Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.uns auferlegen. Der unbekannte Verfasser hat zuverlässig eine politische Ge¬ Partei oder Vaterland? Ein Preuße kennt in der Stunde der Gefahr uns auferlegen. Der unbekannte Verfasser hat zuverlässig eine politische Ge¬ Partei oder Vaterland? Ein Preuße kennt in der Stunde der Gefahr <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0432" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285460"/> <p xml:id="ID_1299" prev="#ID_1298"> uns auferlegen. Der unbekannte Verfasser hat zuverlässig eine politische Ge¬<lb/> sinnung rein wie Gold und eine so innige Liebe zu der Idee des preußischen<lb/> Staates, daß man ihm dafür die Hand drücken möchte, aber Ungeduld und<lb/> wogende Sorge haben ihm das Urtheil geblendet; er selbst ist schwerlich ein<lb/> Preuße. In der Sehnsucht nach einem Helfer aus der Verwirrung hat er<lb/> sich das Bild seines Helden, wie deutsche Art ist, ein wenig poetisch zugerichtet,<lb/> und in der berechtigten Empfindung, daß die innere Opposition in Preußen<lb/> jetzt die Schwierigkeiten der preußischen Stellung vermehrt, wird er, wie ebenfalls<lb/> deutsche Art ist, gröblich ungerecht gegen diese Opposition. Es ist eine warm¬<lb/> herzige Gesinnung, aber der Verfasser möge uns nicht verargen, wenn wir<lb/> seine letzten Schlußfolgerungen mit der Redeweise des lyrischen Charakters<lb/> der Journalistik vergleichen, welcher hier und da unter dem Namen Bellmaus<lb/> bekannt ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1300" next="#ID_1301"> Partei oder Vaterland? Ein Preuße kennt in der Stunde der Gefahr<lb/> diesen Gegensatz nicht. Unter all den Männern, welche jetzt in Preußen gegen<lb/> das herrschende System kämpfen und die Beseitigung desselben für nothwendig<lb/> halten, ist kaum einer, der nicht einen Sohn, Bruder oder theuern Verwandten<lb/> beim Heere zählt; kaum einer, dem nicht in diesen Monaten herrschende Em¬<lb/> pfindung war, wie wenig das eigene Gut und Leben Bedeutung hat gegen die<lb/> Ehre und Größe des Staates, und wieder kaum einer, der nicht mit Herzklopfen<lb/> und stolzer Freude jede Nachricht von einem Erfolge der preußischen Waffen<lb/> vernehmen würde, und die Nachricht von dem Kriegstode der liebsten Menschen<lb/> mit dem hebenden Gefühl, daß sie ihre Schuldigkeit gegen ihren Staat gethan<lb/> haben. Dieselben Männer, die vor wenig Wochen in Bürgerversammlungen zum<lb/> äußersten Widerstand gegen das System aufgefordert haben, dienen vielleicht<lb/> jetzt als Unteroffiziere im Heer und freuen sich über die tüchtige Sorgfalt und<lb/> die Dienstkenntnisse ihres Premierlieutenants, der im Frieden nur die Kreuz¬<lb/> zeitung liest und am Offizierstisch kein größeres Behagen kannte, als die Herren<lb/> Tochter und Schulze mit Prädicaten zu versehen. Partei über dem Vaterland?<lb/> Wer der preußischen Opposition solchen Vorwurf zu machen wagt, der trete<lb/> doch in das Comptoir eines berliner Kaufmanns oder auf den Wirthschaftshof<lb/> eines ostpreußischen Landwirths, die jetzt unter den Ersten eine Adresse an den<lb/> König unterschrieben haben, worin um Aenderung des herrschenden Systems<lb/> gebeten wurde, und er sehe zu, wie derselbe Mann die großen Verluste erträgt,<lb/> die ihm diese Kriegszeit bereitet, und wie gefaßt er auf die leeren Stühle seines<lb/> Comptoirs, und die leeren Stuben seiner Beamten sieht, deren Inhaber zu den<lb/> Fahnen gerufen sind. Wenn er seinem Sohne, der zum Heere ging, beim Ab¬<lb/> schied die Hand drückte, dann sagte er vielleicht in der Bewegung der letzten<lb/> Stunde zu ihm: „Beide werden wir unsere Pflicht thun, du draußen, ich hier."<lb/> Und der sein - geliebtes Kind so in den Krieg entsenden konnte, mit welcher</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0432]
uns auferlegen. Der unbekannte Verfasser hat zuverlässig eine politische Ge¬
sinnung rein wie Gold und eine so innige Liebe zu der Idee des preußischen
Staates, daß man ihm dafür die Hand drücken möchte, aber Ungeduld und
wogende Sorge haben ihm das Urtheil geblendet; er selbst ist schwerlich ein
Preuße. In der Sehnsucht nach einem Helfer aus der Verwirrung hat er
sich das Bild seines Helden, wie deutsche Art ist, ein wenig poetisch zugerichtet,
und in der berechtigten Empfindung, daß die innere Opposition in Preußen
jetzt die Schwierigkeiten der preußischen Stellung vermehrt, wird er, wie ebenfalls
deutsche Art ist, gröblich ungerecht gegen diese Opposition. Es ist eine warm¬
herzige Gesinnung, aber der Verfasser möge uns nicht verargen, wenn wir
seine letzten Schlußfolgerungen mit der Redeweise des lyrischen Charakters
der Journalistik vergleichen, welcher hier und da unter dem Namen Bellmaus
bekannt ist.
Partei oder Vaterland? Ein Preuße kennt in der Stunde der Gefahr
diesen Gegensatz nicht. Unter all den Männern, welche jetzt in Preußen gegen
das herrschende System kämpfen und die Beseitigung desselben für nothwendig
halten, ist kaum einer, der nicht einen Sohn, Bruder oder theuern Verwandten
beim Heere zählt; kaum einer, dem nicht in diesen Monaten herrschende Em¬
pfindung war, wie wenig das eigene Gut und Leben Bedeutung hat gegen die
Ehre und Größe des Staates, und wieder kaum einer, der nicht mit Herzklopfen
und stolzer Freude jede Nachricht von einem Erfolge der preußischen Waffen
vernehmen würde, und die Nachricht von dem Kriegstode der liebsten Menschen
mit dem hebenden Gefühl, daß sie ihre Schuldigkeit gegen ihren Staat gethan
haben. Dieselben Männer, die vor wenig Wochen in Bürgerversammlungen zum
äußersten Widerstand gegen das System aufgefordert haben, dienen vielleicht
jetzt als Unteroffiziere im Heer und freuen sich über die tüchtige Sorgfalt und
die Dienstkenntnisse ihres Premierlieutenants, der im Frieden nur die Kreuz¬
zeitung liest und am Offizierstisch kein größeres Behagen kannte, als die Herren
Tochter und Schulze mit Prädicaten zu versehen. Partei über dem Vaterland?
Wer der preußischen Opposition solchen Vorwurf zu machen wagt, der trete
doch in das Comptoir eines berliner Kaufmanns oder auf den Wirthschaftshof
eines ostpreußischen Landwirths, die jetzt unter den Ersten eine Adresse an den
König unterschrieben haben, worin um Aenderung des herrschenden Systems
gebeten wurde, und er sehe zu, wie derselbe Mann die großen Verluste erträgt,
die ihm diese Kriegszeit bereitet, und wie gefaßt er auf die leeren Stühle seines
Comptoirs, und die leeren Stuben seiner Beamten sieht, deren Inhaber zu den
Fahnen gerufen sind. Wenn er seinem Sohne, der zum Heere ging, beim Ab¬
schied die Hand drückte, dann sagte er vielleicht in der Bewegung der letzten
Stunde zu ihm: „Beide werden wir unsere Pflicht thun, du draußen, ich hier."
Und der sein - geliebtes Kind so in den Krieg entsenden konnte, mit welcher
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