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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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und fordert mäßig, aber schnell wächst sein Grimm, eisern legt sich die finstere
Nothwendigkeit in die Seelen der Menschen, der Kämpfenden und Leidenden.
Auch uns mag die Zeit kommen, wo ein Lächeln nicht mehr gestattet ist. Noch
ist es möglich, die wechselnden Stimmungen des Tages mit der heitern Fassung
zu betrachten, die der Mann auch vor der Gefahr nicht verlieren soll. -- Auf
den Straßen wird es lebhaft; wenn die Balken vor einem Neubau dröhnen,
meint der Städter Kanonendonner zu hören, überall öffnen sich die Fenster,
und mit gespannter Miene lauschen die Leute; wenn ein Reiter schnell durch
die Straßen sprengt, glaubt man den Hufschlag einreitender Husaren zu Hörer",
und jeder Brauwagen klingt wie fahrendes Geschütz.

An den Straßenecken haben sich die fliegenden Buchhändler aufgestellt,
Extrablätter melden fast zu jeder Stunde Telegramme der letzten Drähte, welche
noch auf ihren Pfählen schweben, und aufregende Gerüchte, welche die nächste
Stunde widerlegt. Auch alte Prophezeiungen tauchen auf, die gefälschte Weissa¬
gung eines Bruders Hermann von Lehnin, die im 13. Jahrhundert verfaßt
sein soll, die aber in Wahrheit nach dem Tode des großen Kurfürsten von einem
östreichisch Gesinnten in lateinischen Versen erdacht und niedergeschrieben, seit¬
dem oft übersetzt und mit Zusätzen vermehrt, im Volke verbreitet worden ist.
Und daneben tauchen aus dem Volksgemüth uralte Bilder auf, und ehrbare
Mütterlein berichten von Weissagungen in alten Büchern, nach denen der Feind
zuletzt nur noch so viel Leute übrig behalten soll, daß sie unter dem Dache
eines Birnbaums Platz haben.

Unterdeß rüstet sich die Stadt für fremde Einquartierung; es ist eine ver¬
ständige, vorsichtige Commune, die nicht überrascht werden und nicht die Unord¬
nung quartierloser Truppen ertragen will, viele Schreiber sitzen und verfassen
Quartierzettel. Wer auch zu den offenen Thoren hereinkomme, er soll finden,
daß der Bürger das Unvermeidliche ihm und sich vorsichtig zurecht gelegt hat.
Auch die Hausfrauen denken an Lager für die Einquartierung, an Matratzen und
Decken und Lebensmittel. Man erkundigt sich, wie viel der Soldat auf Kriegs¬
fuß zu essen berechtigt ist, etwa zwei Pfund Brod und ein halbes Pfund Fleisch,
dieBayerh aber mehr. Sorgliche Hausmütter kümmern sich auch um dieTheuerung,
welche in die Stadt kommen wird; Vorräthe werden angeschafft, und weil alte
Erinnerungen aufleben, daß in ärgster Kriegsgefahr das Brod unerschwinglich
Wird, häuft eine bedächtige Wirthin Körbe von Milchbrod, um zur letzten Zu¬
flucht, wenn alles aufhört, die versteinerten einzuweichen oder nach der Rück¬
kehr in unheimliche Naturzustände zwischen zwei Steinen zu zerreiben, wie Ro-
binson Crusoe seinen Schiffszwieback. Der Hausherr aber versieht sich mit bil¬
ligen Cigarren, denn von guten Freunden, die vor Jahren an den "Straf-
bayern" ihre Erfahrung gemacht haben, ist er belehrt, daß die Pfeife der
Krieger eine aromatische Belästigung seines Quartiers werden kann, und daß


und fordert mäßig, aber schnell wächst sein Grimm, eisern legt sich die finstere
Nothwendigkeit in die Seelen der Menschen, der Kämpfenden und Leidenden.
Auch uns mag die Zeit kommen, wo ein Lächeln nicht mehr gestattet ist. Noch
ist es möglich, die wechselnden Stimmungen des Tages mit der heitern Fassung
zu betrachten, die der Mann auch vor der Gefahr nicht verlieren soll. — Auf
den Straßen wird es lebhaft; wenn die Balken vor einem Neubau dröhnen,
meint der Städter Kanonendonner zu hören, überall öffnen sich die Fenster,
und mit gespannter Miene lauschen die Leute; wenn ein Reiter schnell durch
die Straßen sprengt, glaubt man den Hufschlag einreitender Husaren zu Hörer»,
und jeder Brauwagen klingt wie fahrendes Geschütz.

An den Straßenecken haben sich die fliegenden Buchhändler aufgestellt,
Extrablätter melden fast zu jeder Stunde Telegramme der letzten Drähte, welche
noch auf ihren Pfählen schweben, und aufregende Gerüchte, welche die nächste
Stunde widerlegt. Auch alte Prophezeiungen tauchen auf, die gefälschte Weissa¬
gung eines Bruders Hermann von Lehnin, die im 13. Jahrhundert verfaßt
sein soll, die aber in Wahrheit nach dem Tode des großen Kurfürsten von einem
östreichisch Gesinnten in lateinischen Versen erdacht und niedergeschrieben, seit¬
dem oft übersetzt und mit Zusätzen vermehrt, im Volke verbreitet worden ist.
Und daneben tauchen aus dem Volksgemüth uralte Bilder auf, und ehrbare
Mütterlein berichten von Weissagungen in alten Büchern, nach denen der Feind
zuletzt nur noch so viel Leute übrig behalten soll, daß sie unter dem Dache
eines Birnbaums Platz haben.

Unterdeß rüstet sich die Stadt für fremde Einquartierung; es ist eine ver¬
ständige, vorsichtige Commune, die nicht überrascht werden und nicht die Unord¬
nung quartierloser Truppen ertragen will, viele Schreiber sitzen und verfassen
Quartierzettel. Wer auch zu den offenen Thoren hereinkomme, er soll finden,
daß der Bürger das Unvermeidliche ihm und sich vorsichtig zurecht gelegt hat.
Auch die Hausfrauen denken an Lager für die Einquartierung, an Matratzen und
Decken und Lebensmittel. Man erkundigt sich, wie viel der Soldat auf Kriegs¬
fuß zu essen berechtigt ist, etwa zwei Pfund Brod und ein halbes Pfund Fleisch,
dieBayerh aber mehr. Sorgliche Hausmütter kümmern sich auch um dieTheuerung,
welche in die Stadt kommen wird; Vorräthe werden angeschafft, und weil alte
Erinnerungen aufleben, daß in ärgster Kriegsgefahr das Brod unerschwinglich
Wird, häuft eine bedächtige Wirthin Körbe von Milchbrod, um zur letzten Zu¬
flucht, wenn alles aufhört, die versteinerten einzuweichen oder nach der Rück¬
kehr in unheimliche Naturzustände zwischen zwei Steinen zu zerreiben, wie Ro-
binson Crusoe seinen Schiffszwieback. Der Hausherr aber versieht sich mit bil¬
ligen Cigarren, denn von guten Freunden, die vor Jahren an den „Straf-
bayern" ihre Erfahrung gemacht haben, ist er belehrt, daß die Pfeife der
Krieger eine aromatische Belästigung seines Quartiers werden kann, und daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/521>, abgerufen am 06.10.2024.