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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Plötzlich hat er ein schreckliches Gesicht. Mr. Jonathan Dream erscheint
über ihm, zieht ihn empor und saust hohnlachend mit ihm durch die Lüfte,
über den Ocean----

Er erwacht.----

Dr. Neu6 Lefebre ist in seinem alten Zimmer zu Paris in Frankreich; aber
man hält ihn ruhig, er soll nicht reden. Er ist krank.

Er beginnt von seinen amerikanischen Erfahrungen. Seine Frau beginnt
zu weinen und fleht ihn an zu schweigen.

Nachbarn und Freunde kommen. Bei allen stößt der Unglückliche mit
seinen amerikanischen Freiheitsideen an. Er ereifert sich, er spottet sogar über
das. was jedem Franzosen heilig sein muß, über die herrliche Administration
und die allgegenwärtige Fürsorge des Staates. Man widerspricht, der Kranke
wird heftig und behauptet, in Amerika alles selbst gesehen zu haben. Er sei
durch die Luft gereist und habe mit allen seinen Nachbarn und Freunden dort
acht Tage zugebracht.

Das ist zu viel! Man weiß, daß jener Charlatan ihm eine furchtbare
Dosis Haschisch gegeben hat, die ihn seit acht Tagen in Fieberhitze hielt, aber
man hoffte doch auf Besserung. Nun stellt sich leider heraus, daß der arme
Lefebre eine fixe Idee hat, daß er wahnsinnig geworden ist. Der gelehrte
Dr. Olybrius befiehlt seine Einschließung in ein Irrenhaus.

Dort beschäftigt sich der Arme, nachdem er lang getobt hat, mit der Ab¬
fassung seines Tagebuchs und der Darlegung seiner Ideen -- eine unschuldige
Beschäftigung, die man ihm gern gestattet.

Dr. Olybrius aber schreibt an Frau Lefebre. daß ihr Gatte unheilbar sei
und die Anstalt nie werde verlassen können. "Denn." schließt er, "der Wahn¬
sinn aus Liebe ist zu heilen, wenn man jung ist, und im Alter stirbt man daran.
Der Wahnwitz aus Ehrgeiz verschwindet manchmal mit den Jahren, wenn man
die Menschen verachten lernt, der Wahnwitz der Freiheit aber ist unheilbar."


F. L.


Plötzlich hat er ein schreckliches Gesicht. Mr. Jonathan Dream erscheint
über ihm, zieht ihn empor und saust hohnlachend mit ihm durch die Lüfte,
über den Ocean----

Er erwacht.----

Dr. Neu6 Lefebre ist in seinem alten Zimmer zu Paris in Frankreich; aber
man hält ihn ruhig, er soll nicht reden. Er ist krank.

Er beginnt von seinen amerikanischen Erfahrungen. Seine Frau beginnt
zu weinen und fleht ihn an zu schweigen.

Nachbarn und Freunde kommen. Bei allen stößt der Unglückliche mit
seinen amerikanischen Freiheitsideen an. Er ereifert sich, er spottet sogar über
das. was jedem Franzosen heilig sein muß, über die herrliche Administration
und die allgegenwärtige Fürsorge des Staates. Man widerspricht, der Kranke
wird heftig und behauptet, in Amerika alles selbst gesehen zu haben. Er sei
durch die Luft gereist und habe mit allen seinen Nachbarn und Freunden dort
acht Tage zugebracht.

Das ist zu viel! Man weiß, daß jener Charlatan ihm eine furchtbare
Dosis Haschisch gegeben hat, die ihn seit acht Tagen in Fieberhitze hielt, aber
man hoffte doch auf Besserung. Nun stellt sich leider heraus, daß der arme
Lefebre eine fixe Idee hat, daß er wahnsinnig geworden ist. Der gelehrte
Dr. Olybrius befiehlt seine Einschließung in ein Irrenhaus.

Dort beschäftigt sich der Arme, nachdem er lang getobt hat, mit der Ab¬
fassung seines Tagebuchs und der Darlegung seiner Ideen — eine unschuldige
Beschäftigung, die man ihm gern gestattet.

Dr. Olybrius aber schreibt an Frau Lefebre. daß ihr Gatte unheilbar sei
und die Anstalt nie werde verlassen können. „Denn." schließt er, „der Wahn¬
sinn aus Liebe ist zu heilen, wenn man jung ist, und im Alter stirbt man daran.
Der Wahnwitz aus Ehrgeiz verschwindet manchmal mit den Jahren, wenn man
die Menschen verachten lernt, der Wahnwitz der Freiheit aber ist unheilbar."


F. L.


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[0551] Plötzlich hat er ein schreckliches Gesicht. Mr. Jonathan Dream erscheint über ihm, zieht ihn empor und saust hohnlachend mit ihm durch die Lüfte, über den Ocean---- Er erwacht.---- Dr. Neu6 Lefebre ist in seinem alten Zimmer zu Paris in Frankreich; aber man hält ihn ruhig, er soll nicht reden. Er ist krank. Er beginnt von seinen amerikanischen Erfahrungen. Seine Frau beginnt zu weinen und fleht ihn an zu schweigen. Nachbarn und Freunde kommen. Bei allen stößt der Unglückliche mit seinen amerikanischen Freiheitsideen an. Er ereifert sich, er spottet sogar über das. was jedem Franzosen heilig sein muß, über die herrliche Administration und die allgegenwärtige Fürsorge des Staates. Man widerspricht, der Kranke wird heftig und behauptet, in Amerika alles selbst gesehen zu haben. Er sei durch die Luft gereist und habe mit allen seinen Nachbarn und Freunden dort acht Tage zugebracht. Das ist zu viel! Man weiß, daß jener Charlatan ihm eine furchtbare Dosis Haschisch gegeben hat, die ihn seit acht Tagen in Fieberhitze hielt, aber man hoffte doch auf Besserung. Nun stellt sich leider heraus, daß der arme Lefebre eine fixe Idee hat, daß er wahnsinnig geworden ist. Der gelehrte Dr. Olybrius befiehlt seine Einschließung in ein Irrenhaus. Dort beschäftigt sich der Arme, nachdem er lang getobt hat, mit der Ab¬ fassung seines Tagebuchs und der Darlegung seiner Ideen — eine unschuldige Beschäftigung, die man ihm gern gestattet. Dr. Olybrius aber schreibt an Frau Lefebre. daß ihr Gatte unheilbar sei und die Anstalt nie werde verlassen können. „Denn." schließt er, „der Wahn¬ sinn aus Liebe ist zu heilen, wenn man jung ist, und im Alter stirbt man daran. Der Wahnwitz aus Ehrgeiz verschwindet manchmal mit den Jahren, wenn man die Menschen verachten lernt, der Wahnwitz der Freiheit aber ist unheilbar." F. L.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/551>, abgerufen am 27.07.2024.