist nur die Dar¬
stellung der gegen die hamletsche grade umgekehrten moralischen Situation; hier
bei Laertes die Uebung der natürlichen, dort bei Hamlet die der erst zu ethi-
sirenden Blutrache; hier unentzweites, dort entzweites Bewußtsein; hier rasche
Stoßkraft, aber in sittlich ungebildeter Weise, dort alle sittliche Bildung, aber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/60>, abgerufen am 28.07.2024.