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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Diese Stimmung beherrschte auch die Kammerverhandlungen über die von
der Regierung verlangten Mittel zum Krieg. Schon der Commissionsbericht
hatte es verschmäht, seinen Antrag hinter allgemeine Phrasen vom bedrohten
Frieden und verletzten Bundesrecht zu verstecken: er hatte unumwunden den
Feind bezeichnet, gegen welchen die Gelder verlangt werden und zu verwilligen
seien. Gemäßigter die einen, heftiger die anderen, bewegten sich die meisten
Reden in demselben Jdeengang: daß Preußen das Unrecht vertrete. Oestreich
das Recht, und daß man diesem beistehen müsse, um jenes niederzuwerfen. Man
hielt sich einzig an den Ausgangspunkt und Anlaß des Streits: an das Recht
der Herzogthümer und das Recht des Bundes, weiter reichte der Horizont nicht,
das politische Moment eines Kampfes zwischen Preußen und Oestreich, seine
nationale und culturgeschichiliche Bedeutung wurde kaum berührt. Ganz ge¬
legen war es, daß noch unmittelbar vor der Debatte die östreichische Erklärung
am Bund vom 1. Juni eintraf. Jetzt war es ja mit Händen zu greifen, daß
Oestreich das Recht der Herzogthümer und des Bundes vertritt, und ein Mit¬
glied der Prälatenbank ertheilte dem reuigen Sünder feierlich die Absolution.
Indessen stand auch ohne diesen willkommenen Schritt des wiener Cabinets keine
andere Abstimmung zu erwarten.

Diese Strömung war so stark, daß sie auch diejenigen Mitglieder, die im
Allgemeinen auf dem Standpunkt des Abgeordnetentags standen, in eine un¬
sichere Stellung brachte. Das Wort Neutralität wagte niemand auszusprechen,
sie war ja feiger Verrath. Die wenigen Redner dieser Seite beschränkten sich
auf die Warnung mit Oestreich durch Dick und Dünn zu gehen, auf die Erinner-
ung an die gleichmäßige Verschuldung, welche beide Großmächte für den jetzigen
Conflict treffe. Nur Römer, der vom Vater gelernt hat. sich um die aur-g, po-
pularis nichts zu kümmern, trat offen für Preußen in die Schranken, das in
einem Kampf mit dem k. k. Völkergemisch, was auch die Sünden seiner Negierung
seien, die deutschen Interessen vertrete. Selbst Hölder zog sich vorsichtig auf den
Standpunkt des Bundesrechts und der Bundespflicht zurück und unterwarf sich
damit der Autorität einer zufälligen Bundestagsmehrheit. Andere stellten
die Forderungen einer Bundesreform, eines Parlaments, einer Koalition der
Mittel- und Kleinstaaten voran. Dabei handelte es sich selbstverständlich immer
nur von dem idealen Parlament in Wolkenkuckuksheim. Daß von Preußen das
Angebot eines Parlaments vorliegt, schien niemand zu wissen. So unbequem ist
dieser Vorschlag denen, die bisher in unzähligen Resolutionen Parlament und
nichts als Parlament für die Panacee erklärt hatten, daß sie ihn ignonren oder
in demselben Athem, in dem sie das Parlament fordern, das Angebot desselben
als Hohn und Spott mit Entrüstung zurückweisen.- Eine schwäbische Volks¬
versammlung hat vor einiger Zeit die sinnreiche Resolution gefaßt, daß das


Diese Stimmung beherrschte auch die Kammerverhandlungen über die von
der Regierung verlangten Mittel zum Krieg. Schon der Commissionsbericht
hatte es verschmäht, seinen Antrag hinter allgemeine Phrasen vom bedrohten
Frieden und verletzten Bundesrecht zu verstecken: er hatte unumwunden den
Feind bezeichnet, gegen welchen die Gelder verlangt werden und zu verwilligen
seien. Gemäßigter die einen, heftiger die anderen, bewegten sich die meisten
Reden in demselben Jdeengang: daß Preußen das Unrecht vertrete. Oestreich
das Recht, und daß man diesem beistehen müsse, um jenes niederzuwerfen. Man
hielt sich einzig an den Ausgangspunkt und Anlaß des Streits: an das Recht
der Herzogthümer und das Recht des Bundes, weiter reichte der Horizont nicht,
das politische Moment eines Kampfes zwischen Preußen und Oestreich, seine
nationale und culturgeschichiliche Bedeutung wurde kaum berührt. Ganz ge¬
legen war es, daß noch unmittelbar vor der Debatte die östreichische Erklärung
am Bund vom 1. Juni eintraf. Jetzt war es ja mit Händen zu greifen, daß
Oestreich das Recht der Herzogthümer und des Bundes vertritt, und ein Mit¬
glied der Prälatenbank ertheilte dem reuigen Sünder feierlich die Absolution.
Indessen stand auch ohne diesen willkommenen Schritt des wiener Cabinets keine
andere Abstimmung zu erwarten.

Diese Strömung war so stark, daß sie auch diejenigen Mitglieder, die im
Allgemeinen auf dem Standpunkt des Abgeordnetentags standen, in eine un¬
sichere Stellung brachte. Das Wort Neutralität wagte niemand auszusprechen,
sie war ja feiger Verrath. Die wenigen Redner dieser Seite beschränkten sich
auf die Warnung mit Oestreich durch Dick und Dünn zu gehen, auf die Erinner-
ung an die gleichmäßige Verschuldung, welche beide Großmächte für den jetzigen
Conflict treffe. Nur Römer, der vom Vater gelernt hat. sich um die aur-g, po-
pularis nichts zu kümmern, trat offen für Preußen in die Schranken, das in
einem Kampf mit dem k. k. Völkergemisch, was auch die Sünden seiner Negierung
seien, die deutschen Interessen vertrete. Selbst Hölder zog sich vorsichtig auf den
Standpunkt des Bundesrechts und der Bundespflicht zurück und unterwarf sich
damit der Autorität einer zufälligen Bundestagsmehrheit. Andere stellten
die Forderungen einer Bundesreform, eines Parlaments, einer Koalition der
Mittel- und Kleinstaaten voran. Dabei handelte es sich selbstverständlich immer
nur von dem idealen Parlament in Wolkenkuckuksheim. Daß von Preußen das
Angebot eines Parlaments vorliegt, schien niemand zu wissen. So unbequem ist
dieser Vorschlag denen, die bisher in unzähligen Resolutionen Parlament und
nichts als Parlament für die Panacee erklärt hatten, daß sie ihn ignonren oder
in demselben Athem, in dem sie das Parlament fordern, das Angebot desselben
als Hohn und Spott mit Entrüstung zurückweisen.- Eine schwäbische Volks¬
versammlung hat vor einiger Zeit die sinnreiche Resolution gefaßt, daß das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/511>, abgerufen am 26.06.2024.