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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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wir Deutsche haben in diesem Jahrhundert noch keinen Grund gehabt, mit irgend¬
einer größern Leistung deutscher Diplomatie zufrieden zu sein. Auch "ach andrer
Richtung hat die neue.Zeit die Bedeutung dieses privilegirten Standes einge¬
schränkt. In Vielen Fällen ist das Geheimniß, welches sonst politische Verhand¬
lunge" umhüllt", geschwunden, seit das Volk einigen Antheil an den höchsten
Angelegenheiten des Staates gewonnen hat und allen Regierungen der Beifall
des In- und Auslandes unentbehrlich geworden ist. Telegraphen und Eisenbahnen
haben den Verkehr von Residenz zu Residenz unverhältnißmäßig beschleunigt,
die Gesandtschaften sind zuweilen nicht viel mehr als Briefkasten gewesen.
Auch die herkömmliche aristokratische Stellung der diplomatischen Agenten hat
sich als ein Uebelstand erwiesen ; die Mehrzahl derselben nimmt Anschauungen
und Urtheile aus einem geschlossenen Kreise, in welchem Zustände und leitende
Charaktere der Völker nicht mehr deutlich erkennbar sind; und öfter haben Re-
gierungen sich genöthigt gesehen, neben ihren Gesandten andere Agenten aus-
zuschicken, welche mit schärferem Blick aus dem Volke heraus berichteten. Das
haben z. B. die Whigs in England seit etwa zehn Jahren mit Erfolg gethan,
und die Regierung verdankt den Berichte" der Herren Rüssel. Olifant und
andrer bei wichtiger Veranlassung bessere Kunde nationaler Verhältnisse, als
den schwachen Söhnen ihrer Aristokratie, welche durch ihre Familien in die
Aemter kamen.

Dennoch ist jedem, der in politischen Geschäften mit Erfolg arbeiten will,
eine Schule und Zucht unentbehrlich, nicht nur Kenntnis! des Staatslebens und
der realen Interessen, des internationalen Rechts und der Verträge, sondern, was
dem Praktiker obenan steht, auch Sicherheit i" den Formen des Verkehrs und
die gesellschaftliche Festigkeit, welche den Eindrücken der Stunde gegenüber eine
Ueberlegenheit zu behaupten gewöhnt ist. Ihm sind bestimmte Eigenschasten
des Temperaments und Charakters wünschenswerth, deren Mangel einem leitenden
Staatsmann viel kostet, die auch der glückliche Besitzer nur durch längere Uebung
in sich ausbildet. Man prüfe eine und die andere Thätigkeit. Der Botschafter
an fremdem Hofe soll z. B. über die Unterhaltung, welche er mit dem fremden
Herrscher oder dessen Minister hat, einen getreuen und vollständigen Bericht an
seinen Hof senden. Er wird genau beobachten, gut hören und treu im Ge¬
dächtniß bewahren müssen, er wird dazu großer innerer Freiheit und kühler Ruhe
bedürfen, einen fest gesammelten Geist, der nicht durch unzeitige Arbeit der
Phantasie zerstreut wird. El" Mann von fliegende" Gedanken, schnell bewegter
Phantasie, ein brillanter, kräftig bewegter Esprit wird wahrscheinlich nie so gut
berichten, als ein anderer, der im Verkehr weit unscheinbarer erscheint. -- In
derselben Zeit aber steht der hörende Agent selbst in höchster Spannung vor dem
andern, jedes Wort, das er seinerseits sagt, kann Entschluß. Rede und Ausdruck des


wir Deutsche haben in diesem Jahrhundert noch keinen Grund gehabt, mit irgend¬
einer größern Leistung deutscher Diplomatie zufrieden zu sein. Auch »ach andrer
Richtung hat die neue.Zeit die Bedeutung dieses privilegirten Standes einge¬
schränkt. In Vielen Fällen ist das Geheimniß, welches sonst politische Verhand¬
lunge» umhüllt«, geschwunden, seit das Volk einigen Antheil an den höchsten
Angelegenheiten des Staates gewonnen hat und allen Regierungen der Beifall
des In- und Auslandes unentbehrlich geworden ist. Telegraphen und Eisenbahnen
haben den Verkehr von Residenz zu Residenz unverhältnißmäßig beschleunigt,
die Gesandtschaften sind zuweilen nicht viel mehr als Briefkasten gewesen.
Auch die herkömmliche aristokratische Stellung der diplomatischen Agenten hat
sich als ein Uebelstand erwiesen ; die Mehrzahl derselben nimmt Anschauungen
und Urtheile aus einem geschlossenen Kreise, in welchem Zustände und leitende
Charaktere der Völker nicht mehr deutlich erkennbar sind; und öfter haben Re-
gierungen sich genöthigt gesehen, neben ihren Gesandten andere Agenten aus-
zuschicken, welche mit schärferem Blick aus dem Volke heraus berichteten. Das
haben z. B. die Whigs in England seit etwa zehn Jahren mit Erfolg gethan,
und die Regierung verdankt den Berichte» der Herren Rüssel. Olifant und
andrer bei wichtiger Veranlassung bessere Kunde nationaler Verhältnisse, als
den schwachen Söhnen ihrer Aristokratie, welche durch ihre Familien in die
Aemter kamen.

Dennoch ist jedem, der in politischen Geschäften mit Erfolg arbeiten will,
eine Schule und Zucht unentbehrlich, nicht nur Kenntnis! des Staatslebens und
der realen Interessen, des internationalen Rechts und der Verträge, sondern, was
dem Praktiker obenan steht, auch Sicherheit i» den Formen des Verkehrs und
die gesellschaftliche Festigkeit, welche den Eindrücken der Stunde gegenüber eine
Ueberlegenheit zu behaupten gewöhnt ist. Ihm sind bestimmte Eigenschasten
des Temperaments und Charakters wünschenswerth, deren Mangel einem leitenden
Staatsmann viel kostet, die auch der glückliche Besitzer nur durch längere Uebung
in sich ausbildet. Man prüfe eine und die andere Thätigkeit. Der Botschafter
an fremdem Hofe soll z. B. über die Unterhaltung, welche er mit dem fremden
Herrscher oder dessen Minister hat, einen getreuen und vollständigen Bericht an
seinen Hof senden. Er wird genau beobachten, gut hören und treu im Ge¬
dächtniß bewahren müssen, er wird dazu großer innerer Freiheit und kühler Ruhe
bedürfen, einen fest gesammelten Geist, der nicht durch unzeitige Arbeit der
Phantasie zerstreut wird. El» Mann von fliegende» Gedanken, schnell bewegter
Phantasie, ein brillanter, kräftig bewegter Esprit wird wahrscheinlich nie so gut
berichten, als ein anderer, der im Verkehr weit unscheinbarer erscheint. — In
derselben Zeit aber steht der hörende Agent selbst in höchster Spannung vor dem
andern, jedes Wort, das er seinerseits sagt, kann Entschluß. Rede und Ausdruck des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/553>, abgerufen am 27.07.2024.