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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Feinde, deren Truppen in den nächsten Wochen gegen einander im Felde
stehen können. Das ist kein Krieg mit einer auswärtigen Macht, es ist in
Wahrheit ein Kampf zwischen Verwandten, zwischen Nachbarn und Vertrags"
genossen. die bereits so eng mit einander verbunden waren, daß sie nur zu.
weilen achselzuckend daran dachten, wie ihre Regentenfamilien nicht dieselben
seien. Auf der Idee einer großen Bundesgenossenschaft hat sich seit 80 Jahren
das deutsche Leben so fest zusammengeschlossen, daß die Staatsverschiedenheit
für die Binnendeutschen den größten Theil ihrer Bedeutung verloren hat. Wir
meinten trotz unserer Kleinstaaterei in Wirklichkeit ein einiger Friedensstaat gewor¬
den zu sein, selbst die Verschiedenheiten in der localen Gesetzgebung waren nicht
groß, und ein System von Verträgen machte Geschäft und Verdienst, Verbindung
und Uebersiedelung aus einem Staat in den andern, die Ausbreitung des Ver¬
kehrslebens über die Pfähle des heimischen Staates so leicht, daß der Bürger in
Mitteldeutschland die politischen Grenzen zuweilen mit stiller Heiterkeit betrachtete.

In fünfzig Friedensjahren sind auch die Bürger und ihre Familien innig ver¬
wachsen, der Angehörige des einen Staats arbeitet in dem andern, er hatte
vielleicht dort geheirathet, jetzt ist er in seiner Heimath zu den Fahnen gerufen,
Weib und Kind hungern in Feindesland. Ein Rittergutsbesitzer hat Güter in
dem einen wie in dem andern Staat, für ihn war die Grenze gar nicht vorhanden,
jetzt stehen die Leute des einen Gutes gegen die des andern in Waffen, er selbst
mag mit seiner rechten Hand seine linke schlagen und sich fragen, wie ein Krieg
möglich ist. der ihm seine Wirthschaft, ja seine persönliche Existenz zweitheilig
scheidet. Eine Mutter hat ihre beiden Söhne in zwei feindlichen Heeren, die
Brüder können in den nächsten Tagen auf dem Schlachtfeld einander tödten,
und über den Gedanken entsetzt frägt die Arme: darf so etwas in unsrer Zeit
möglich sein?

Noch mehr. Wenn der Deutsche das Ungenügende in seinem Staatsleben
bitter empfand, so durfte er sich mit der Auffassung trösten, daß über dem klei¬
nen Staatsbäu seiner Heimath sich ein großes Haus erhob, an dem seine Väter
und er eifrig gearbeitet hatten, er war ein Deutscher. Das Bruderwort be-
friedigte ihn, wenn er an die Spaltung zwischen Süden und Norden, zwischen
Preußen und Sachsen dachte. Seit Errichtung des Zollvereins war auch für
den Erwerbenden einheitliches Gebiet, was der Wissenschaft und Kunst immer
eines gewesen war. Alle idealen Interessen und alle realen versicherten ihn, so
meinte er, eines eisenfesten Zusammenschlusses mit den andern Ländern unter
deutschen Regenten. Wenn er über die Unbehilflichkeit und innere Hohlheit
des deutschen Bundes spottete, so that er es in dem sicheren Gefühl, daß der
Bund auch ohnmächtig sei, die geistige und materielle Einheit der Deutschen zu
stören, und daß seine abgelebte Form über kurz oder lang einer vernünftigeren
Organisation der deutschen Stämme ohne große Kämpfe weichen werde.


Grenzboten II. 1866. 62

Feinde, deren Truppen in den nächsten Wochen gegen einander im Felde
stehen können. Das ist kein Krieg mit einer auswärtigen Macht, es ist in
Wahrheit ein Kampf zwischen Verwandten, zwischen Nachbarn und Vertrags«
genossen. die bereits so eng mit einander verbunden waren, daß sie nur zu.
weilen achselzuckend daran dachten, wie ihre Regentenfamilien nicht dieselben
seien. Auf der Idee einer großen Bundesgenossenschaft hat sich seit 80 Jahren
das deutsche Leben so fest zusammengeschlossen, daß die Staatsverschiedenheit
für die Binnendeutschen den größten Theil ihrer Bedeutung verloren hat. Wir
meinten trotz unserer Kleinstaaterei in Wirklichkeit ein einiger Friedensstaat gewor¬
den zu sein, selbst die Verschiedenheiten in der localen Gesetzgebung waren nicht
groß, und ein System von Verträgen machte Geschäft und Verdienst, Verbindung
und Uebersiedelung aus einem Staat in den andern, die Ausbreitung des Ver¬
kehrslebens über die Pfähle des heimischen Staates so leicht, daß der Bürger in
Mitteldeutschland die politischen Grenzen zuweilen mit stiller Heiterkeit betrachtete.

In fünfzig Friedensjahren sind auch die Bürger und ihre Familien innig ver¬
wachsen, der Angehörige des einen Staats arbeitet in dem andern, er hatte
vielleicht dort geheirathet, jetzt ist er in seiner Heimath zu den Fahnen gerufen,
Weib und Kind hungern in Feindesland. Ein Rittergutsbesitzer hat Güter in
dem einen wie in dem andern Staat, für ihn war die Grenze gar nicht vorhanden,
jetzt stehen die Leute des einen Gutes gegen die des andern in Waffen, er selbst
mag mit seiner rechten Hand seine linke schlagen und sich fragen, wie ein Krieg
möglich ist. der ihm seine Wirthschaft, ja seine persönliche Existenz zweitheilig
scheidet. Eine Mutter hat ihre beiden Söhne in zwei feindlichen Heeren, die
Brüder können in den nächsten Tagen auf dem Schlachtfeld einander tödten,
und über den Gedanken entsetzt frägt die Arme: darf so etwas in unsrer Zeit
möglich sein?

Noch mehr. Wenn der Deutsche das Ungenügende in seinem Staatsleben
bitter empfand, so durfte er sich mit der Auffassung trösten, daß über dem klei¬
nen Staatsbäu seiner Heimath sich ein großes Haus erhob, an dem seine Väter
und er eifrig gearbeitet hatten, er war ein Deutscher. Das Bruderwort be-
friedigte ihn, wenn er an die Spaltung zwischen Süden und Norden, zwischen
Preußen und Sachsen dachte. Seit Errichtung des Zollvereins war auch für
den Erwerbenden einheitliches Gebiet, was der Wissenschaft und Kunst immer
eines gewesen war. Alle idealen Interessen und alle realen versicherten ihn, so
meinte er, eines eisenfesten Zusammenschlusses mit den andern Ländern unter
deutschen Regenten. Wenn er über die Unbehilflichkeit und innere Hohlheit
des deutschen Bundes spottete, so that er es in dem sicheren Gefühl, daß der
Bund auch ohnmächtig sei, die geistige und materielle Einheit der Deutschen zu
stören, und daß seine abgelebte Form über kurz oder lang einer vernünftigeren
Organisation der deutschen Stämme ohne große Kämpfe weichen werde.


Grenzboten II. 1866. 62
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[0523] Feinde, deren Truppen in den nächsten Wochen gegen einander im Felde stehen können. Das ist kein Krieg mit einer auswärtigen Macht, es ist in Wahrheit ein Kampf zwischen Verwandten, zwischen Nachbarn und Vertrags« genossen. die bereits so eng mit einander verbunden waren, daß sie nur zu. weilen achselzuckend daran dachten, wie ihre Regentenfamilien nicht dieselben seien. Auf der Idee einer großen Bundesgenossenschaft hat sich seit 80 Jahren das deutsche Leben so fest zusammengeschlossen, daß die Staatsverschiedenheit für die Binnendeutschen den größten Theil ihrer Bedeutung verloren hat. Wir meinten trotz unserer Kleinstaaterei in Wirklichkeit ein einiger Friedensstaat gewor¬ den zu sein, selbst die Verschiedenheiten in der localen Gesetzgebung waren nicht groß, und ein System von Verträgen machte Geschäft und Verdienst, Verbindung und Uebersiedelung aus einem Staat in den andern, die Ausbreitung des Ver¬ kehrslebens über die Pfähle des heimischen Staates so leicht, daß der Bürger in Mitteldeutschland die politischen Grenzen zuweilen mit stiller Heiterkeit betrachtete. In fünfzig Friedensjahren sind auch die Bürger und ihre Familien innig ver¬ wachsen, der Angehörige des einen Staats arbeitet in dem andern, er hatte vielleicht dort geheirathet, jetzt ist er in seiner Heimath zu den Fahnen gerufen, Weib und Kind hungern in Feindesland. Ein Rittergutsbesitzer hat Güter in dem einen wie in dem andern Staat, für ihn war die Grenze gar nicht vorhanden, jetzt stehen die Leute des einen Gutes gegen die des andern in Waffen, er selbst mag mit seiner rechten Hand seine linke schlagen und sich fragen, wie ein Krieg möglich ist. der ihm seine Wirthschaft, ja seine persönliche Existenz zweitheilig scheidet. Eine Mutter hat ihre beiden Söhne in zwei feindlichen Heeren, die Brüder können in den nächsten Tagen auf dem Schlachtfeld einander tödten, und über den Gedanken entsetzt frägt die Arme: darf so etwas in unsrer Zeit möglich sein? Noch mehr. Wenn der Deutsche das Ungenügende in seinem Staatsleben bitter empfand, so durfte er sich mit der Auffassung trösten, daß über dem klei¬ nen Staatsbäu seiner Heimath sich ein großes Haus erhob, an dem seine Väter und er eifrig gearbeitet hatten, er war ein Deutscher. Das Bruderwort be- friedigte ihn, wenn er an die Spaltung zwischen Süden und Norden, zwischen Preußen und Sachsen dachte. Seit Errichtung des Zollvereins war auch für den Erwerbenden einheitliches Gebiet, was der Wissenschaft und Kunst immer eines gewesen war. Alle idealen Interessen und alle realen versicherten ihn, so meinte er, eines eisenfesten Zusammenschlusses mit den andern Ländern unter deutschen Regenten. Wenn er über die Unbehilflichkeit und innere Hohlheit des deutschen Bundes spottete, so that er es in dem sicheren Gefühl, daß der Bund auch ohnmächtig sei, die geistige und materielle Einheit der Deutschen zu stören, und daß seine abgelebte Form über kurz oder lang einer vernünftigeren Organisation der deutschen Stämme ohne große Kämpfe weichen werde. Grenzboten II. 1866. 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/523>, abgerufen am 28.07.2024.